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Kuscheln als politisches Statement

Flame gegen Wallone - der seit Jahrhunderten andauernde Sprachen- und Nationalitätenstreit in Belgien hat mittlerweile einen neuen Höhepunkt erreicht: Seit nunmehr 165 Tagen ist das Land ohne eine Regierung. Jede Woche behindern neue Forderungen die Bildung einer Koalition. Genug davon hatten belgische Studierende. Sie organisierten eine so genannte Knuffelactie. Besonderes Kennzeichen: Es wird gekuschelt.

Von Verena Herb |
    500 junge Leute fallen sich in die Arme, jubeln, springen auf und ab - mitten auf dem Ladeuzeplein, ein Platz im Zentrum der belgischen Kleinstadt Löwen. Viele tragen Mützen in den belgischen Farben, einige haben sich das Gesicht in schwarz, gelb und rot angemalt. Die Stimmung ist ausgelassen.

    Hier, vor der prachtvollen Kulisse der Universitätsbibliothek, wird jedoch nicht der Weltmeister-Titel der belgischen Fußballnationalmannschaft gefeiert, sondern es wird geknüffelt. Kurz: gekuschelt. Kollektiv, und als politisches Statement, erklärt René:

    "Wir sind hier für die Einigkeit von Belgien!"

    René ist Student. So wie alle anderen, die sich auf dem Ladeuzeplein in die Arme fallen. Sie alle sind Studenten der beiden Unis von Löwen: Der flämischsprachigen Katholischen Universität im Zentrum der Stadt, und der Hochschule von Louvain-la-neuve, die ca. 1 Zugstunde entfernt liegt. Dort ist Französisch die Unterrichtssprache.

    Flämisch oder Französisch, Flame gegen Wallone - der seit Jahrhunderten andauernde Sprachen- und Nationalitätenstreit in Belgien hat mittlerweile einen neuen Höhepunkt erreicht: Seit nunmehr 165 Tagen ist das Land ohne eine Regierung. Jede Woche behindern neue Forderungen und Angriffe zwischen Flamen und Frankophonen die Bildung einer Koalition.

    "Too many days they are still making a government. For us it seems to be that even in the heads of the people by the media the separatistic feelings was enlarging. "

    erklärt Nils Jespers. Er studiert Bioingenieurswesen in Leuven - und ist einer der Organisatoren der Knüffelaktion:

    "We want to show with this action that not every flamish is a separatist, and not every wallone is against the reformation which are necessary sometimes. "

    Vor zwei Wochen ist die Idee geboren - bei einem Glas belgischem Bier in einer Kneipe haben Nils und vier Freunde beschlossen, Flagge zu zeigen. Es wurden Studentenorganisationen angeschrieben, E-Mails verschickt, Poster gedruckt. Und so wehen 14 Tage später tatsächlich gelbe Fahnen auf dem Ladeuzeplein: auf einigen sieht man den Hahn, das Wappentier der Wallonen, auf einigen den Löwen, der Flandern symbolisiert.

    Dass die Knüffelaktion ausgerechnet in Löwen stattfindet, auch das ist ein Symbol - macht Tom Bischoff deutlich. Der 22jährige hat dieses Jahr sein Studium beendet. Er wird Polizist:

    "Ich finde das heute sehr interessant, dass wir heute in Löwen sind. Ich komme aus Louvain-la-neuve, also Neu-Löwen. Und vor 30, 40 Jahren haben sie uns rausgeworfen. "

    Mit "rausgeworfen" spielt Tom auf die Spaltung der Universität Löwen an: bis 1968 wurde an der Hochschule in Niederländisch und Französisch unterrichtet. Doch der Sprachenstreit machte auch vor der Lehre keinen Halt: In Louvain-la-neuve wurde eine separate französischprachige Uni gegründet.

    "Wir zeigen heute, dass wir wieder zusammenhalten können, um den Politikern zu zeigen, dass sie falsch liegen. Im Moment kämpfen die mehr für eigene Ideen, und nicht für die Ideen vom Volk. Ich finde das jetzt wichtig, dass wir zusammenhalten müssen, in einem Europa das wächst. "

    Ob man sich heute nun auf flämisch oder französisch unterhält, umarmt und kennenlernt, ist egal. Meint auch Mary aus Louvain-la-Neuve:

    "... flanderen. Nous amons les flamons. We love flamish!"

    Und so wird der Ladeuzeplein in Löwen an diesem sonnigen Nachmittag zu einem Ort der belgischen Einigkeit.