Mittwoch, 24. April 2024

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KZ-Gedenkstätte Dachau
Eingangstor nach Diebstahl rekonstruiert

Am Morgen des 2. November 2014 trauten die Sicherheitswachleute der KZ-Gedenkstätte Dachau ihren Augen nicht. Das sogenannte Schlupftor des eisernen Eingangstores mit der Inschrift "Arbeit macht frei" war gestohlen worden. Jetzt haben sich der Stiftungsrat und die Opferverbände für eine Replikation des Tores entschieden - gegen den Wunsch der Gedenkstättenleitung.

Von Susanne Lettenbauer | 16.04.2015
    Es riecht nach Feuer und heißem Eisen in der Werkstatt von Michael Poitner. Gut zehn Kilometer von Dachau entfernt baut der Kunstschmied normalerweise Treppenaufgänge, Balkone, Gartentore oder auch Grabkreuze. Dieser Auftrag, den er jetzt kurzfristig übernommen hat, sei handwerklich keine große Herausforderung, sagt der Kunstschmied, die Geschichte dahinter sehr wohl:
    "Ich habe mir zuerst schon Gedanken gemacht, dass ich hier ja einen nationalsozialistischen, zynischen Schriftzug nachbilde. Letzten Endes ist es mir aber klar geworden, dass es sich hier um eine Gedenkstätte handelt, für die ich arbeite. Zu der jedes Jahr gut 800.000 Besucher kommen, die eigentlich deswegen dahin kommen, um daran zu denken oder darüber nachzudenken, dass der Holocaust nicht mehr passieren soll und auch andere Verfolgungen nicht."
    Das könnten die Besucher anhand von Originalen oder eben Kopien eindrucksvoller erleben als wenn dort nur ein Schild stehen würde, ist Poitner überzeugt:
    "Weil, wenn es nur ein Denkmal gäbe, wo dastehen würde, hier sind mal Leute umgebracht worden, dann ist das längst nicht so beeindruckend als wenn man das auch sehen oder spüren kann. Darum geht es mir."
    Auf einem breiten Arbeitstisch direkt neben dem Amboss liegt das relativ klein wirkende halbfertige Tor. Die Buchstaben sind fast alle bereits in den oberen Torbereich eingefügt. Die geschwungenen inneren Metallverstrebungen hämmern Poitners Kollegen mit Dübeln fest, danach wird gelötet. Nicht ganz einfach war die Rekonstruktion der Bauzeichnung:
    "Dieses Tor macht uns in etwa 65 Arbeitsstunden: Acht Stunden habe ich gebraucht für die Zeichnung, die ich nach Vorlagen und Fotos etwas mühevoll rekonstruiert habe und dann kommt das Einhängen noch dazu, das ist nicht soviel Arbeit.
    Das Tor sieht auch neu aus

    Also das Tor wird nicht auf alt gemacht. Das ist ja auch ein Grundsatz in der Denkmalpflege. Es ist ja kein altes Tor, das Tor ist neu. Das ist Teil der Geschichte. Das Tor wurde gestohlen, jetzt kam ein Neues und das muss auch nicht verborgen werden. Allerdings ist es so, dass man dieses Tor von dem alten Tor ja auch fast nicht wegkennen soll. Wir haben jetzt nicht ein anderes gebaut, sondern eines, was genauso aussieht und es auch mit den gleichen Techniken hergestellt, nur ist es neu. Das Tor wird schwarz angestrichen und der Rest des Tores wurde auch schwarz angestrichen vor etlichen Jahren, das ist dann verrostet und verblasst und dieses Tor ist halt nicht verrostet oder verblasst, weil es neu ist."
    Bis zum 30 April muss das Tor wieder im Eingangsbereich der KZ-Gedenkstätte eingehängt sein, denn am 3. Mai soll Bundeskanzlerin Angela Merkel zur 70-Jahrfeier der Befreiung des KZ Dachau durch genau diese Tür gehen. Das war der Wunsch der Überlebenden, erklärt Karl Freller, Chef der Bayerischen Gedenkstätten die Entscheidung zur umstrittenen Replikation des Tores. Denn eigentlich gibt es einen älteren Beschluss des wissenschaftlichen Beirates von Dachau, der Nachbauten verbietet:
    "Die Überlebenden sagen, ihnen ist dieses Tor besonders wichtig. Es war das Tor, wo sie letztlich ihre Freiheit abgegeben haben und nichts zeigt deutlicher den Zynismus und die Menschenverachtung der Nazis, wie diese Inschrift 'Arbeit macht frei'. Das Gegenteil war der Fall, die Freiheit war weg, als sie das Tor durchschritten haben."
    Für den Fall, dass das Tor doch noch auftauchen würde, wolle man in Dachau ähnlich wie bei dem Fall in Auschwitz 2009 verfahren. Dort war nach dem Diebstahl der Eingangsinschrift ebenfalls eine Replik angefertigt worden. Das aufgetauchte Original wird heute separat verwahrt. Der zuständige Kriminalhauptkommissar Gerhard Drexel von der Polizeiinspektion Fürstenfeldbruck kann die Entscheidung nachvollziehen:
    "Wir sind derzeit dabei, noch eine Reihe von Hinweisen abzuprüfen, die noch nicht abgeschlossen sind. Aber ich muss leider sagen, dass momentan die Aussicht auf Erfolg gering ist."
    Andere Haltung der Gedenkstättenleitung
    Gabriele Hammermann als Leiterin der Gedenkstätte in Dachau hätte sich auch einen künstlerischen Umgang mit dem fehlenden Tor vorstellen können. Man hätte es auch als eine Chance begreifen können.
    "Dann hätte ich mich zusammen mit Historikern, aber auch mit Künstlern zusammengesetzt, um zu überlegen, welche Form gefunden werden könnte um auf der einen Seite zu erklären, es gab einen Diebstahl und auf der anderen Seite dem Interesse der Besucher Rechnung zu tragen, die gerne auch erfahren wollen, wie dieses historische Lagertor ausgesehen war. Es wäre möglich eine Art von Glastafel in Originalgröße aufzustellen, ein paar Meter hinter dem jetzigen Standort."
    Eine Glastafel wird es trotzdem geben, sagt Hammermann. Den Diebstahl einfach vergessen, nachdem das neue Tor wieder eingehängt ist, das dürfe dann doch nicht sein.