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La Beltà - Gedichte ital./dt.

Viel ist über die Dichtung des Italieners Andrea Zanzottos, dieser eigenartigen Mischung aus Sprache und Nichtsprache, geschrieben worden. Sein Kollege Claudio Magris sagte:

Cornelia Jentsch |
    Zanzottos Wort reicht bis unter den Schutt der Jahrhunderte hinab, unter das, was Geschichte, Kultur und Zivilisation angesammelt haben; Alchimist im Laboratorium der Sprache und orphischer Dichter, steigt er hinab in den Schlaf und in der Traum, die magische Sprache abzuhorchen und nachzusprechen.

    Pier Paolo Pasolini, in geografischer wie künstlerischer Nähe von Zanzotto beheimatet, meinte:

    Man weiß nie, in welchem semantischen Feld man sich befindet: der Leser gerät in einen beispiellosen Zustand der Entfremdung von seinen Gewohnheiten. Und Guiseppe Ungaretti bemerkte: Sprecher: Wenn ihr Zanzotto lest, dann seht ihr ein Land leben, seht es zernutzt, als, gewaltsam, verfilzt, seht, wie es sich ständig zersetzt und regeneriert, ein luftiges Land, ein Land idyllischen Zaubers, der von der Tragödie entstellt ist. Wie auch Eugenio Montale die Dichtung Zanzottos schätzt:

    Er ist ein perkussiver, jedoch kein rumoröser Dichter: sein Metronom ist der Schlag des Herzens.

    Bislang konnte man im deutschen vom reichen Werk Andrea Zanzottos, das Gedichtsammlungen, Essays und Erzählungen umfasst, nur einen winzigen Ausschnitt lesen. Rechtzeitig zum 80sten Geburtstag des Dichters, den er in diesem Monat begeht, und pünktlich zur Buchmesse ist der erste Band einer auf neun Bände angelegten Werkausgabe in der Edition Urs Engeler - der Gedichtzyklus mit dem Titel La Beltà (Die Pracht) - fertiggeworden. Die Übersetzer dieses mit dem Zuger Übersetzerstipendium geförderten Großprojektes - Donatella Capaldi, Maria Fehringer, Peter Waterhouse und Ludwig Paulmichl - sind seit Jahren mit dem Werk Zanzottos vertraut. Die beiden letzteren sind zudem selbst Dichter und Ludwig Paulmichel darüber hinaus Verleger des Folio-Verlages, der wiederum Co-Produzent dieses Unternehmens ist.

    In einem Interview wurde Zanzotto einmal befragt, welche Rolle er heutzutage den Intellektuellen zuspräche. Er antwortete, dass er nicht an irgendeine Rolle glaube, denn die wenigen Intellektuellen, die es gegeben habe, hätten sich in Politiker verwandelt und im selben Moment aufgehört, solche zu sein. Die wirkliche Figur eines Intellektuellen sähe er nur in der des Humanisten, von Petrarca bis zu Erasmus von Rotterdem. Sie stellen als einzige jenen Typus dar, der genau weiß, dass er wenig zählt, aber diesem wenig Zählen Ausdruck verleiht. Die Aufgabe des Humanisten sei es, in der Rede aufzuklären und dort, wo Gewalt ist, die Wogen zu glätten; er müsse aufdecken und vermitteln in einem. Doch heute seien die Intellektuellen eher Maschinen, die von Tag zu Tag neue Meinungen produzieren und sie auch präsentieren müssen.

    Dichter wären eher in die Kategorie der Humanisten zu zählen, da sie ebenso weniger von der Geste der Behauptung als von der des Suchens und Infragestellens Gebrauch machen. Die Dichtung, schreibt Zanzotto, sei von jeher eine Form der Selbstbefragung und Selbstdefinition, allerdings nur, indem sie sich als unkontrollierbarer Tick äußere, als undeutlicher Umriss, als widersprüchliches Murmeln, das sich nur wenig oberhalb des Nichts bemerkbar mache.

    In Andrea Zanzottos Dichtung verbinden sich wie wohl in keiner zweiten archaische, vorsprachliche Momente unmittelbar mit der Sprache der Moderne. Zanzotto beruft sich einerseits auf die regionalen, im Verschwinden begriffenen Dialekte, die frühen Kinderlaute, die Melodik von Abzählversen. Sie sind jener Singsang, der weniger über das Konstrukt eines ausgefeilten Sprachmaterials, als aus der Bewegung des Körpers und des Mundes heraus entsteht. Steigt man hier noch einen winzigen Schritt weiter hinab, befindet man sich im sogenannten vorsprachlichen Bereich. Die Worte hören hier auf, zu sein, sie zerfallen, aber diese Zerfallsprodukte sind dennoch voller Bedeutung.

    Auf der anderen Seite steht der Überschwall der Moderne, ein unendliches Palaver, das Sprache durch die Medien regelrecht ausschüttet. Das voller Worte, aber oft ohne Bedeutung ist. Ein brodelnder Tiegel, der die Worte oder besser ihre Bedeutungen regelrecht zerschmilzt, verdampft, pulverisiert.

    Jeder Dichter muß, nimmt er seine Berufung ernst, zur Quelle der Sprache vordringen, dorthin, wo die Sprache zu existieren beginnt, obwohl sie noch nicht sichtbar wird, sondern nur unterirdisch sprudelt. Dieser Weg vorwärts zurück ist nicht ungefährlich, und nicht wenige Dichter bleiben auf halber Strecke mit halber Beute stehen. Anders Zanzotto, der sich bis in das Schweigen, in die weißen Flecke der Sprachtopografie hinein wagt. Dort, wo vor ihm schon Hölderlin, Mallarme oder Valery anlangten.

    Je mehr er in die Sprache hinabsteige, sagt Zanzotto, je mehr er ein Wort suche, das am Ursprung ist, umso mehr merke er, dass dieser Ursprung keiner ist. Auch dort öffne sich ein Abgrund, und er stehe vor einem Schweigen. Dieses Schweigen des Seins, so Zanzotto weiter, existiere leider, aber es sei eines, das ständiger Interpretation bedarf; es ist etwas Wortähnliches, auch wenn es keine Worte im eigentlichen Sinn ausspricht. Als Beispiel nennt Zanzotto den Kosmos, der sich ausdrückt, obwohl wir keine Katastrophengeräusche hören und wir ihn geteilt und von Explosionen zerstückelt wahrnehmen. Er sei sehr schweigsam, überladen mit einem Schweigen von Ausdrucksmöglichkeiten.

    Zanzotto lebt noch immer in seinem Geburtsort, einem kleinen Ort in der Nähe von Treviso im Norden Italiens. Hierher kehren auch immer wieder die Themen seiner Gedichte zurück, aus dieser Region und ihrer Geschichte speist sich unter anderem sein Sprachvermögen. Er schreibe Dialekt, sagt Zanzotto, weil er ihn auch benutze. Spräche er ihn nicht, wäre es für ihn eine pathologische Handlung. Es sei eine Geste der Treue sich selbst gegenüber, eine Wiederentdeckung der Kindheit, die im Dialekt weiterbrodelt. So verarbeitete Zanzotto nicht nur Einsprengsel regionaler Sprache in seiner Poesie, er schrieb auch komplette Dialektgedichte für den Film Casanova von Federico Fellini.

    Vielleicht liegt es auch an Zanzottos Sesshaftigkeit, das Verharren an einem Ort, das seinen Blick in die tieferen Schichten der Landschaften und der Historie, ihre Sedimente hinab, auf eine besondere Weise schärft. Der Wald des Montello, ein stilles, grünes Areal, ist bei genauem Blick ein symbolischer Raum, der sich aus der bio-chemischen Umwandlung verschiedener Elemente aufbaut. Hier, genau hier, schrieb im 17. Jahrhundert in einer Abtei jener Monsignore della Casa seine berühmten Verhaltenskodex Galateo, hier fand im ersten Weltkrieg ein Blutbad statt, hier hindurch reichte die Linie jener Beinhäuser, die vom Adriatischen Meer bis zum Ärmelkanal reicht, und hier, genau hier, ist heute der Platz für lärmende Ferienausflügler und ihre Villen. Der Wald des Montello fällt mit dem Gedichtzyklus Il Galateo in bosco (Galateo im Wald), der als fünfter Band der Gesamtausgabe erscheinen wird, spiegelbildlich in eins. Wald und Gedichtzyklus bewahren, jedes auf seine Weise, die zu Humus gewordenen Reste dessen, was in der zerstörten Abtei einst geschrieben wurde, die zersetzten Reste der Exkremente der Ausflügler und die fürchterlichen Reste der Gefallenen, Knochen und Staub, in sich auf.

    Wenden Sie sich an die Beinhäuser. Eintritt frei./ Wenden Sie sich an die Grabsteine. Respektvoll und verzweifelt./ Wenden Sie sich an die Gaststätten. Elemente des Himmels stehen bereit./ Wenden Sie sich an die Dörfer. Dort wohnen als Mieter die Wünsche und ihre/ Unendlichkeit/ (sichtbar an jedem geschlossenen Fenster).

    Und die Lichtung hat längst zugestimmt schon/ einem Austausch mit Blättern, dort wo die farbigste Blutschau sich bot/ ein mystischer Zirkus des Bluts. Oh wieviele Nummern, und Extrarationen. Hurra./ Ich will mich von diesen chemischen Trümmern ernähren/ um, als eine Premiere,/ im geheilten Spiegel der Wünsche und der Unendlichkeit/ die Fermente und Enzyme jenes Zirkus zu sammeln/ in den feinsten Säften des Morgens, der Bewegung, beim Weckruf. Und man geht./ Man geht durch Beinhäuser. Sie warten/ voll ferner Sterblichkeit jetzt, wie ein Frühling in Blüte steht,/ voller Glanz und Angst. Kein Widerstand, und man geht./ Bewahrt Ruhe, Beinhäuser - so viele Tode ohne Verschiedenheit mehr/ ohne Grabstein/ und frei von Betrug (und das Vaterland Betrügergesicht/ das Haus und Garten verspricht, nur verspricht,/ bettelt hier um Heiligkeit und sie wird ihm gegeben)./ Beinhäuser haben etwas vom Streben der Fabriken./ Dort empfängt man Befehle, ewige Bestellungen. Dort sortiert man. In der Anstalt züchten die noch lebenden Kriegsirren/ Schweine; Handel mit den Gebeinen./ Ihr habt mich überwältigt, beschmiert, verewigt, ein Blutstrahl./ Piave, offene Ader, nicht still und nicht friedlich/ aber heiter fließend, jenseits von Gut und von Böse und so weiter/ silbergereizt in ihrem Verlauf, in ihrer Strömung./ Vater und Mutter, in dieser Gottheit vielleicht vereint/ im unstillbaren Bluten/ im unstillbaren Grün und glitzernden Licht,/ in dieser Größe wo jeder Laut zu Schweigen zerbricht/ habt ihr mich aufgebahrt, unter Bergen von/ K wie Knochen, gut verzeichnet, lesbar/ Hostien, hoch hinaus wie in ein jenseits der Gräser und ihrer Enzyme/ gespieen,/ in ein Außen das sich über mich beugt, mich erschaffend/ Macht über mich übt und mich höher treibt zu/ So dass/ ich blase zum Appell/ ich wechsle zwischen Stottern und schwierigen Reimen/ die sich bilden und berühren,/ ich gehe durch Beinhäuser, wertvolle Knochen und Schädel/ folgen mir zärtlich, meiner, keiner Zauberflöte/ Immer öfter durch sie wechsle ich zart mit mir/ im Strauchwerk, zwischen Kriegsresten die aufragen,/ eine Blume wechselt mit einem Himmel/ in Frühjahren zerfallender Knochen,/ ein Ja wechselt mit einem Nein, nicht viel/ unterschieden, in der Stille/ in den Strichen dieses Regens, wie in einem Zirkus oder Spiel.


    Celan habe es geschafft, so schreibt Zanzotto, nach Auschwitz Gedichte zu schreiben. Weil es ihm gelang, gegen die totale Vernichtung anzutreten und trotzdem in ihrem Inneren, in der Vernichtung selbst zu bleiben.

    Auch Andrea Zanzotto gehört, wie Celan, zu denjenigen, die der Sprache nach diesem historischen Exodus zu erneuter Berechtigung und Existenz verhalfen: durch die Kraft ihrer Poesie.