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La Habanera - The Piano Music of Ernesto Lecuona

Die Klavierliteratur des 20.Jahrhunderts ist schier unüberschaubar, wobei häufig genug übersehen wird, welche Bedeutung zum Beispiel Komponisten wie Duke Ellington, Cecil Taylor oder Oscar Peterson für die Fortentwicklung des Pianoforte hatten - sie gelten eben bloß als Jazzpianisten. Ein ganz berühmter Vergessener ist der kubanische Gershwin, wie er zu Recht genannt wird, Ernesto Lecuona. Lecuona verbrachte einen Großteil seines Lebens in New York, nicht zuletzt wohl auch deshalb, weil er mit dem Maximo Leader Fidel Castro nicht so ganz klarkam. Lecuona war im richtigen Leben wie am Klavier ein élegant. Er hätte in jedem Hollywood-Film als Liebhaber auftreten können. Immerhin hat er zu elf Hollywood-Filmen die Musik geschrieben. Er hat eigene Formationen begründet und einen unnachahmlichen kubanischen Swing gepflegt. Seine Lieder, seine Klavierkompositionen sind in seiner Heimat längst so eine Art Nationalgut. So wurde es hohe Zeit, daß wenigstens einige seiner Klavierwerke einmal kompetent aufgenommen wurden. Kathrin Stott hat 23 der Miniaturen für EMI Classics eingespielt, und natürlich findet sich auch "La Comparsa" darunter, ein Stück kubanischen Karnevals, das es inzwischen in unzähligen Arrangements von Combo bis zu Sinfonieorchester gibt. * Musikbeispiel: La Comparsa "La Comparsa", gespielt von Kathrin Stott, zu finden auf der CD "La Habanera - The Piano Music of Ernesto Lecuona". Lecuona wurde 1896 in Guanabacao auf Kuba geboren und starb 1963 in Santa Cruz auf Teneriffa. Er entstammte einer spanischen Familie, die das Wunder-kind Ernesto schon früh förderte. Mit 17 Jahren legte er am Konservatorium in Havana die Abschlußprüfung ab, mit 21 gab er seinen ersten Klavierabend in New York. Seine große Zeit waren die Zwanziger Jahre. Mitte der 30er Jahre zog er sich von der Leitung seiner Band zurück, die daraufhin unter dem Namen Lecuano Cuban Boys weiter ein Welterfolg blieb und über seinen Tod hinaus noch bis in die 70er Jahre fortbestand. Lecuonas Klavierstil amalgamiert den geistvollen Salon mit Elementen des Jazzpiano und vor allem thematischem und rhythmischem Material der karibischen Musik, vor allem der kubanischen. Über allem steht der Wille zur Eleganz. Aber da gibt es auch die Fähigkeit zum Charakterisieren, den spielerischen Umgang mit modalen Tonleitern, wie ihn, ungleich ernster, Bartók, gepflegt hat. Von der einen oder anderen Wendung ist man dann überrascht; doch das Befremdliche währt nie länger als einen Wimpernschlag. "La Conga de Media Noche - Die Conga um Mitternacht". Es spielt wieder Kathrin Stott. * Musikbeispiel: La Conga de Media Noche Nein, ein Dramatiker war dieser Ernesto Lecuona nicht. Er hat etwas von einem genialen Barmixer, der mit solchen Zutaten wie Pfeffer äußerst behutsam umgeht - schließlich sollen ja seine Gäste keine Magenkrämpfe bekommen -, der aber vor allem über einen äußerst fein entwickelten Geschmack verfügt. Und am besten flößt man sich diese Musik wohl auch mit einem Cai Pirinha oder einem Cuba Libre in der Hand ein. Kathrin Stott spielt diese Musik sehr elegant, manchmal eine Spur zu ordentlich, wie das so ist, wenn man sich an Rezepte halten muß, die nicht die eigenen sind. Immerhin: Diese Lecuona-CD sollte in keinem Single-Haushalt fehlen, jedenfalls nicht dort, wo man ab und an sich vor die Notwendigkeit gestellt sieht, weiblichen oder männlichen Besuch vorsichtig garzukochen. Wie wär's zum Beispiel mit dieser "Vals arabesque"? Das Leben ist zu kurz, um es nicht von der leichten Seite zu nehmen.... * Musikbeispiel: Vals arabesque Das war "Die neue Platte" im Deutschlandfunk, heute mit einer Paganini-CD des jungen russischen Geigers Ilya Gringolts, erschienen bei dem schwedischen Label BIS, und "La Habanera - The Piano Music of Ernesto Lecuona", herausgebracht bei EMI Classics. Zuletzt hörten Sie "Vals arabesque" von Lecuona, gespielt von Kathrin Stott, und mit dieser Musik zum zweiten Frühstück verabschiedet sich Norbert Ely am Mikrofon.

Norbert Ely |