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Labor Ostdeutschland - kulturelle Praxis im Wandel

Die Direktorin der Bundeskulturstiftung Hortensia Völkers im Gespräch

Ein Interview von Beatrix Novy |
    Völkers: Zuerst muss ich etwas zu der Genese des Projekts sagen. Als die Kulturstiftung am 21. März 2002 gegründet wurde, war klar, dass wir nach Halle kommen. Natürlich war es ein gemischtes Team, aber doch mit vielen Mitarbeitern, die eine westdeutsche Sozialisation haben. Wir saßen in Halle, und eines der Programme, die wir bespielen, heißt "Kulturelle Dimension der Deutschen Einheit". Das ist einer unserer Hauptschwerpunkte neben Stadt, Osteuropa und 11. September. Dann war eigentlich die Überlegung, dass wir jetzt mal zehn oder fünfzehn prominente Ostdeutsche und auch einige Westdeutsche zusammenrufen. Historiker, Kulturhistoriker, Soziologen und so weiter haben sich bei uns getroffen. Ich habe dann gefragt: Gibt es eigentlich noch einen Unterschied? Wo passiert was? Wo sollen wir fördern? Wo geht es weiter? Wie sieht das eigentlich aus? Könnt ihr mir erzählen, was sich da abspielt? Was sollen wir tun mit diesem Schwerpunkt? Das ist eine ganz normale Vorgehensweise, die wir haben, weil wir theoretisch alle Orte und Disziplinen der Welt bespielen können. Also muss man sich beraten, kundig machen. So kam diese Idee auf, einen Bericht für uns zu machen. Das ist eigentlich auch die Ursprungsidee. Wir wollten kein Buch machen, das auf den Markt kommt, sondern eigentlich einen Bericht für die Stiftung. Es hat jetzt ein Jahr gedauert, bis es fertig geworden ist. Der Prozess lag darin, mit diesen über 20 Autoren zu sprechen und alle Orte zu besuchen, sich kundig zu machen und eigentlich herauszufinden, wo Leute sind, die neue Projekte, neue Ideen haben, die unter Einbeziehung natürlich des Erbes und mit der Zeit der DDR arbeiten, aber im Grunde genommen neue Sachen vorschlagen? Das ist ein bisschen die Genese.

    Beatrix Novy: Es ist also mehr Perspektivensuche als Bestandaufnahme, kann man das so sagen?

    Völkers: Ja, das kann man so sagen. Nachher hat sich das verselbständigt. Für uns war das in diesem Jahr - und für mich speziell als künstlerische Leiterin - unglaublich informativ, weil ich mich an einer Schock-Informationszeit sensibilisiert und dadurch auch sehr viele Leute kennen gelernt habe.

    Beatrix Novy: Was meinen Sie mit "Schock-Informationszeit"?

    Völkers: Dass es so schnell gehen musste. Wir mussten sofort handeln, wir mussten sofort Projekte verabschieden. Vor allen Dingen mussten wir sofort Instrumente kreieren, wie man am besten Gelder vergibt.

    Beatrix Novy: Glauben Sie, dass die Publikation dabei hilft?

    Völkers: Sie hat uns sehr geholfen. Sie müssen sich vorstellen, das wir praktisch ein Drittel der Gelder im Osten ausgegeben haben. Wie sollten die Leute uns so schnell erreichen? Alle Anträge, die kamen, waren vor allem aus dem Westen, aus Berlin. Das sind die Leute, die geübt sind, Anträge zu stellen. Wir hörten nichts aus den neuen Bundesländern. Durch das Machen dieses Buches oder dieses Berichtes sind wir dann auch in den neuen Bundesländern bekannt geworden und mit den Kulturschaffenden in Kontakt gekommen. Das ist ganz wichtig. Dann war es fertig. Die Bundeszentrale sagte: Das ist ein Superding, wir übernehmen das als eine Edition. Da erscheint es dann ja auch. Es war dann auch für die Autoren sehr wichtig, da noch einmal eine Stimme zu haben und darüber nachzudenken, wie es jetzt aussieht und wie es weitergehen kann. Das ist das eine. Ich glaube, dadurch, dass es hinten auch eine Disk mit den wichtigen Adressen hat, ist es auch für Leute, die jetzt darüber nachdenken, was kulturell weiter passieren soll, ein Nachschlagwerk. Es ist schon sehr informativ.

    Beatrix Novy: Es wird ja immer viel davon gesprochen, dass Kultur in der schrumpfenden Gesellschaft, in der die materielle Basis sich auflöst, die stark von Arbeitslosigkeit geprägt ist, eben als Faktor eine Rolle spielen kann, der wirtschaftlich produktiv wirkt. Kann hiervon die Rede sein in Ostdeutschland?

    Völkers: Ich glaube, diese Frage ist sehr kompliziert, aber auch sehr wichtig, weil man sich erst einmal darauf einigen muss, was man eigentlich unter Kultur versteht. Das ist auch ein Teil dieses Buches. Wenn man davon ausgeht, dass es um Events, um Theater und klassische Sparten geht, kann ich Ihnen das nicht beantworten. Da vermute ich eher Nein, im Sinne von Kultur als Tourismusattraktion. Jede Braunkohlekuhle mit Wasser zu füllen und daraus irgendwie einen Spektakel- und Unterhaltungsort zu machen - da ist es, glaube ich, nicht der Fall. Ich glaube sehr wohl - und das ist es zu einem Teil, was wir mit unserer Stiftung verfolgen-, dass die Kultur sehr ernst zu nehmen ist als ein Instrumentarium, womit man gesamtgesellschaftliche Probleme analysieren soll. Ich glaube - und das ist auch bei unseren großen Programmen sehr wichtig: Es hat eine kulturelle Dimension. Ich glaube auch, dass man Arbeitslosigkeit durch Kultur nicht wird lösen können. Es gibt aber eine kulturelle Dimension, ein Nachdenken: Wie wird ein Leben eigentlich sein, wenn es denn Leute gibt, die nie arbeiten können? Wie müssen wir diese Gesellschaft umstellen? Das ist eine kulturelle Dimension.

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