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Labor: Schulsport
Grundschüler nicht so unsportlich wie gedacht

Grundschüler werden immer unsportlicher, heißt es - doch eine aktuelle Studie der Technischen Universität München kommt zu einem anderen Ergebnis. Die Forscher hatten Erstklässler aus dem Raum Baden-Baden über einen Zeitraum von zehn Jahren zum Sporttest gebeten. Ihr Fazit: Die Entwicklung ist sogar positiv.

Von Lukas Schöne | 08.12.2017
    Staffellauf - Sportunterricht einer dritten Klasse der 28. Grundschule "Johann Strauß" in Berlin-Marzahn.
    Bälle werfen, Slalom laufen: Kommt Schulsport in Deutschland zu kurz? (picture alliance / dpa / Miguel Villagran )
    "Ich wünsche euch einen wunderschönen guten Morgen!"
    "Guten Morgen Frau Weiß!"
    8 Uhr morgens, erste Stunde. Für die Schüler der 1a an der Münchner Klenzeschule beginnt der Tag mit Sportunterricht. Nach der kurzen Begrüßung schwärmen die Kinder aus, um zu spielen. "Fünferfangen" zum Beispiel.
    "Da sind immer fünf, die hier so stehen. Und dann läuft immer einer los. Und wenn er einen gefangen hat, dann kommt er zurück und dann ist ein anderer dran und immer so weiter."
    Die Meisten hier machen gerne mit bei der morgendliche Spielstunde.
    " Ja, super gerne, das ist mein Lieblingsfach."
    "Sport ist mein Lieblingsfach."
    "Ich mag Sport auch sehr gerne."
    "Sport ist mein Lieblingsfach."
    In der 1 A herrscht Einigkeit. Lehrerin Birgit Weiß erläutert das Konzept.
    "Die Montagssportstunde ist unsere Spielestunde. Da machen wir vor allem viel Bewegung und da schauen wir immer, dass wir Lauf- und Fangspiele machen, wo gleich alle Kinder möglichst in Bewegung sind. Da merken wir, die haben Lust dazu und brauchen das auch."
    Spielerisch in Bewegung kommen
    Die Kinder sollen spielerisch in Bewegung kommen und Spaß am Schulsport entwickeln. Und das scheint auch nötig zu sein. Allzu oft heißt es, Grundschüler würden immer unsportlicher. Doch stimmt das überhaupt? Sportdidaktiker Filip Mess von der Technischen Universität München hat seiner neusten Untersuchung den Titel gegeben "Erstklässler fitter als gedacht."
    "Die wichtigsten Erkenntnisse dieser Studie sind, dass sich die motorische Leistungsfähigkeit eigentlich nicht verschlechtert hat, in der Tendenz sogar verbessert hat. Wir sehen bei der Ausdauer der Jungs eine leichte Verschlechterung, bei den Mädchen zeigt sich bei der Ausdauerleistungsfähigkeit keine Veränderung. Und wir sehen bei der Gleichgewichtsfähigkeit und bei der Schnelligkeit sogar Verbesserung in den letzten zehn Jahren.
    Birgit Weiß, die seit über 20 Jahren Sport unterrichtet, hält diese Ergebnisse durchaus für realistisch.
    "Also wenn ich überhaupt eine Veränderung spüre, dann geht die Tendenz eher dazu, dass ich meine, sie sind sportlicher als früher. Also alle Kinder machen privat Sport, in irgendwelchen Vereinen. Jeder hat seine Leidenschaft. Ich würde eher sagen, die Lust an der Bewegung ist sogar noch gestiegen."
    Trotzdem weiß Filip Mess, dass viele seiner Forscherkollegen zu gegenteiligen Ergebnissen gekommen sind.
    "Viele Studien haben in den letzten Jahren eine tendenzielle Abnahme aufgezeigt und dem widersprechen ja unsere eigenen Studienergebnisse. Also wir haben eben eine Verbesserung oder zumindest einen Gleichstand in der motorischen Leistungsfähigkeit. Und ich glaube, das liegt tatsächlich an der Methodik. Also wir haben ja nicht nur zwei Messzeitpunkte, sondern wir haben 10 Jahre Jahr für Jahr gehabt und dadurch können wir eines verhindern: Dass besonders starke oder schwache Jahrgänge diese Ergebnisse verzerren."
    Keine absolute Wahrheit
    Gleichzeitig ist Mess sich bewusst, dass seine Studie nicht repräsentativ für ganz Deutschland ist. Es haben nur Kinder aus Baden-Baden teilgenommen. Er will seine Ergebnisse daher auch nicht als absolute Weisheit verkaufen, sondern vielmehr als methodische Anregung verstanden wissen.
    Doch es gibt auch über die neue Studie hinaus einige Anzeichen dafür, dass viele Kinder tatsächlich wieder etwas sportlicher werden. Für Sportlehrerin Birgit Weiß sind dabei aber nicht unbedingt die ein bis zwei Sportstunden in der Woche entscheidend.
    "Das kann ich jetzt so nicht behaupten, dass ich sage, dass der Sportunterricht ausgebaut werden muss. Weil ich finde, die Kinder sich ohnehin sehr viel bewegen. Wir haben ja auch Pausenzeiten, in denen die Kinder sich viel bewegen und auch nachmittags viel konkret Sport machen. Das kann ich so nicht unterstreichen, nein."
    Die Utopie der täglichen Sportstunde
    Auch das Karlsruher Institut für Technologie hat kürzlich herausgefunden, dass Kinder in Deutschland sich wieder mehr bewegen und dass es weniger übergewichtige Erstklässler gibt. Trotzdem sagen die Karlsruher Forscher: Es ist längst nicht alles gut. Besonders auffällig sei, dass es zwar immer mehr sportliche, aber auch immer mehr unsportliche Kinder gibt. Die Schere geht also weiter auseinander. Eine Beobachtung, die auch Filip Mess gemacht hat.
    "Wir haben sehr viele Kinder, die sehr fit, sehr gut in den Tests abschneiden. Und gleichzeitig haben wir aber auch einen Anteil von Kindern, die eben nicht so gut in der motorischen Leistungsfähigkeit abschneiden. Und da müsste man sich tatsächlich anschauen, wie die sich weiterentwickeln. Gerade die, die motorisch benachteiligt sind. Und natürlich auch gleichzeitig Unterstützungsmöglichkeiten bieten, damit sie motorische Defizite schnellstmöglich aufholen."
    Fazit: Die Entwicklung ist zwar nicht so schlecht wie gedacht, aber noch lange nicht da, wo sie sein könnte. Philip Mess sieht vor allem die Politik in der Pflicht und fordert:
    "Ja, wir brauchen unbedingt die tägliche Sportstunde. Um dann auch den Sportunterricht weiterzubringen und damit auch gesundheitliche Effekte zu erzielen. Ich weiß, das ist utopisch. Das werden wir niemals erreichen. Aber das wir zumindest, dass wir tatsächlich diese drei Sportstunden erreichen. Und wie gesagt, da sind wir leider noch weit entfernt."