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Labor statt Klassenzimmer

Biologie- und Chemielehrer in der Nähe von Heidelberg können für ihr Sabbatical ein in Deutschland einmaliges Projekt nutzen. Das Zentrum für Molekulare Biologie in Heidelberg bietet ihnen nämlich die Möglichkeit, für ein halbes Jahr das Klassenzimmer gegen ein Forschungslabor zu tauschen, dort selbst zu experimentieren und mitzuarbeiten. Ziel ist die Förderung der Kommunikation zwischen Schulen und Universitäten.

Von Martina Senghas | 03.05.2008
    Frank Harder ist Biologie- und Chemielehrer am Helmholtz-Gymnasium in Karlsruhe, einer Stützpunktschule für verbesserten naturwissenschaftlichen Unterricht. Zehn Jahre war er im Schuldienst, hat Kollegen fortgebildet und Referendare betreut. Er bezeichnet sich selbst als leidenschaftlich und engagiert in seinem Beruf, aber als er von dem Projekt "Sabbatical für Lehrer" hörte, musste er nicht lange überlegen.

    " Nach zehn Jahren nutzt sich die Schule ein bisschen ab. Ich habe also gemerkt, dass ich nicht nur die ganze Zeit, mein ganzes Leben lang nur den Regenwurm unterrichten möchte, oder die Moose und Flechten oder die Replikation. Irgendwann wird das Ganze langweilig. Und mein Universitätsabschluss liegt eine Weile zurück, wir driften immer mehr ab vom Stand der Wissenschaft. Wir können zwar Zeitschriften abonnieren, wir können Artikel lesen, wir können Fortbildungen besuchen. Aber letztlich sind die Fortschritte in der Biologie und grade in der Molekularbiologie so rasend, dass es quasi unmöglich ist für einen Lehrer auf dem Stand der Zeit zu bleiben. "

    Also hat er sich beworben und schließlich vom letzten September bis zum Februar am Zentrum für Molekulare Biologie Heidelberg, kurz ZMBH, an der Alzheimer-Forschung mitgearbeitet. Wenn er nun zurückblickt auf diese Zeit, dann ist er in seiner Begeisterung kaum zu bremsen.

    " Ich habe unglaublich viel gelernt, habe komplett neue Einsichten in die Forschungswelt, in molekularbiologische Techniken, in die Forschungsbreiten, ich kann von Misserfolgen berichten, kann in Lehrerfortbildungen und in meinen Kursen viel, viel lebendiger berichten von den ganzen Sachen. Aber es war auch eine ganz tolle menschliche Erfahrung. Einfach zu sehen, wie offen man aufgenommen wird und mit wie viel Freude auch die Leute im Labor auf den Lehrer zugegangen sind, und es ist nun auch heute noch so, dass ich so spätestens alle zwei Wochen hier in Heidelberg im Labor auftauche, um zu reden, und jetzt auch einen Teil meiner Pfingstferien hier verbringen werde, nur um zu helfen. "

    Eine Erfolg also, aber nicht nur für Frank Harder persönlich. Ziel des Projekts ist schließlich, Schule und Universität insgesamt mehr zu vernetzen und die jeweiligen Realitäten besser zu vermitteln. Das geschieht dann, wenn sich Professoren pädagogische und didaktische Rückmeldungen bei den Sabbatical-Lehrern abholen oder wenn diese den Wissenschaftlern klar machen, was an der Schule an Vorwissen vermittelt werden kann und was nicht. Es ist ein Geben und Nehmen, wie es Rolf Lutz, der Koordinator des Projekts am ZMBH ausdrückt. Und auch wenn insgesamt nur neun bis zehn Lehrer an diesem Projekt teilnehmen können, erhofft er sich viel davon.

    " Diese Lehrer, die wieder zurückgehen an die Schule, die sind ja Multiplikatoren, von daher denken wir, dass wir schon eine Breitenwirkung erzielen. Wir haben dann ja teilweise bis zu 2000 Schüler in Kursen, die diese Lehrer dann auch leiten, wir haben Lehrerfortbildungen, die wir dann vor Ort an den Stützpunktschulen machen, das heißt wir haben schon eine Breitenwirkung. Aber dieses Projekt des Forschungssemesters wird immer ein Projekt der kleinen Zahl bleiben. "

    Schüler und Schülerinnen für die Fächer Biologie und Chemie zu begeistern ist jedoch kein Selbstzweck. Langfristig geht es darum, mit der internationalen Forschung Schritt halten zu können und davon dann auch volkswirtschaftlich zu profitieren, wenn es beispielsweise um die Entwicklung eines neuen Medikaments geht. Darin liegt zumindest für Michael Lanzer, Professor für Parasitologie, der Sinn. Deshalb hat er sich bereit erklärt, den nächsten Lehrer in seiner Abteilung für Malaria-Forschung aufzunehmen.

    " Die Universitäten erkennen jetzt zunehmend, dass sie sich der Gesellschaft öffnen müssen. Und öffnen heißt zunächst mal in die Richtung, in der wir unsere Studenten rekrutieren und die rekrutieren wir aus den Schulen heraus. Es ist nicht mehr so leicht für die Universitäten, sehr gute, ausgebildete und auch begeisterungsfähige Schüler und Studenten zu bekommen. Das heißt wir müssen jetzt im Gegensatz zu vor zehn oder fünfzehn Jahren aktiv werden, um diese Studenten rekrutieren zu können. Sonst haben wir keine und das haben wir auch schon gemerkt: Wenn wir keine adäquaten Lehrangebote machen, bleiben uns die Studenten weg. "


    Die Begeisterungsfähigkeit, darauf läuft immer wieder alles hinaus. Sich selbst und andere für eine Sache zu begeistern, das ist das Ziel. Das Sabbatical-Projekt, an dem Frank Harder teilgenommen hat, scheint dabei eine große Stütze gewesen zu sein.

    " Mein Unterricht hat sich verändert. Ich erzähl aus einem anderen Blickwinkel, es ist viel persönlicher geworden. Ich kann viel mehr Niederlagen erzählen, die die Schüler natürlich auch lieben zu hören, und ihnen auch sehr gut verdeutlichen, dass das, was im Buch auf dem Papier steht, die Theorie ist und dass die Praxis oft ganz, ganz anders aussieht. Und dass es nicht immer funktioniert und dass man ein extremes Durchhaltevermögen braucht und ihnen einfach ein bisschen mehr einen Einblick in das Wissenschaftsleben geben, als ich das vorher konnte.

    Also es war für mich eine so schöne Erfahrung und auch eine Aufforderung , dass es nicht vorgeschrieben ist, die ganze Zeit einen graden Weg zu gehen bis zu Pensionierung, sondern dass es unheimlich viele Seitenmöglichkeiten gibt, wo man sich noch engagieren kann, wo man den Alltag vielfältiger machen kann. Und ich glaube je vielfältiger der Alltag für unsere Kollegen ist, desto weniger werden sie ausbrennen und desto mehr werden sie sich die Begeisterungsfähigkeit erhalten. "