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Laboratorium menschlicher Möglichkeiten

Im Frühjahr 1967 begegnet der 20 Jahre alte Student und angehende Schriftsteller Adam Walker auf einer Party dem französischen Gastprofessor Rudolf Born, einem faszinierenden Großkotz, verführerischen Menschenmanipulator und unheimlichen Alleskönner.

Von Shirin Sojitrawalla | 25.07.2010
    Dieser Mann ist das geheimnisvolle Zentrum des neuen Romans von Paul Auster. Er ist es, der dem Leben von Adam den entscheidenden Dreh verpasst. Denkt man eine mögliche Verfilmung des Buches, wären Willem Dafoe oder besser noch John Malkovich denkbare Darsteller.

    Dabei handelt es sich um eine dieser schicksalhaften Begegnungen, wie sie so typisch sind für die Romane des amerikanischen Schriftstellers. Adams Leben wäre ohne Born ohne Zweifel ganz anders verlaufen. Er möchte ihn fördern, um nicht ködern zu sagen. Als sie sich kennen lernen, ist auch noch Margot, Borns Freundin mit von der Partie. Mit ihr beginnt Adam eine Affäre, die für ihn zu einer Reifeprüfung der besonderen Art wird. Doch zuerst macht Born dem jungen Studenten ein Angebot, das dieser nicht ablehnen zu können meint:

    Ich gebe Ihnen 6250 Dollar, sagte er. 5000 für die erste Ausgabe, plus 1250 als erstes Viertel Ihres Jahresgehalts. Lassen Sie sich Zeit, Adam. Wenn Sie den Inhalt bis ... sagen wir ... Ende August oder Anfang September zusammenstellen können, ist das noch früh genug. Bis dahin werde ich natürlich längst weg sein, aber wir können brieflich in Kontakt bleiben und falls sich etwas Dringendes ergibt, können Sie mich per R-Gespräch anrufen. Es war der größte Scheck, den ich je gesehen hatte, und als er ihn aus dem Heft riss und mir hinreichte, wurde mir beim Anblick des Betrags geradezu schwindlig vor Besorgnis. Sind Sie sicher, dass es Ihnen ernst damit ist?, fragte ich. Das ist ungeheuer viel Geld. Natürlich ist es mir ernst damit. Wir haben eine Abmachung, und jetzt sind Sie an der Reihe, die bestmögliche erste Ausgabe unserer Zeitschrift zusammenzustellen. Aber Margot ist nicht mehr da. Sie sind ihr zu nichts mehr verpflichtet. Wovon reden Sie? Das Ganze war doch Margots Idee, erinnern Sie sich? Sie haben mir diesen Job ihr zuliebe gegeben. Unsinn. Das war von Anfang an meine Idee. Margot wollte immer nur mit ihnen ins Bett. Irgendwelche Jobs oder Zeitschriften oder Ihre unsicheren Aussichten für die Zukunft waren ihr vollkommen gleichgültig. Dass sie mich darauf gebracht hat, habe ich Ihnen nur erzählt, weil ich Sie nicht in Verlegenheit bringen wollte.
    Was um alles in der Welt treibt Sie, das für mich zu tun? Um ganz ehrlich zu sein: Ich weiß es nicht. Aber ich sehe etwas in Ihnen, Walker, etwas, das mir gefällt, und aus irgendeinem unerfindlichen Grund bin ich bereit, ein Spiel mit ihnen zu wagen. Ich wette, dass Sie Erfolg haben werden. Zeigen Sie mir, dass ich recht habe.


    Ein Pakt mit einem Teufel. Doch das Geschäft platzt beinahe so schnell, wie es zustande gekommen ist und Born geht zurück nach Paris. Die Gründe hierfür sollten an dieser Stelle besser nicht verraten werden. Nur so viel: eine unerhörte Begebenheit macht aus dem ungleichen Paar Feinde und damit Schicksalsgenossen auf Lebenszeit.

    Wichtiger aber ist, dass Auster mit diesem frühen Eklat das feine Räderwerk seines Romans in Gang setzt. Dabei profitiert er auch, wie schon so oft in früheren Büchern, man denke nur an "Die New York-Trilogie" von den Möglichkeiten des Kriminalromans, mit denen er wieder einmal gekonnt spielt. So kommt es, dass einen die bloße Wiedergabe der Handlung in Verlegenheit bringt, möchte man doch nicht zu viel verraten.

    Von Beginn an sorgt Auster in seinem Roman für eine vibrierende Grundspannung, die den Leser in höchste Alarmbereitschaft versetzt. Dabei nutzt er seinen Protagonisten Adam als Ich-Erzähler, zumindest im ersten der vier Kapitel. Das zweite Kapitel aber erzählt Auster aus der Perspektive von Adams Studienfreund Jim, der im Jahr 2007, also 40 Jahre später, ein Paket von ihm erhält. Darin: Eine Erzählung, die dem ersten Kapitel des Romans "Unsichtbar" entspricht. Schon mit diesem ersten Kniff zieht Auster der Fiktion einen zweiten Boden ein, beginnt ein literarisches Spiel, das er schon oft gespielt hat. Und Auster wäre nicht Auster würde er das Ganze nicht mit elegantem Witz und einer gehörigen Portion Selbstironie verfeinern. So etwa wenn er Jims Reaktion auf Adams Erzählung in Worte fasst:

    Wie soll ich meine Reaktion beschreiben? Faszination, Belustigung, zunehmendes Grauen und zuletzt Entsetzen. Ohne seinen Hinweis, dass es sich um eine wahre Geschichte handele, hätte ich diese 60 Seiten wahrscheinlich für den Anfang eines Romans gehalten (Walker wäre nicht der erste Autor, der in seinem Werk eine Figur mit seinem eigenen Namen auftreten lässt), und dann wäre mir der Schluss wenig glaubhaft erschienen – oder vielleicht zu abrupt, auf jeden Fall unbefriedigend - , aber da ich den Text von Anfang an als autobiografisches Bekenntnis las, reagierte ich darauf mit Erschütterung und großer Sorge. Der arme Adam. Er ging so hart mit sich ins Gericht, schrieb mit solcher Verachtung für seine Schwäche in der Beziehung zu Born, mit solchem Abscheu von seinen kümmerlichen Bestrebungen und seinem jugendlichen Eifer, mit solcher Verbitterung über sein Unvermögen zu erkennen, dass er es mit einem Ungeheuer zu tun hatte, aber wer kann es einem 20-jährigen zum Vorwurf machen, dass er in dem Nebel aus Kultiviertheit und Verdorbenheit, der einen Mann wie Born umgab, die Orientierung verloren hatte?

    Und das ist erst der Anfang der Geschichte, denn Adam schreibt nach dieser ersten Erzählung mit dem Titel "Frühling" noch eine weitere mit dem Titel "Sommer". Darin entfaltet sich der zweite Erzählstrang des Romans, der das familiäre Leben Adams begleitet. Ausgehend vom Sommer 1967, als er sich mit seiner Schwester in New York eine Wohnung teilt, breitet Auster das Schicksal der Familie Walker aus. Die inzestuöse Beziehung der beiden Geschwister lässt er seinen Protagonisten ausführlich beschreiben. Aber auch hier möchten wir nicht zu viel verraten, sind es doch nicht zuletzt seine überraschenden Wendungen, die das Buch auszeichnen. Wichtiger als der Inhalt ist in diesem Fall ohnehin mal wieder die Form. Während Adam seine erste Erzählung, die, wie gesagt, das erste Kapitel des Romans ausmacht, in Ich-Form, also der ersten Person Singular, geschrieben hat, entscheidet er sich für den zweiten Teil "Sommer" für die selten benutzte Du-Form, schreibt also in der zweiten Person Singular.

    Für den dritten Teil seiner Geschichte, die folglich "Herbst" heißen soll, benutzt Adam dann die dritte Person Singular, die Er-Form, schreibt also über sich selbst wie über einen Fremden. Doch was soll das? Das soll einiges. Zum einen lehrt Auster den Leser, auf wie viele Arten und aus welch unterschiedlichen Perspektiven man eine Geschichte erzählen kann. Zum anderen macht er damit wieder einmal das Schreiben selbst zum Thema. Jener Jim nämlich, dem Adam seine Manuskripte anvertraut, ist inzwischen selbst Schriftsteller geworden, weiß also um die Schwierigkeiten, mit denen jene zu kämpfen haben, die am Schreibtisch ihr Tagwerk verrichten. Und so war es auch dieser besagte Jim, der Adam geraten hatte, sich einmal einer anderen Erzählperspektive zu bedienen, um seinem Stoff Herr zu werden.

    Um das an einem Beispiel zu erläutern, erzählte ich ihm von den Problemen, mit denen ich mich bei der Arbeit an einem meiner ersten Bücher zu plagen hatte – auch dies war (gewissermaßen) autobiografisch und sollte aus zwei Teilen bestehen. Teil eins war in der ersten Person geschrieben, und als ich mit Teil zwei anfing (der unmittelbarer mit mir zu tun hatte als der erste Teil), schrieb ich weiter in der ersten Person, war aber immer weniger mit dem Ergebnis zufrieden und hörte schließlich auf. Die Unterbrechung dauerte mehrere Monate (schwierige Monate, qualvolle Monate), und eines Nachts flog mir die Lösung zu. Ich hatte mich, wurde mir klar, der Sache von der falschen Seite genähert. Indem ich von mir selbst in der ersten Person schrieb, hatte ich mich lahmgelegt, mich unsichtbar gemacht, mir die Möglichkeit genommen, das zu finden, wonach ich suchte. Ich musste mich von mir trennen, einen Schritt zurücktreten und ein wenig Raum zwischen mich und meinen Gegenstand (der ich selbst war) bringen, und so begann ich Teil zwei noch einmal von vorn und schrieb ihn in der dritten Person. Aus ich wurde er, und die durch diese kleine Verschiebung geschaffene Distanz erlaubte mir, das Buch fertig zu schreiben.

    Das Wörtchen unsichtbar fällt an dieser Stelle natürlich ganz bewusst, wie auch die anderen Male, wenn Paul Auster beziehungsweise sein deutscher Übersetzer Werner Schmitz sich dafür entscheidet. Es fällt an dieser Stelle nicht zum ersten und auch nicht zum letzten Mal. Aber das nur am Rande. Auster demonstriert in seinem Roman unterschiedliche Arten des Erzählens, wählt unterschiedliche Perspektiven, nimmt unterschiedliche Haltungen ein, gebraucht unterschiedliche Zeiten - Präteritum und Präsens - und mischt obendrein verschiedene Textsorten, indem er Briefe, Tagebucheinträge und Gedichte hinzunimmt. Und er kombiniert verschiedene Genres miteinander, Entwicklungs- und Familienroman, spielt mit Thrillerelementen und erzählt mehrere Liebesgeschichten auf einmal. Dabei schreibt Adam über das, was er selbst erlebt hat, während Jim später in Form bringen wird, was Adam einst aufgeschrieben hat, wobei im Grunde genommen klar ist, dass nur einer das geschrieben hat: Paul Auster. Der freilich verschwindet zuweilen derart hinter seinen schreibenden und dichtenden, lügenden und sich offenbarenden Figuren, dass er geradezu unsichtbar scheint. Dabei geht es in dem Roman auch immer um die Frage, wie aus gelebtem Leben Literatur wird. Wer erzählt was, wie und warum? Und was ist wahr und was gelogen? Immer mal wieder erleben in diesem Buch zwei Menschen vordergründig das Gleiche, doch in Wahrheit erleben sie es auf vollkommen unterschiedliche Weise, was natürlich auch dazu führen wird, dass sie sich später auf vollkommen unterschiedliche Weise daran erinnern werden, Kurz: Die eigene Erinnerung gerinnt zur Fiktion. Was wahr ist und was gelogen, was Literatur ist und was Leben, lässt sich nicht mehr zweifelsfrei entscheiden. Paul Auster gelingt es auch diesmal, der Wirklichkeit den Boden unter den Füßen wegzuziehen. Ebenso typisch für ihn sind die zahllosen Verweise auf die eigene Biografie. So ist Adam Walker nicht nur im gleichen Jahr geboren wie Auster, er besucht auch dieselbe Universität und wird wie Auster einige Zeit in Paris verbringen. Diese Parallelen sind aber nicht als Hinweise auf den autobiografischen Gehalt des Romans zu lesen, sondern müssen vielmehr als Spiel verstanden werden. Als Spiel mit der Fiktion wie mit der Wirklichkeit.

    Der verstörendste Part des neuen Romans von Paul Auster ist das, was Adam in "Sommer" in der Du-Form erzählt. Es ist die Geschichte einer ungewöhnlichen Geschwisterliebe, der Liebe zwischen Adam und seiner Schwester Gwyn. Auster widmet sich damit einem Tabu, das zwar auch literarisch schon verarbeitet wurde, man denke etwa an Thomas Manns Erzählung "Wälsungenblut", aber in seiner expliziten und unverkrampften Direktheit erfindet Auster das Thema aufregend neu:

    Dann kam die Nacht des großen Experiments. Eure Eltern waren übers Wochenende verreist und hatten entschieden, du und deine Schwester wärt alt genug, ohne fremde Aufsicht allein aufeinander aufzupassen. Gwyn war fünfzehn, du vierzehn. Sie war schon fast eine Frau, und du ließest gerade deine Kindheit hinter dir, beide wart ihr Teenager und hattet schwer mit den Frustrationen dieser Lebensphase zu kämpfen: von morgens bis abends an Sex denken, unablässig masturbieren, halb wahnsinnig vor Begierde, eure Körper entflammt von wollüstigen Fantasien, voller Sehnsucht, von jemanden berührt zu werden, von jemanden geküsst zu werden, heißhungrig und unerfüllt, erregt und allein, verdammt.
    In der Woche vor der Abreise eurer Eltern hattet ihr zwei offen über das Dilemma gesprochen, über den großen Widerspruch, alt genug zu sein, es zu wollen, aber zu jung, es zu bekommen. Die Welt hatte euch einen Streich gespielt, als sie euch zwang, in der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts zu leben, und dann auch noch als Bürger einer fortgeschrittenen Industrienation, wohingegen ihr, hättet ihr das Licht der Welt irgendwo am Amazonas oder in der Südsee erblickt, längst keine Jungfrauen mehr wärt. Und dann hattet ihr euren Plan ausgeheckt – unmittelbar nach diesem Gespräch – und freilich gewartet, bis eure Eltern weg waren, bevor ihr ihn in die Tat umsetztet.


    Adam und Gwyn tun es, zumindest erzählt Adam, dass sie es taten. Das Thema erweist sich bei Paul Auster von unaufdringlicher Brisanz. Das liegt weit weniger an der aktuellen Aufregung um Missbrauchsfälle im schulischen und kirchlichen Umfeld als daran, dass er mit der auch körperlichen Liebe eines Geschwisterpaars wirklich an eines der letzten Tabus unserer Zeit rührt. Das konnte man vor ein paar Jahren am Fall eines sächsischen Geschwisterpaares und ihrer vier gemeinsamen Kinder sehen. Die beiden hatten aus freien Stücken zueinandergefunden, von einem Missbrauch konnte keine Rede sein. Dennoch wurde der Mann verurteilt, und das Bundesverfassungsgericht wies später seine Klage gegen das Urteil ab. Der besagte Fall machte deutlich, dass weder unsere Justiz noch wir als Gesellschaft imstande scheinen, mit diesem Thema umzugehen, geschweige denn angemessen darauf zu reagieren. Auster erinnert uns jetzt daran, indem er in diese Lücke stößt und zudem die Frage nach der kulturellen Prägung aufwirft. Liebe und Moral hätten nichts miteinander zu tun, lässt er Adam an einer Stelle sagen. Das dem nicht so ist, davon freilich erzählt die Literatur seit ihren Anfängen. Auster macht zudem deutlich, dass Romane auch Lebensersatz sein können. Dabei spielt er mit den Möglichkeiten der Geschwisterliebe, entwirft Bilder, die vielfältige Assoziationen und Querverweise beinhalten. Als Leser gerät man zuweilen unter eine Art Dauer-Anspielungs-Beschuss. Dabei ist auch die Geschwisterliebe nicht das eigentliche Thema des Buches, sondern bloß ein weiterer Erzählstrang. Auffallend dabei ist, wie explizit Auster diesmal die Darstellung sexueller Vorgänge vorantreibt. Die inzestuöse Raserei der beiden Geschwister kleidet er in deutliche Sätze. Der Inzest erscheint wie ein schöner, verbotener Tanz. Das Netz der Anspielungen, das Auster knüpft, reicht von Dantes "Inferno" bis zu Miltons "Paradise Lost". Und wenn Adam im zweiten Kapitel nach Paris geht, ist das nicht nur eine Parallele zu Austers eigenem Leben, sondern auch zu Frédéric aus Flauberts "Erziehung der Gefühle". Und sitzen Adam und Gwyn gemeinsam in der Badewanne, gleichen sie dem unwiderstehlichen Geschwisterpaar aus dem Bertolucci-Film "Die Träumer". Das Schöne daran? Keine dieser Assoziationen ist abwegig, sie alle spielen ihre nicht unbeträchtliche Rolle im erzählerischen Geflecht des Romans. In Paris trifft Adam dann aber nicht nur wieder auf seinen Erzfeind Born, sondern macht auch die Bekanntschaft von Cécile:

    In mancher Hinsicht findet er sie absolut unmöglich. Sie zappelt und zittert, sie kaut an ihren Fingernägeln, sie raucht nicht, sie trinkt nicht, sie ist militante Vegetarierin, sie stellt zu hohe Ansprüche an sich selbst (man denke an die vernichtete Übersetzung), und zuweilen ist sie erschreckend unreif (man denke an die alberne Weigerung, ihm zu sagen, wo sie das Buch gefunden hat, ihre mädchenhafte Fixierung auf Geheimnisse). Andererseits ist sie zweifellos einer der geistreichsten Menschen, die er jemals kennengelernt hat. Ihr Kopf ist ein erstaunliches Instrument, sie macht ihn schwindlig mit ihren Gedanken zu fast jedem beliebigen Thema, mit ihren Kenntnissen in Literatur und Kunst, Musik und Geschichte, Politik und Wissenschaft. Dabei ist sie keineswegs bloß eine Gedächtnismaschine, eine dieser prototypischen Spitzenstudentinnen, die über die Fähigkeit verfügen, unendliche Mengen ungefilterte Informationen in sich aufzunehmen. Sie ist sensibel und scharfsinnig, ihre Ansichten sind ausnahmslos eigenständig, und so schüchtern und nervös sie auch sein mag, verteidigt sie doch in jeder Debatte hartnäckig ihren Standpunkt. Sechs Tage hintereinander trifft Walker sich mit ihr zum Mittagessen in der Mensa in der Rue Mazet. An den Nachmittagen streifen sie durch die Buchhandlungen, gehen ins Kino, besuchen Kunstgalerien, sitzen auf Bänken an der Seine. Zu seiner Erleichterung scheint sie sich körperlich nicht zu ihm hingezogen zu fühlen, sodass er seine Gedanken an Sex auf Margot (die in dieser Zeit eine Nacht bei ihm im Hotel verbringt) und die abwesende Gwyn beschränken kann, die nie weit weg von ihm ist. Mit einem Wort, trotz all ihrer schwer erträglichen Eigenarten genießt er die Kommunikation mit Céciles Geist so sehr, dass er an ihren Körper nicht zu denken braucht und seine Finger bei sich behält.

    Sein Ende findet der Roman aber weder in New York noch in Paris, sondern auf einer kleinen Insel in der Karibik. Über diese Insel wird an einer Stelle bemerkt, sie sei ein Laboratorium menschlicher Möglichkeiten. Das gilt für den Roman im Allgemeinen wie für diesen Auster-Roman im Besonderen. Ein Laboratorium menschlicher Möglichkeiten. Was auf der Insel geschieht, wird selbstverständlich nicht verraten. Nur so viel: Das wie angestrickt wirkende und wenig reizvoll ausgedachte Ende ist eindeutig der schwächste Teil dieses Romans.

    Paul Auster: "Unsichtbar". Roman.
    Aus dem Amerikanischen von Werner Schmitz. Rowohlt. 315 Seiten, Euro 19,95.
    Paul Auster
    Paul Auster (AP)