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Lady Di in der Toskana

Auch das jüngste Abenteuer von James Hamilton-Patersons Serienheld Gerald Samper strotzt vor bitterböser Ironie und geschliffenster Sprache. Mit großer Eleganz vermag es der Autor einem den größten Schwachsinn als Perlen der Weisheit zu verkaufen - inklusive Lady-Diana-Oper am Schluss.

Von Sacha Verna | 17.11.2009
    Als wir den Protagonisten in James Hamilton-Patersons letztem Roman verließen, verließ diesen gerade sein Haus. Am Ende von "Einarmsegeln mit Millie” kippte das innig geliebte Heim von Gerald Samper über die Kante. Genauer, infolge seismischer Widrigkeiten stürzte "Le Roccie”, so der Name von Sampers rustikalem Idyll in der Toskana, ungefähr hundert Meter in die Tiefe. Verschütt ging damit alles, was sich im Lauf des Lebens eines britischen Wahlexilanten im Paradies so anhäuft, von einem Furzkissen bis zu einer goldenen CD der Boy-Band "Alien Pie". Nicht zu vergessen die Überreste eines köstlichen Dachsfilet Wellington, mit dem Samper in leicht angeheiterter Gesellschaft gerade im Begriff gewesen war, den Erfolg seines jüngsten Werks zu feiern, als das Schicksal zuschlug, nämlich die Biografie der einarmigen Topseglerin Millie Cleat.

    Gerry Samper ist Ghostwriter. Er verwandelt das Erdendasein von Spitzensportlern in Mythen. Dass er sein eigenes Erdendasein ausgerechnet mit dem Produzieren von Kulturbeiträgen dieser Sorte bestreiten muss, ist ihm freilich Quelle nie versiegenden Verdrusses. Denn Gerald Samper fühlt sich zu Höherem berufen. Gerry Samper ist zu Höherem berufen, und fürs Allerhöchste braucht er zum Glück keinen Finger zu rühren. An seiner Stelle greift schon seit fast fünf Jahren sein Schöpfer in die Tasten. James Hamilton-Paterson hat mit dem fröhlichen Misanthropen, dem genial-gemeingefährlichen Koch, dem einzigen Ausländer, der einem das Panorama in Italien nicht verdirbt, eine Figur geschaffen, wie sie die Literatur seit P.G. Wodehouses Butler Jeeves nicht mehr gesehen hat. Samper ist ein Serienheld, der keine Morde aufzuklären braucht, um sich interessant zu machen, einer, der keinen Weltschmerz verströmt, sondern dem Weltscherz zur Blüte verhilft.

    In "Kochen mit Fernet Branca” trat Gerald Samper zum ersten Mal auf. Seither ist er zwar auf Prosecco umgestiegen, weil, so seine Erklärung, dies das Einzige sei, was man im italienischen Sommer den ganzen Tag trinken könne, ohne dass man die Fähigkeit verliere, ein zeitlich zusammenhängendes Leben zu führen. Anderes ist jedoch geblieben. So Sampers woinowische Nachbarin Marta, deren kriminelle Sippschaft sehr zu Sampers Ärger die verlorene Tochter von Zeit zu Zeit per Helikopter besucht. Besucht hat, beziehungsweise wohl noch immer besucht, aber nicht mehr zu Sampers Ärger, zumal mit der Existenz von "Le Roccie” Sampers unfreiwillige Nachbarschaft zu Marta ja ebenfalls ein abruptes Ende gefunden hat.

    In "Heilige der Trümmer”, dem jüngsten Samper-Abenteuer ist auch der Ozeanograf Adrian Jestico noch vorhanden. Ihn hat Samper bei seinen Recherchen über die einarmige Seglerin kennen- und bezirzen gelernt. Und es ist Adrian, der den obdachlosen Gerry nur zu gern in seine Nähe nach England holt, um ihn bei seiner Familie unterzubringen. Dass ein eingefleischter Junggeselle wie Samper es da allerdings nicht lange aushält, versteht sich von selbst. Kommt hinzu, dass die Geröllawine, unter der Sampers einstige Besitztümer begraben liegen, Dinge in Bewegung gesetzt hat, die des Meisters dringende Anwesenheit in den Hügeln über Pisa erfordern. Die Dinge heißen Diana. Die Dinge sind Menschen, die von überall her an die Unglücksstelle strömen, um der verblichenen Prinzessin der Herzen als Heiligen zu huldigen. Warum? Samper war kurz nach dem Ereignis die Bemerkung entschlüpft, Lady Di höchstselbst habe ihm und seinen Gästen in jener verhängnisvollen Nacht den Befehl erteilt, sofort das Haus zu verlassen und ihnen somit allen das Leben gerettet. Ein Witz, ein Missverständnis natürlich! Aber erklären Sie das mal Italienern, denen sich mit dem unerwarteten Zustrom von Wallfahrern nie da gewesene Einnahmemöglichkeiten eröffnen. Erklären Sie das mal Wallfahrern, für die es nichts Erhebenderes gibt, als Kerzen haltend zwischen Olivenhainen in Bittgesänge an und Lobgesänge auf die Göttin von Wales auszubrechen.

    Die Folge davon ist ... nun, die Folge davon sind dreihundert Seiten reinstes Lesevergnügen. James Hamilton-Paterson übertrifft sich selber, was böseste Ironie und geschliffenste Sprache angeht. Ein sozialethnologischer Hieb da, eine existenzialphilosophische Erörterung dort und eine Diana-Oper am Schluss – es ist kaum zu fassen, mit welcher Eleganz und Verve der Autor einem den größten Schwachsinn als Perlen der Weisheit zu verklickern vermag. Dass Gerald Samper sich diesmal kulinarisch-kreativ zurückhält, ist zwar schade, aber nicht seine Schuld. In dem Bereich wird er bestimmt wieder tätig werden, sobald die Küche in dem neuen Haus, das die "Heilige der Trümmer” ihm beschert, funktionsfähig ist. Gerry Samper, Band Nummer vier, bitte bald.

    James Hamilton-Paterson: Heilige der Trümmer. Roman. Aus dem Englischen von Hans-Ulrich Möhring. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2009. 285 Seiten. 37.70 Franken/21.90 Euro.