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Länder beraten über Kürzung des Justizetats

Da die deutsche Justiz seit Jahren schon überlastet ist, haben die Länderminister einen Plan zur Reformierung des Rechtssystems angestrengt, der vor allem Prozesse schneller und ihre Abwicklung einfacher machen soll. Doch schon beim nächsten Treffen der Minister könnte das Programm gekürzt werden. Verlangt wird nunmehr, dass die Justiz auch mit weniger Etat auf hohem Niveau arbeitet.

Von Michael Kuhlmann |
    Ein Sonntagmorgen in Roxel, einem Vorort von Münster. Ein typisch westfälisches Städtchen im Grünen, umgeben von Feldern und Wiesen, geprägt von Eigenheimen inmitten ordentlicher Gärten. Eine Idylle - wie geschaffen für Nachbarschaftsstreitereien.

    Seit Wochen geht das schon so. Zwischen sieben und halb acht Uhr früh ist für Gerwin Schulte-Bölting die Sonntagsruhe vorbei. Aber sein Nachbar Hennekamp - ein enthusiastischer Hobbygärtner - hat sich als echt westfälischer Sturkopf gezeigt. In der Woche habe er einfach keine Zeit für den Garten. Nicht mal die Drohung mit der Polizei hat bei Hennekamp Eindruck gemacht.

    Und weil Gerwin Schulte-Bölting aus der Dorffeldstraße in Roxel mindestens ein ebensolcher Dickschädel ist wie sein Nachbar Hennekamp, ist die Eskalation programmiert. Ein Fall für die Justiz.

    Hennekamp und Schulte-Bölting sind hier zwar zwei fiktive Kontrahenten. Doch das verschlafene Münster-Roxel ist real; und ebenso real sind solche Streitigkeiten zwischen Nachbarn, mit denen sich deutsche Richter Tag für Tag herumplagen müssen. Auch wenn die Deutschen, anders als manchmal behauptet, keineswegs klagewütiger sind als Franzosen, Belgier oder Engländer - so stöhnen viele Gerichte doch unter der Belastung. Denn bei der Justiz selbst regiert seit Jahren der Rotstift. Wolfgang Arenhövel, Präsident des Deutschen Richterbundes:

    " Die Einsparungen sind beträchtlich, die Aufgaben werden aber nicht reduziert. Es gibt Bereiche, in denen wir unsere Aufgaben qualitativ nicht so wahrnehmen können, wie wir meinen, dass sie wahrgenommen werden müssen, und wie im übrigen auch die Gesetze vorschreiben, dass wir sie wahrnehmen müssen. Man kann die Justiz nicht kastrieren und anschließend von ihr ungeheure Potenz verlangen. "

    Nun sind die Länderjustizminister in Aktion getreten. Am Mittwoch und Donnerstag kommender Woche wollen sie das Thema auf ihrer Tagung in Dortmund diskutieren. So jedenfalls ist es ungeachtet anders lautender Pressemeldungen geplant. Im vergangenen Herbst schon hatten sie sich in Berlin getroffen und ein Reformunternehmen ins Werk gesetzt.

    Punkt eins:
    Die Prozesse sollen schneller über die Bühne gehen.


    Punkt zwei:
    Die Organisation, die so genannte Gerichtsverfassung, müsse vereinfacht werden.

    Punkt drei immerhin:
    Die Justiz soll weniger Aufgaben erfüllen müssen.

    Und Punkt vier:
    Vielleicht könne es ja sogar so etwas wie Qualitätswettbewerb zwischen den Gerichten geben.

    Seit November nun haben die Staatssekretäre der Länder darüber beraten. Von der ehrgeizigen Reform allerdings - so mahnten Kritiker schon im April - bleibe dabei nur wenig übrig. Auch Michael Steindorfner, der Amtschef des baden-württembergischen Justizministeriums, kennt diesen Vorwurf. Aber:

    " Ich muss sagen, wer behauptet, hier kreißt der Berg und gebiert eine Maus, der hat sich schlicht diese Vorschläge nicht angeschaut; wenn man sich nur mal allein vorstellt, dass ohne inhaltliche Änderungen die Zahl der Vorschriften auf ein Drittel im Bereich des Gerichtsverfassungswesens reduziert werden kann mit diesen Vorschlägen, dann kann man doch nicht davon reden, dass von dieser ursprünglichen großen Reform jetzt am Schluss nichts übrig bleiben würde! "

    Beim anstehenden Ministertreffen freilich kann ein Teil der Ideen durchaus zu Fall kommen. Zumal mehr als ein Land die Reform erst einmal verschieben will. Der rheinland-pfälzische Ressortchef Herbert Mertin von der FDP plädiert ebenso dafür wie sein gerade abgelöster nordrhein-westfälischer Kollege Wolfgang Gerhards, SPD:

    " Wir haben keinen Bedarf nach einer echten großen Justizreform, weil insgesamt die Justiz in Nordrhein-Westfalen und auch in Deutschland ziemlich gut im internationalen Vergleich dasteht. Das zweite: Wir machen das zu akzeptablen Kosten! Also, um das Musterbeispiel Amerika oder Großbritannien zu nehmen, das uns leuchtend vorgehalten wird: da gibt es zwar weniger Richter pro Kopf der Bevölkerung, aber die Entscheidungen sind sehr viel intransparenter, und sind weniger zu steuern, das heißt, man muss Anwälte haben, und die sind in der Regel sehr viel teurer als bei uns, und das grenzt dann an die Frage: Kann der Staat eigentlich noch für alle Rechtssicherheit und Rechtsgewährung garantieren? Das kann er bei uns! Das kann er bei den Kosten, die es in anderen Ländern gibt, zum Teil nicht mehr. "

    Dass die Qualität der Justiz stimmt - das wollen die meisten Reformverfechter gar nicht abstreiten; auch nicht der Vertreter des bayerischen Justizministeriums, Alexander von Hornstein:

    " Ich glaube aber - und das ist mir wichtig - dass der Ansatz, die Justizreform nur unter Mängelbeseitigung zu sehen, zu verkürzt ist. Den Justizministerinnen und Justizministern war es wohl sehr wichtig, die Justiz leistungsfähig für die Zukunft zu machen. Die Justiz muss auch bei veränderten und bei schlechteren Rahmenbedingungen - wie sie aufgrund der Haushaltslage kommen werden - zukunftsfähig auf hoher Qualität arbeiten können. "

    Auf eine finanzielle Extrawurst werden die Justizetats nirgendwo mehr hoffen können. Also wollen die Reformer ein paar elementare Dinge umkrempeln. Zum Beispiel bei der Gerichtsorganisation. Unsere westfälischen Zänker Hennekamp und Schulte-Bölting müssen ihren Streit um die Sonntagsruhe vor dem Amtsgericht austragen. Wenn Schulte-Bölting allerdings montags ein Brief ins Haus flattert, wonach er ein Viertel seines Grundstücks für die neue Umgehungsstraße hergeben soll, und er stocksauer darauf reagiert, dann ist er beim Amtsgericht falsch - er muss zum Verwaltungsgericht. Wenn ihm sein Steuerbescheid nicht passt, dann ist das ein Fall fürs Finanzgericht. Aus insgesamt fünf solchen Bereichen besteht die deutsche Justiz, jeder mit eigenem Personal und eigenen Verfahrensregeln.

    Vollkommen überholt, unken die Reformer. Sie wollen aus den fünf Teilen zwei machen, also zum Beispiel Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichte künftig unter ein Dach. Der größte Vorteil dabei: Man könnte Richter flexibel dorthin versetzen, wo gerade die meiste Arbeit anfällt. Mit der neuen Hartz-IV-Gesetzgebung zum Beispiel sind viele Verfahren von den Verwaltungs- zu den Sozialgerichten gewandert. Nur die Verfahren - die Richter blieben, wo sie waren. Ihre Kollegen in den Sozialgerichten verschwanden derweil zwischen immer neuen Aktenbergen.

    Ganz so einfach ist die Fusion allerdings nicht. Das finden Praktiker wie der Krefelder Rechtsanwalt Gero Hattstein.

    " Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass jemand, der sich in die Feinheiten des Bauplanungsrechts als Verwaltungsrichter eingearbeitet hat, ab Mitte des Jahres dann Einkommensteuerrecht entscheidet. Man kann nicht erwarten, dass ich mit Richtern, die dann noch sich in verschiedenen Gerichtsbarkeiten auskennen sollen, in der ersten Instanz abschließend brillante Urteile hinkriege; das kann man von keinem Richter der Welt verlangen. "

    Geld sparen ließe sich aber auch in einem anderen Punkt: nämlich bei den Verfahren selbst. Gesetzt den Fall, unser erboster Münsteraner Schulte-Bölting hatte vor dem Amtsgericht Pech: Nachbar Hennekamp darf seinen Garten sonntags weiter lautstark maniküren. Dann kann sich Schulte-Bölting gegen das Urteil wehren: mit der Berufung.

    Daraufhin geht das Verfahren eine Instanz höher, vom Amts- zum Landgericht. Und früher hieß das sogar: alles wurde noch einmal durchgekaut, monatelang. Mit allen Zeugen, mit Expertengutachten über die Geräuschemissionen von Rasenvertikulierern und klugen Anwaltsplädoyers. Auch wenn die Richter des Amtsgerichts vielleicht nur den Lärmschutzeffekt eines Kirschlorbeerstrauches überschätzt hatten. Hier ist der Gesetzgeber 2002 auf die Bremse getreten: Seither kommt in der Berufung nur der Kirschlorbeer wieder auf den Tisch, die übrigen Tatsachen werden als unstreitig abgehakt.

    Doch auch das ist einigen Fachleuten noch zuviel. Es genüge vollauf, wenn sich ein Gericht durch die Berge von Gutachten und Beweisstücken kämpfen müsse. Damit könnte man eine komplette Instanz einsparen, und es blieben zwei übrig: In unserem Fall würde das Amtsgericht den Sachverhalt klären und ein Urteil fällen. Das könnte Schulte-Bölting beim Landgericht zwar noch einmal durchleuchten lassen, aber nur auf rein juristische Macken. Der Kirschlorbeer käme nicht noch einmal zur Sprache. Und die dritte Instanz beim Oberlandesgericht gäbe es überhaupt nicht mehr. Ein heißumstrittenes Thema; auch der Rechtswissenschaftler Prof. Gerhard Wagner von der Universität Bonn rät zur Vorsicht.

    " Dass man jetzt insgesamt sozusagen auch offen zu zwei Instanzen übergeht - das wäre im internationalen Vergleich neu! Nun wird man sagen können, ob zwei oder drei Instanzen, da würde doch die Gerechtigkeit nicht leiden - nun, dazu muss man wissen, dass bei komplexen Fällen es schon nützt, wenn verschiedene Spruchkörper einen Blick darauf werfen und ein Fall sich durch die Instanzen entwickelt, und zweitens muss man auch sehen, dass das Vorhandensein eines Instanzenzuges eine disziplinierende Funktion auf alle im Justizbetrieb Tätigen hat. "

    Hinzu kommt eine Erfahrung aus der Praxis. Unsere beiden Streithähne aus Westfalen bekommen das erste Urteil derzeit ziemlich schnell, im Schnitt nach vier Monaten. In der ersten Instanz arbeiten die Richter nämlich meist ziemlich pragmatisch. Gingen sie nach dem Buchstaben der Prozessordnung, dann würden die Verfahren ungleich länger dauern.

    Diese Gefahr bestünde allerdings sofort, wenn nur noch eine Instanz die Tatsachen klären könnte. Wolfgang Gerhards:

    " Das muss man sich praktisch vor Augen führen - die große Zahl der Fälle würde nicht relativ schnell und ein bisschen über den dicken Daumen gepeilt entschieden, aber einigermaßen richtig, sondern jeder Anwalt wäre gezwungen, in jedem Verfahren nun wirklich alles an erdenklichen Ideen und Abstrusitäten aufzutürmen, dem Gericht auf den Tisch zu knallen und zu sagen: Jetzt such Dir mal raus, was Du von meinem Vortrag für relevant hältst, und entscheide danach! Ingesamt würde es für die Beteiligten teurer, komplizierter und würde länger dauern. "

    Das gilt übrigens auch bei Strafverfahren, gleich ob Ladendiebstahl oder Körperverletzung. Zwei Denkweisen prallen hier aufeinander: Wolfgang Gerhards und seine Mitstreiter bauen darauf, dass vier von fünf Verfahren heute ohnehin nur eine Instanz brauchen - nach ein paar Monaten ist Ruhe. Und für den kleinen Rest lohnt der große Umbau nicht.

    Dagegen stehen etwa die Justizminister Niedersachsens und des Saarlandes. Ihr Argument: Die zweite Instanz kostet einfach zuviel, Zeit und Geld. Deshalb soll sie gestrafft werden. Alles soll sich mehr auf die erste Instanz verlagern.

    Dieses Ziel hatte 2002 schon die Reform der Zivilprozessordnung verfolgt, auch ZPO-Reform genannt. Gerhard Wagner von der Universität Bonn hat sich mit deren Folgen allerdings einmal genauer befasst:

    " In keinem Bundesland ist es zur Stärkung der ersten Instanz gekommen. Das hätte bedeutet, dass man von den oberen Gerichten Richter versetzt in die erste Instanz! Oder, wenn man das Geld übrig hat, was kein Bundesland hat, dort einfach zusätzliche Stellen schafft. Das ist offensichtlich nirgendwo geschehen, dieses Versprechen ist quasi nicht eingelöst worden. "

    Während sich die Experten bei den Prozessregeln und der Gerichtsorganisation also noch über die Vor- und Nachteile uneins sind, sieht es woanders schon ein wenig klarer aus: Seit Jahrzehnten nämlich hat die Politik den Gerichten viele Arbeiten aufgeladen, die eigentlich gar nichts mit Rechtsbrüchen, Streitigkeiten und Urteilen zu tun haben. Amtsgerichte verwalten heute zum Beispiel Grundbücher, Handels- und Vereinsregister, oder sie kontrollieren das, was man früher Vormundschaft nannte. Zusatzaufgaben, die viel Geld kosten - und deshalb liegt es nahe, die Gerichte davon zu befreien. Baden-Württemberg hat da schon einiges unternommen.

    " Wir haben die Bewährungs- und Gerichtshilfe einem freien Träger, einem Verein übertragen; wir haben vor, den Gerichtsvollzieherbereich im Sinne der Beleihung eines privaten Unternehmens mit einem solchen öffentlichen Amt - ich sag jetzt in Anführungszeichen - zu privatisieren, weil wir glauben, dass ein Wettbewerb hier sehr viel mehr Effizienz bringen wird als das derzeitige Zwangsvollstreckungswesen mit beamteten Gerichtsvollziehern bringen kann. "

    Denn das funktioniert nicht mehr so, wie es eigentlich sollte. Wenn der unentwegte Münsteraner Schulte-Bölting vor dem Landgericht doch noch siegt, dann kann er zwar einen Gerichtsvollzieher zum Nachbarn Hennekamp schicken, um dem Maschinenlärm ein Ende zu machen. Dazu muss er aber erst einmal Geld vorschießen; und dann kann alles gut und gerne drei bis vier Monate dauern. Denn die Gerichtsvollzieher sind heute chronisch überlastet. Und obendrein gibt es keine Erfolgsgarantie.

    Da argwöhnen allerdings viele, das könnte auch an den Gerichtsvollziehern selbst liegen. Ihre Gebühren kassieren die heute nämlich nicht erst, wenn sie den berühmten Kuckuck auf den Fernseher geklebt haben. Sondern schon dann, wenn sie einen Blick in die Wohnung werfen und vielleicht finden, dass dort nur ein Haufen Ramsch herumsteht - nichts, was sich versilbern ließe.

    Privatisierung sei also das Zauberwort. Erfolgsprämien, Bezahlung nach Leistung - und Wettbewerb der privaten Vollstrecker. Sozialdemokrat Wolfgang Gerhards:

    " Das ist eine ganz beliebte Idee. Ich halte sie für eine der schlechtesten überhaupt. Wenn das nämlich so ist, dass das Private machen über kurz oder lang, könnte ich nicht sicherstellen, dass die sich an die Regeln halten. Und für den Schuldner, bei dem vollstreckt wird, ist es oft wirklich existenziell. "

    In der Krise steckt das Gerichtsvollziehersystem aber trotzdem - besonders in den neuen Ländern. Statt es zu privatisieren, könnte man allerdings auch das Vollstreckungsrecht selbst einmal entrümpeln. Rechtsanwalt Hattstein erlebt es oft genug, wie einem Gerichtsvollzieher Knüppel zwischen die Beine geworfen werden.

    " Also, wenn Sie mal versuchen, eine Wohnung zwangszuräumen bei einem Mieter, der mit den Mieten in Rückstand geraten ist, dann kann er immer noch mal Vollstreckungsschutz beantragen, weil der Umzug ihm nicht zumutbar ist, also, man muss sich auch mal fragen, wo ist ein gewisser Gläubigerschutz! Das sind zum Beispiel Dinge, das müsste man doch ohne weiteres und ohne großen Aufwand, der sicherlich weit unter dem einer Großen Justizreform liegt, reformieren können. "

    Und noch ein Punkt: Kein privater Gerichtsvollzieher würde so preiswert arbeiten wie ein beamteter, ein subventionierter. Auch Alexander von Hornstein vom bayerischen Justizministerium sieht dieses Problem.

    " Allerdings darf man dabei nicht vergessen, dass die Gebühren im Moment sehr niedrig sind. Wir haben auch Signale bekommen aus dem Bereich der Wirtschaft, dass man auch mit einer stärkeren Anhebung der Gebühren einverstanden wäre, wenn dadurch die Effizienz der Vollstreckung sich erheblich verbessert. Es ist ein Zuschussbetrieb, pro Gerichtsvollzieher bundesweit 39.000 Euro! "

    Und von dieser alljährlichen Belastung muss die Staatskasse früher oder später befreit werden. Wer also künftig als Gläubiger die Justiz bemüht, der könnte bald mehr Geld auf den Tisch legen müssen als heute. Zeit mitbringen muss er außerdem. Und Sitzfleisch auf den hölzernen Wartebänken in Gerichtsfluren aus Kaisers Zeiten.

    Es könnte allerdings auch schneller gehen - zum Beispiel, wenn man ganz ohne Prozess und Urteil auskommt. Deshalb hat der Gesetzgeber in der jüngsten Vergangenheit Schiedsverfahren und Streitschlichtungen gefördert. Das ließe sich sogar per Gesetz an einen Prozess koppeln. Gerhard Wagner von der Universität Bonn hat sich intensiv mit solchen Schlichtungen befasst:

    " Wenn man außergerichtliche Streitbeilegungsinstrumente mit dem Gerichtsverfahren verzahnen will, dann ist das eine gute Idee, weil nämlich häufig erst im Laufe des Rechtsstreits sich die Einigungspotentiale auftun. Weil die Parteien mehr über die jeweils gegnerische Perspektive lernen und damit auch besser in der Lage sind, ihre eigenen Erfolgschancen realistisch einzuschätzen und den Über-Optimismus abzubauen. "

    Rein zahlenmäßig sind gelungene Schlichtungen allerdings immer noch selten. Sie allein geben noch nicht den Befreiungsschlag für überlastete Gerichte ab.

    Die Justiz fit für die Zukunft zu machen, das wird also im ganzen weniger eine Aufgabe für kühne Visionäre sein als vielmehr ein Fall für akribische Tüftler. Auch die neuen, nebulösen Formeln von Wettbewerb und "Qualitätsmanagement" allein tragen nicht weit. Rechtsanwalt Gero Hattstein:

    " Wenn mit Qualitätsmanagement die Fragen der richterlichen Leistungen angesprochen sind, dann ist es sehr schwierig, letztlich kann es dann nur die Berufungsinstanz beurteilen, ob das erstinstanzliche Urteil gut oder weniger gut ist; aber man könnte zum einen sicherlich in der Organisation der Geschäftsstellen und Betriebsabläufe was verbessern, die zum Teil auch relativ unzureichend ausgestattet sind. "

    Richterbundschef Wolfgang Arenhövel hat so etwas in seiner Zeit als Landgerichtspräsident in Verden an der Aller getan: Wenn dort der Vertreter eines Notars eingesetzt werden sollte, dann fielen dafür nicht weniger als 18 Arbeitsschritte an. Arenhövel straffte das Verfahren radikal, entwarf für 9 Mark 95 einen Spezialstempel - und konnte mit einem Schlag fünfstellige Personalkosten pro Jahr einsparen.

    Auch der Deutsche Anwaltverein, kurz DAV, sieht hier Verbesserungspotentiale. Der Bonner Rechtsanwalt Felix Busse hat die Justizreformkommission des DAV geleitet. Er plädiert für Transparenz:

    " Wir glauben, man muss untersuchen: wo wird eigentlich am besten und rationellsten gearbeitet, und warum ist das so? Und in dem Moment - das ist unsere Überzeugung -, wo die Richterschaft sieht, anderswo geht es anders und besser, und sich dann auch für die Gründe interessiert, warum es da so ist, dann werden wir vorwärtskommen, es wird also Wettbewerb, Leistungswettbewerb entstehen, und den brauchen wir dringend. "

    Grenzen setzt bei allem Reformeifer freilich die einheimische Rechtskultur. Das Leben in Deutschland ist juristisch hochgradig reguliert, und das seit über einhundert Jahren. Für langwierige Prozesse und mühsame Vollstreckungen macht Busse die Justiz deshalb nicht allein verantwortlich.

    " Die Hauptursache sind zunächst mal viel zuviele Gesetze; und zwar Gesetze, die sich dauernd ändern! In dem Moment, wo ein Richter die Rechtssicherheit verliert, weil der Gesetzgeber dauernd rumfuhrwerkt, da kann er auch nicht so schnell arbeiten, wie er es gekonnt hätte, wenn er sich in einer Materie bewegt, die schon 20 Jahre gilt. "

    Ein Vorwurf an die Legislative, an Parlamente und die Denker in den Ministerien - Paradebeispiel: Steuerrecht. Mit diesem Problem würde auch die radikalste Justizreform allein nicht fertig.

    Ihren Teil allerdings wird die Justiz früher oder später beitragen müssen. Gleich was die Länderminister in der nächsten Woche bei ihrer Konferenz beschließen - langfristig verlangen viele Detailfragen nach neuen Lösungen. Gefragt sind dabei freilich Augenmaß und Geduld - schließlich gab es 2002 und 2004 gerade Reformen, deren Ertrag sich erst noch zeigen muss. Vor Schnellschüssen warnt Wolfgang Arenhövel vom Deutschen Richterbund also ebenso wie der Rechtsexperte der FDP, Rainer Funke.

    " Die ZPO-Reform wird im Moment evaluiert, und auf der Grundlage dieser Ergebnisse sollte man dann weitere Überlegungen anstellen - und nicht voreilig schon wieder an einer Stellschraube versuchen zu drehen, ohne zu wissen, was bei der vorherigen Drehung passiert ist. Wir haben ein ganz gutes Rechtsschutzsystem in der Bundesrepublik Deutschland, ich würde sogar sagen, eines der besten in der Welt. Natürlich, wir müssen mit unseren Ressourcen sehr sparsam umgehen, aber der Rechtsschutz des Bürgers darf darunter nicht leiden. "