Archiv


Länger arbeiten für weniger Geld

Wir können mit Arbeitszeitpolitik durchaus einen nennenswerten Beitrag leisten: wenn es am Ende nur 500.000 Arbeitsplätze wären, die man mit der 42-Stunden-Woche erzielen könnte, dann wäre es auch schon den Versuch wert.

Von Annamaria Sigrist |
    Ich fordere alle diejenigen Propheten auf, die uns jetzt hier erzählen, mal soll die Arbeit verlängert werden, dann soll der Urlaub gekürzt, dann sollen die Leute bis 67 arbeiten – ja Herrgott-nochmal – wie hoch soll die Arbeitslosigkeit werden, wenn die Leute mehr arbeiten sollen?

    Mehr oder weniger arbeiten – die Diskussion um längere Arbeitszeiten in Deutschland könnte nicht kontroverser sein. Arbeitsmarktexperte Hilmar Schneider vom Bonner Institut zur Zukunft der Arbeit ist sich sicher: um Jobs zu schaffen, müssen längere Arbeitszeiten her. Doch die Gewerkschaften, insbesondere die IG-Metall, befürchten genau das Gegenteil: längere Arbeitszeiten vernichten Stellen – die Folge in ihren Augen ist Massenarbeitslosigkeit.

    Angefangen hat die öffentliche Debatte mit der Einigung bei den beiden Siemens-Werken in Nordrhein-Westfalen – Kamp-Lintfort und Bocholt. Um die Arbeitskosten in den beiden Handywerken zu senken, hat Siemens mit dem Vorstand der IG-Metall eine spektakuläre Vereinbarung zur Standortsicherung getroffen: Die insgesamt 4000 Beschäftigten müssen jetzt 40-Stunden in der Woche arbeiten, statt wie bisher 35 Stunden. Mehr Geld erhalten die Beschäftigten dafür aber nicht. Zusätzlich müssen sie noch auf Urlaubs- und Weihnachtsgeld verzichten. Im Gegenzug hat Siemens versprochen: Die Jobs bleiben in Deutschland, die Drohung die Werke nach Ungarn zu verlagern wird fallen gelassen. Vorerst, denn die Standortgarantie gilt zunächst einmal nur für zwei Jahre.
    Martin Kannegiesser, Präsident des Arbeitgeberverbandes "Gesamtmetall" hält die Vereinbarung bei Siemens für den richtigen Schritt.

    Unsere Kosten sind im Weltmaßstab hoch. Und deshalb werden wir uns nur behaupten können durch Vorsprünge halten gegenüber vergleichbaren Wettbewerbern. Das bedeutet mehr berufliches Engagement, das bedeutet auch mehr Einsatz. Das kann bedeuten ein Mehr an Arbeitszeit, also generell mehr berufliches Engagement, mehr Leistung. Das gilt für eine Industrie, die zu 70 Prozent auf den Weltmärkten operieren und sich dort ihre Existenz immer erkämpfen muss.

    Auch Hilmar Schneider vom Institut zur Zukunft der Arbeit meint, die zu hohen Kosten seien der Grund, warum viele Betriebe längere Arbeitszeiten wollen.

    Das ist das Thema. Und wenn in Deutschland Arbeitskosten zu hoch sind, dann gibt es zwei Möglichkeiten darauf zu reagieren. Entweder dadurch, dass die Arbeitnehmer auf Lohn verzichten oder dadurch, dass sie zum gleichen Lohn länger arbeiten. Für den Arbeitnehmer hat die letztere den Vorteil, dass er keinen Einkommensverlust hinzunehmen hat. Trotzdem sorgt er dafür, dass sein Unternehmen pro Arbeitsstunde, günstiger produzieren kann.

    Arbeitsmarktexperten wie Schneider oder auch der Chef des Münchner Wirtschaftsforschungsinstituts, Hans-Werner Sinn, sind überzeugt: Sinken die Kosten für Arbeit, werden die Unternehmen wettbewerbsfähiger. Sinn glaubt sogar an vier Millionen neue Arbeitsplätze, wenn die Löhne um zehn Prozent gekürzt würden. Den gleichen Effekt hätte es, wenn alle Arbeitnehmer 42 Stunden in der Woche arbeiten würden, so Sinn. Die einfache Formel lautet: Mehr Arbeit bringt langfristig mehr Jobs.

    Die Gewerkschaften, insbesondere die IG-Metall, sehen das natürlich ganz anders. Sie halten daran fest – durch kürzere Arbeitszeiten können insgesamt mehr Menschen in Arbeit gebracht werden. Die vorhandene Arbeit müsse auf möglichst vielen Schultern verteilt werden. Hartmut Meine, IG-Metall Bezirkleiter aus Niedersachsen und Sachsen-Anhalt.

    Wir haben aus guten Gründen vor gut 20 Jahren begonnen, die Arbeitszeit von 40 Stunden schrittweise herunterzuholen auf 35 Stunden, um einen kleinen Beitrag zur Reduzierung von Arbeitslosigkeit zu leisten. Stellen Sie sich vor, wir würden überall die 40-Stunden-Woche einführen, allein in der Metall-Industrie hieße das 300.000 bis 400.000 zusätzliche Arbeitslose. Die 35-Stunden-Woche ist und bleibt das zentrale Moment, um etwas zu tun gegen Massenarbeitslosigkeit.

    Die IG-Metall betont immer wieder, der Fall Siemens und die Einigung auf eine 40-Stunden-Woche ohne Lohnausgleich müsse eine absolute Ausnahme bleiben. Die Drohung, nach Ungarn abzuwandern sei so massiv gewesen, dass der Belegschaft und der Gewerkschaft nichts anderes übrig blieb, als zuzustimmen. Obwohl selbst IG-Metall-Chef Jürgen Peters an der Einigung beteiligt war, nannte er die 40-Stunden-Woche die größte Jobvernichtungsmaschine der Nachkriegsgeschichte.

    Flächendeckende Verhandlungen über längere Arbeitszeiten lehnt die Gewerkschaft daher strikt ab. Die bestehenden Tarifverträge in der Metall- und Elektroindustrie würden ohnehin schon Spielräume für längere Arbeitszeiten schaffen. So können bis zu 18 Prozent der Belegschaft schon jetzt 40 Stunden in der Woche arbeiten- gegen Bezahlung, erklärt IG-Metall Bezirksleiter Hartmut Meine:

    In diesen einzelnen Fällen, die tariflich geregelt sind, beispielsweise bei Ingenieuren oder Forschungs- und Entwicklungsabteilungen ist es möglich 40 Stunden zu arbeiten. Aber ansonsten gehe ich davon aus, dass die 35-Stunden-Woche in Westdeutschland und die 38-Stunden-Woche in Ostdeutschland Bestand haben wird.

    Fakt ist, immer mehr Betriebe wollen die Arbeitszeit verlängern. Der erst im Februar abgeschlossene Ergänzungstarifvertrag bietet Metall- und Elektrobetrieben in Deutschland größere Spielräume. Gesamtmetallchef Kannegiesser:

    Wir haben jetzt ungefähr 50 Betriebe, die aufgrund dieses neuen Tarifvertrages Ergänzungstarifverträge abgeschlossen haben. Und dieselbe Zahl, oder ein bis zwei Dutzend mehr sind im Gespräch darüber. Wir werden sehen, in wieweit die Tarifparteien mitmachen, dabei wirklich konstruktiv mitarbeiten. Denn wenn sie nicht konstruktiv mitarbeiten und dies blockieren würden, umso mehr wird man dann nach neuen Möglichkeiten suchen müssen.

    In vielen Unternehmen sind längere Arbeitszeiten bereits Realität. Beim LKW-Reifenbauer Conti beispielsweise, beim Stahlkonzern ThyssenKrupp, oder wie jüngst beschlossen beim Touristikunternehmen Thomas Cook. Möglich wurde das durch Haustarifverträge. Die können die Gewerkschaften zusammen mit Arbeitgebern abschließen, wenn die Existenz des Unternehmens gefährdet ist.

    Ansonsten wird vielfach verhandelt: Der Fahrzeug- und Maschinenbaukonzern MAN will länger arbeiten lassen, Bosch, Philipps und Karstadt. In der Bauindustrie fordern zurzeit die Arbeitgeber für die knapp 800.000 Beschäftigten 42 statt bisher 39 Stunden. Auch Bundesbahnchef Hartmut Mehdorn würde gern die Wochenarbeitszeit von 38 auf 40 Stunden erhöhen.
    Hilmar Schneider vom Institut zur Zukunft der Arbeit wirft den Gewerkschaften eine Blockadehaltung vor.

    Es kann leicht passieren, dass es ein halbes Jahr dauert, bis sich die Gewerkschaft mit den Unternehmen auf ein Arbeitszeitmodell verständigt. Und das ist eine Angelegenheit, die insbesondere bei kleinen Unternehmen längst dazu geführt hat, dass die sich längst vom Tarifverband verabschiedet haben, oder unter stillschweigender Duldung der Gewerkschaften mit ihrer Belegschaft auf Lösungen verständigt haben, die zwar nicht von dem Tarifvertrag gedeckt sind, die aber dem Unternehmen das Überleben ermöglicht haben. Im Verborgenen, wenn ich das mal so sagen darf, geht wahrscheinlich schon sehr viel mehr als die IG-Metall und andere Gewerkschaften zugeben möchten.

    Hartmut Meine von der IG-Metall will hart bleiben:

    Die 35-Stunden-Woche ist Tarifvertrag vereinbart. Dieser Tarifvertrag ist nicht gekündigt. Ich will allerdings jedem Unternehmen sagen, das damit spekuliert, jetzt möglicherweise die IG-Metall zu drängen, vom Tarifvertrag abzuweichen, dass die sich sehr warm anziehen sollen. Wir werden in jedem Einzelfall mit den Betriebsräten, mit den Belegschaften darauf drängen, dass die 35-Stunden-Woche eingehalten wird. Ich will noch mal daran erinnern: Das sind alles rechtsgültige Verträge, die die Unterschrift der IG-Metall, aber auch die Unterschrift der Arbeitgeberverbände tragen! Insofern ist das ganze Geschnatter von einigen Politikern, die jetzt da in die Welt hinausposaunen, die 40-Stunden-Woche müsse eingeführt werden –das geht an den Realitäten der abgeschlossenen Tarifverträge vorbei.

    Gesamtmetallchef Martin Kannegiesser fordert alle Tarifparteien auf, bei den Verhandlungen immer die jeweilige Situation des Unternehmens im Blick zu haben. Eine generelle Arbeitszeitverlängerung würde sicherlich nicht jedem Betrieb helfen.

    Objektiv haben wir unsere Wirtschaftsräume verändert. Objektiv ist es so, wie der Bundespräsident in den letzten Wochen immer erklärt hat: 3 Milliarden zusätzliche Produzenten, hungriger, genauso talentierter, sind in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren auf die Weltmärkte gedrängt. Wir haben dort nicht mehr dieselbe Alleinstellung, wie wir sie in manchen Bereichen vor einigen Jahren hatten. Und wir müssen uns darauf einstellen. Es hat keinen Sinn, auch für eine Gewerkschaft nicht, Standards und Ansprüche zu verteidigen, sondern sie müssen in erster Linie gemeinsam mit uns überlegen, wie man Arbeitsplätze erhält. Das ist ein schwieriger Weg, weil natürlich auch hier Trittbretteffekte auf allen Seiten auftreten. Die müssen wir vermeiden.

    Die IG-Metall will genau diese Trittbrettfahrer ins Visier nehmen. Bezirkleiter Hartmut Meine:

    Ich habe den Eindruck durch die Debatte, die jetzt losgetreten ist: Jedes Unternehmen, was irgendwie Probleme hat, schreit zunächst einmal:’Jetzt muss die 40 Stunden-Woche wieder eingeführt werden’. Wir haben ganz viele Anträge: wenn man hingeht und prüft die Fakten, dann finden sich auch andere Lösungen. Ich will Ihnen mal ein Beispiel nennen: Da kommt ein Unternehmen auf uns zu und will die 40-Stunden-Woche wieder einführen. Wir verhandeln mit dem Unternehmen und das Ergebnis ist, weil gar nicht die Produktion und der Absatz da ist, dass dann gesagt wird, wir reduzieren die Arbeitszeit auf 32 Stunden, um alle Beschäftigten an Bord zu halten und um Entlassungen zu vermeiden.

    Der Bremer Wirtschaftsprofessor und Direktor des Instituts Arbeit und Wirtschaft, Rudolf Hickel, hält die Debatte in mehrfacher Hinsicht für überzogen. Zum einen gehe es der Deutschen Exportwirtschaft längst nicht so schlecht. Immerhin sei Deutschland Exportweltmeister. Was der deutschen Wirtschaft viel mehr schade, sei die lahmende Binnennachfrage. Eine Arbeitszeitverlängerung würde zwar die Produktion steigern, aber wenn die Produkte mangels Nachfrage nicht verkauft werden könnten, dann müsse man nach anderen Lösungen suchen.

    Nehmen wir mal Daimler-Chrysler. Die haben mit dem Absatz der Automobile enorm Schwierigkeiten, vor allem auch innerhalb der Binnenwirtschaft. Die Kraftfahrzeugszulassungszahlen nehmen ab, die Leute kaufen weniger Autos. Wenn jetzt Daimler Chrysler dazu übergehen würde in seinen Werken in Deutschland, wenn die jetzt die Wochenarbeitszeit verlängern würden auf 40 oder 42 oder 50 Stunden, dann hätten sie zwar im ersten Schritt, das ist richtig, niedrigere Arbeitskosten pro Stunde. Aber der zweite Schritt geht nicht auf. Wer soll den angesichts der großen Nachfrageschwäche in der Automobilbranche, wer soll denn die Automobile kaufen?

    Nach zähen Verhandlungen mit dem Betriebsrat und der IG-Metall hat nun Daimler Chrysler ein eigenes Konzept entwickelt, um Kosten zu senken. Das Ziel des Unternehmens war: Am Produktionsort Sindelfingen sollten im Jahr 500 Millionen Euro gespart werden. Andernfalls, so lautete die Drohung, wäre die Produktion der neuen Mercedes-C-Klasse von Sindelfingen nach Bremen oder Südafrika verlagert worden. Dort sind die Produktionskosten deutlich billiger. 6.000 Arbeitsplätze standen in Sindelfingen auf dem Spiel. Um das Sparziel zu erreichen, wird nun der Rotstift in verschiedenen Bereichen angesetzt: Zum einen verzichtet die Belegschaft auf eine für 2006 zugesagte Lohnerhöhung. Auch die Manager bekommen 10 Prozent weniger Gehalt. Die Dienstleistungsmitarbeiter etwa in Kantine, Werkschutz und Druckerei müssen künftig 39 statt 35 Stunden arbeiten. In der Forschungs- und Entwicklungsabteilung hingegen kann auf freiwilliger Basis künftig 40 Stunden gearbeitet werden - mit Lohnausgleich. Die Überstundenzuschläge fallen allerdings weg. Als Belohnung für das Sparpaket hat Daimler Chrysler für alle 160.000 Mitarbeiter in Deutschland eine Beschäftigungsgarantie bis 2012 ausgesprochen. Er ist sich aber auch bewusst, dass diese Regelung nicht auf alle Unternehmen gleichermaßen übertragbar ist :

    Ich möchte hier ganz klar sagen: Deutschland braucht keine pauschale Regelung über die der Länge der Arbeitszeiten oder eine Diskussion über Urlaubs- und Feiertage. Die Unternehmen in Deutschland brauchen wieder viel mehr Raum zum freien Atmen, sie brauchen Flexibilität.

    Automobilhersteller wie VW oder Opel gehen einen anderen Weg: Um die allgemeine Absatzschwäche zu überbrücken, verlängern sie die Arbeitszeit nicht, sondern sie verkürzen sie. Bei VW arbeitet die gesamte Belegschaft kürzer, damit niemand entlassen werden muss, allerdings auch bei weniger Lohn. Wenn in Wolfsburg und Hannover 40 Stunden zur Regel würden, müssten 30.000 bis 40.000 Mitarbeiter ihren Hut nehmen. Auch bei Opel wird im Schnitt nur noch 30 Stunden pro Woche gearbeitet.
    Wenn man Eugen Spitznagel fragt, geht die Diskussion um Arbeitszeiten an der Realität vorbei. Spitznagel arbeitet für das Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung. KW: Es ist die wissenschaftliche Abteilung der Bundesagentur für Arbeit und berät sie in Fragen zum Arbeitsmarkt. Spitznagel/Er stützt sich auf Erhebungen des europäischen Statistikamtes Eurostat: danach arbeiten die Deutschen schon jetzt im Durchschnitt 39,9 Stunden pro Woche. Das Kölner ISO-Institut zur Erforschung sozialer Chancen kam in seiner jüngsten Umfrage sogar auf rund 42 Stunden. Das ist so viel wie in den anderen Ländern der EU. Eugen Spitznagel:

    Es herrscht vor allem im Ausland häufig der Eindruck, dass in Deutschland überall nur 35 Stunden gearbeitet werden. Das liegt daran, dass der Metallbereich ein wichtiger großer Bereich ist, der auch spektakulär ist in seinen Abschlüssen, oder gewesen ist. Aber dieser Eindruck ist nicht richtig. Wir haben eine sehr differenzierte Arbeitszeit in Deutschland, nicht nur was die Flexibilisierung betrifft, sondern auch nach Branchen ist das sehr unterschiedlich.

    Im Bank- und im Baugewerbe liegt die Tarifarbeitszeit bei 39 Stunden, im öffentlichen Dienst in Westdeutschland bei 38,5, in Ostdeutschland bei 40 Stunden. In der chemischen Industrie gilt in den neuen Bundesländern die 40-, im Westen die 37,5-Stunden-Woche. Im Schnitt kommen zwischen 40 und 42 Wochenstunden zusammen, inklusive Überstunden.
    Laut Spitznagel würden die Arbeitszeiten außerdem schon längst flexibel gehandhabt. Es würde schon jetzt bei Bedarf mal mehr, mal weniger gearbeitet. Die geleisteten Stunden würden über Arbeitszeitkonten erfasst. Das heißt Mehrarbeit wird zu einem späteren Zeitpunkt durch Freizeit ausgeglichen.

    Immerhin 40 Prozent aller Beschäftigten in Deutschland haben Arbeitszeitkonten. Auch das ist eine Möglichkeit flexibel reagieren zu können. Dazu haben wir noch Überstunden. Und da müssen wir auch sehen, dass die bezahlten Überstunden auf einem historischen Tief sind. Neben diesen bezahlten Überstunden werden erfahrungsgemäß auch noch unbezahlte Überstunden geleistet. Also nochmals sehr viel Flexibilität schon im System. Diese Flexibilität ist im internationalen Vergleich mindestens im Mittelfeld. Es gibt Indikatoren, die zeigen, dass wir da etwas besser dastehen als unsere Nachbarn.

    Hilmar Schneider vom Institut zur Zukunft der Arbeit fordert, Zuschläge für Überstunden müssen wegfallen. Allein das würde die Betriebe schon erheblich entlasten.

    Die Menschen würden nicht mehr arbeiten als vorher, aber für das Unternehmen würde sich eine Einsparung ergeben durch den Wegfall von Überstunden-Zuschlägen. All dieses muss man berücksichtigen, wenn es hier um Arbeitszeit geht. Es ist gar nicht so, dass wir per se länger arbeiten müssen, sondern oft reicht es schon aus, wenn die tarifliche Arbeitszeit der tatsächlichen Arbeitszeit angeglichen wird.

    Überstunden nicht mehr bezahlen – das wäre eine Lösung. Jüngst schlug der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Klaus Zimmermann, vor, um Jobs zu sichern, müsste auch 50 Stunden gearbeitet werden können. Wenig später preschte Industriepräsident Michael Rogowski mit der Ansicht vor, die Deutschen machten einfach zu lange Urlaub.
    Gesamtmetallchef Kannegiesser hält nichts von einer derart überzogenen Debatte.

    Es entspringt ja alles derselben Wurzel, nämlich der grundsätzlichen Erkenntnis, dass wir in dieser Phase unsere Probleme nicht in den Griff bekommen, indem wir weniger arbeiten. Das hat noch keine Gesellschaft außer die im Schlaraffenland geschafft, sondern wir müssen mehr arbeiten. Nicht, indem der Hebel einfach umgelegt wird und das pauschal und flächendeckend für alle gemacht wird, aber dass die grundsätzliche Bereitschaft bestehen muss zu einem Stück mehr Leistung zu Lasten der Freizeit.

    Ob mehr oder weniger Stunden – bei der ganzen Debatte geht es immer um das gleiche Ziel: die Kosten müssen gesenkt werden. Patentrezepte gibt es nicht – zu unterschiedlich ist die Ausgangslage der einzelnen Betriebe. Die einen versuchen durch Arbeitszeitverkürzung aus der Krise zu finden, die anderen glauben, durch Arbeitszeitverlängerung wettbewerbsfähiger zu werden. Flexibilisierung ist das große Zauberwort. Professor Hickel:

    Was wir brauchen ist kein Lohndumping, keine Lohnsenkungskonkurrenz, sondern was wir brauchen ist Innovationskonkurrenz und darauf müssen sich die Unternehmen konzentrieren. Und wenn es Betriebe in der Krise sind, dann gibt es immer eine Möglichkeit, übrigens auch von den viel gescholtenen Gewerkschaften, Sanierungsmodelle zu basteln. Da kann mal die Arbeitszeit verlängert werden, da kann sie mal verkürzt werden. Aber das ganze ist erstens zeitlich befristet und zweitens mit klaren Beschäftigungsgarantien verbunden. Das ist dann auch sinnvoll. Und diese Praxis lässt das Tarifvertragswerk zu.

    Mit anderen Worten: Flexibilität bei Arbeitszeiten ist jetzt schon in den meisten Bereichen möglich. Nur, sie muss genutzt werden. Das Gebot der Stunde scheinen zielgerichtete, individuelle Lösungen zu sein.