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Lafontaine: "Die Linke würde Frau Ypsilanti wählen"

Der Vorsitzende der Partei "Die Linke", Oskar Lafontaine, rechnet damit, dass der hessische Landesverband seiner Partei die Wahl von SPD-Kandidatin Andrea Ypsilanti zur Ministerpräsidentin unterstützen würde. Ypsilantis Programm sei ein klassisch sozialdemokratisches Programm. Er freue sich, dass es noch einen Rest dieser Sozialdemokratie gebe, vor allem in den Landesverbänden.

Oskar Lafontaine im Gespräch mit Sabine Adler | 17.08.2008
    Sabine Adler: Herr Lafontaine, die deutsche Wirtschaft ist im zweiten Quartal dieses Jahres das erste Mal seit vier Jahren gesunken. Die Konjunkturaussichten für Deutschland sind nicht schlecht, aber etwas schlechter für das kommende Jahr und damit setzt eine wirtschaftliche Entwicklung ein, die gerade für das Bundestagswahljahr, auch das Landtagswahljahr im Saarland, problematischer werden könnte. Trifft sich das eigentlich gut für Sie?

    Oskar Lafontaine: Nein, das trifft sich nicht gut für uns, es sei denn, man würde nur in parteipolitischen Kategorien denken. Denn ich denke, wenn ich höre, die Wirtschaft geht zurück, an diejenigen, die betroffen sind. Wir hatten zwar einen Aufbau an Arbeitsplätzen in den letzten Jahren, aber überwiegend schlecht bezahlte und ungesicherte Arbeitsplätze - das ist ja das Neue der letzten Jahre.

    Und wenn jetzt die Konjunktur wieder zurück geht, verlieren viele Menschen ihre Arbeit, und das bedaure ich sehr. Es ist aber kein Wunder, dass die Konjunktur zurück geht, denn wir sind ja nur abhängig von der Weltkonjunktur. Und wenn in Amerika jetzt die Probleme sind aufgrund der Finanzmarktkrise, und wenn europäische Staaten wie Spanien oder Frankreich oder Italien kriseln - Spanien insbesondere auch wegen der Immobilienkrise -, und wenn die osteuropäischen Staaten nicht mehr viel abnehmen, weil die Währungen zu stark aufgewertet worden sind, dann kommt auch die deutsche Wirtschaft ins Trudeln, weil wir seit vielen Jahren unbelehrbar als einzige einen Fehler machen: Wir vernachlässigen die Binnenkonjunktur.

    Adler: Sie unterstellen also damit, dass der wirtschaftliche Aufschwung einer ist, der ganz, ganz stark von außen abhängig ist, der nicht selbst aus eigener Kraft möglich war. Ist es das, was Sie damit sagen wollen?

    Lafontaine: Ja, das zeigen eindeutig die Zahlen. Wir haben gewaltige Leistungsbilanzüberschüsse, wir verkaufen viel mehr Waren ins Ausland als wir selbst Waren von anderen abkaufen. Das heißt, wir exportieren Arbeitslosigkeit und importieren Beschäftigung.

    Adler: Das wäre jetzt erklärungsbedürftig.

    Lafontaine: In dem Moment, in dem man hier Waren herstellt, die eigentlich, wenn man eine ausgeglichene Bilanz hat, in anderen Ländern hergestellt werden müssen, weil sie dort verbraucht und konsumiert werden, importiert man die Arbeitsplätze, die sonst ja in diesen Ländern ausgewiesen sind.

    Adler: Aber so funktioniert Export.

    Lafontaine: Ja, aber wir sind der Exportweltmeister, wir "sündigen" - in Anführung - an dieser Stelle am meisten, indem wir etwas vergessen haben, was zu Zeiten Karl Schillers - das war ein Wirtschaftsminister, der sehr populär war - vor einigen Jahrzehnten noch selbstverständlich war, nämlich dass man ein außenwirtschaftliches Gleichgewicht anstreben muss.

    Das heißt, dass die Bilanz nicht zu sehr in eine Schieflage geraten darf, weder zu viel Exportüberschüsse, noch eben zu viel Minuszeichen in der Bilanz. Wir haben seit vielen Jahren Exportüberschüsse, und das werden wir dann bezahlen, wenn die Weltkonjunktur zurück geht.

    Adler: Jetzt entmutigen Sie alle, die sich gefreut haben, dass wir Exportweltmeister sind - und immer noch und gerade noch.

    Lafontaine: Ja, ich muss ja eben darauf hinweisen, dass jede Medaille zwei Seiten hat. Die zweite Seite eben des Exportweltmeisters ist, dass die Binnenkonjunktur aufgrund der verfehlten Politik der letzten Jahre nicht in Gang kommt. Und wenn der Export wegfällt, dann haben wir nichts, womit wir uns helfen können.

    Adler: Herr Lafontaine, man könnte unterstellen, dass Sie sich fühlen wie eine Art Kriegsgewinnler. Wenn es dem Land schlechter geht, wächst die Unzufriedenheit. Je unzufriedener die Menschen sind - das ist das Schema in den letzten Jahren -, desto größer wird der Zulauf für die Linkspartei.

    Lafontaine: Ja, das haben wir ja vorhin angesprochen, das gilt ja für alle Oppositionsparteien. Sie sind in dem Sinne immer Kriegsgewinnler, wenn eben die jeweilige Regierung, gleich in welchem Land, eine Politik macht, die zur Arbeitslosigkeit führt und zu Einkommensverlusten, dann gewinnt die Opposition.

    Aber ich habe ja darauf hingewiesen: Von unserem Selbstverständnis wollen wir nicht irgendeine Prozentzahl anstreben. Wir wollen anstreben, dass es den Menschen besser geht.

    Adler: Was aber damit einhergeht mit dieser Unzufriedenheit ist, dass der SPD die Mitglieder abhanden kommen und Die Linke sich die Hände reiben darf.

    Lafontaine: Die SPD hat ja diese Entwicklung sich selbst zuzuschreiben. Das ist ja ein einmaliger Vorgang, dass eine Partei seit vielen, vielen Jahren Wahlen verliert, Sympathie verliert, Mitglieder verliert und trotzdem ihre Politik nicht ändert.

    Adler: In Deutschland guckt man jetzt ganz besonders nach Hessen, man guckt, ob dieses erste Regierungsbündnis in einem westlichen Land, nämlich Rot-Rot-Grün, zustande kommt. Für die SPD ist das sozusagen eine Zeitenwende. Wie steht's um die Linkspartei? Werten Sie's genau so?

    Lafontaine: Das ist für uns ein Anfang im Westen, wenn man so will. Im Osten gab's ja bereits solche Zusammenarbeit. Und wir sind zufrieden, dass bisher klar ist: Der Wechsel in Hessen ist bisher nicht zustande gekommen, weil die SPD ihre Leute nicht bei der Stange hält. Die Linke würde Frau Ypsilanti wählen, das hat sie immer wieder erklärt. Und ich habe auch keinen Zweifel daran, dass alle Stimmen unserer Landtagsfraktion da sein werden.

    Adler: Haben Sie manchmal, Herr Lafontaine, das Bedürfnis, den Füllhalter zu zücken und Dankesbriefe zu schreiben zum Beispiel an Andrea Ypsilanti, an Gerhard Schröder oder an Wolfgang Clement?

    Lafontaine: Das wäre zynisch, aber Sie weisen ja darauf hin, dass die Fehlentscheidung von SPD-Politikern uns Zulauf bringen. Das kann ich nicht bestreiten.

    Adler: Ist Andrea Ypsilanti für Sie eigentlich die Politikerin in der SPD, von der Sie sagen: Sie verkörpert noch am ehesten die Partei, die ich akzeptabel finde?

    Lafontaine: Es gibt eine Reihe von Politikern, die noch sozialdemokratische Zielvorstellungen haben. Und das Programm, für das Frau Ypsilanti steht - ich kenne sie persönlich nicht -, das Programm ist ein klassisch sozialdemokratisches Programm. Insofern freue ich mich, dass eben Reste der programmatischen Politik der Sozialdemokratie, die ja jahrzehntelang der SPD auch große Erfolge gebracht hat, dass die immer noch vorhanden sind, vor allen Dingen in Landesverbänden. Aber das Problem ist der Bund.

    Auf Bundesebene vertritt die SPD Sozialabbau und Krieg. Und mit solcher Politik kann die Sozialdemokratie bei ihren Wählerinnen und Wählern niemals bestehen bleiben.

    Adler: Wie ist das mit Kurt Beck? Er hat die Partei weiter nach links geführt. Ist er damit Ihnen entgegen gekommen?

    Lafontaine: Kurt Beck hat eben geöffnet, das ist richtig. Aber er hat ja auch große Widerstände, und das Besondere ist ja, dass Kurt Beck ein klassischer konservativer Sozialdemokrat ist. Er war ja immer auf dem - wenn man das mal so sagen darf - war eher auf dem rechten Flügel der Sozialdemokratie.

    Aber er hat erkannt, dass es so nicht weitergehen kann und er versucht zu öffnen. Aber die Öffnung geht noch lange nicht weit genug. Solange also jeder Sozialdemokrat erklären muss: Wir stehen zur Agenda 2010, wir stehen zu Hartz IV, solange ist - um es mal etwas leger zu formulieren - Hopfen und Malz verloren.

    Adler: Wie beurteilen Sie das Parteiausschlussverfahren von Wolfgang Clement, dem ehemaligen Ministerpräsidentenkollegen, den Sie natürlich auch gut kennen? Ist da die Partei in eine Phase getreten, wo sie tatsächlich auch so etwas wie eine Richtungsentscheidung vornehmen kann?

    Lafontaine: Das wäre sicherlich zu viel, wenn man jetzt die Angelegenheit Clement zu einer grundsätzlichen Richtungsentscheidung interpretieren würde. Es ist ein Symptom.

    Lustig fand ich, dass eben dann gesagt wurde: Ja, es geht hier um die Meinungsfreiheit. Es ist deshalb lustig, weil das Wort "Partei" ja darauf hinweist, dass hier nicht Leute sich versammeln, die alle unterschiedlichster Meinung sind, sondern es sind Leute zusammen, die sich hinter einem Programm versammeln. Und das ist der Irrtum der ganzen Diskussion. Man kann eben nicht gleichzeitig für und gegen Atomenergie sein, für und gegen Krieg oder für Hartz IV und gegen Hartz IV, oder für die Agenda 2010 und gegen die Agenda 2010. Darum geht es, insofern hat das Ganze auch etwas Komisches an sich.

    Adler: Gehört Wolfgang Clement ausgeschlossen?

    Lafontaine: Ich kann das von der Sache her beantworten. Die SPD muss sich eben entscheiden, ob sie für oder gegen Hartz IV ist, ob sie für oder gegen die Agenda 2010 oder für oder gegen Atomenergie. Und diejenigen, die also beispielsweise für Atomenergie eintreten oder für Sozialabbau eintreten oder für Belastungen etwa der Kranken oder für Rentenkürzungen, die sind doch besser bei der FDP aufgehoben, die sollten das selbst entscheiden.

    Adler: Und die würden Sie aus der Linkspartei rauswerfen?

    Lafontaine: Ich will es anders formulieren: Wenn ich jetzt plötzlich auf die Idee käme, für Krieg zu plädieren, also für militärische Interventionen, für Atomenergie und für Sozialabbau, müsste mich die Linkspartei rauswerfen.

    Adler: Was ist eigentlich das Motiv, was Sie antreibt? Ist das Zerstören der SPD - oder zugucken und warten, bis sie sich selbst zerstört hat?

    Lafontaine: Das kann ja gar kein Motiv sein. Das wäre ja auch etwas komisch, wenn ich in meiner Situation darauf hinarbeiten würde, die Partei, der ich ja auch vieles zu verdanken habe, zu zerstören.

    Adler: Rache könnte ein Motiv sein.

    Lafontaine: Ja, ich weiß, dass insbesondere die Boulevardpresse dieses Lied jeden Tag singt - also die Springer-Presse, um es beim Namen zu nennen. Aber das ist ja schon mehr oder weniger politische Hetze, die da stattfindet.

    Mir geht es um die Korrekturen, die jetzt teilweise durchgesetzt werden: Längeres Arbeitslosengeld, etwas bessere Rente - das ist ein minimaler Erfolg, wir sind auch mit minimalen Erfolgen zufrieden, etwas mehr Kindergeld, etwas mehr Wohngeld. Mir geht es darum - als Kind einer Kriegerwitwe habe ich meine Jugend nicht vergessen -, dass diese Politik , die einseitig zu Lasten der Arbeitnehmer, der Rentner und der sozial Schwächeren geht, dass die gestoppt wird. Das ist noch mein Ehrgeiz.

    Adler: Nun muss diese Politik ja auch durchsetzbar sein, und es gibt…
    Lafontaine: Die ist ja zur Zeit durchsetzbar. Ich lese ja immer - wenn selbst die "FAZ" schreibt: "Regiert die Linke bereits?" beweist das ja, dass wir eben Erfolg haben.

    Adler: Ich wollte auf etwas anderes hinaus. Diese Politik muss durchsetzbar sein, und zwar in einem Sinne, dass zum Beispiel höhere Lohnabschlüsse auch erzielt werden können. Ich weiß, dass die Gewerkschaft, die Ihnen ja sehr nahe steht - also ver.di -, mitunter auch etwas längliche Gesichter macht - oder die Gewerkschafter machen mitunter längliche Gesichter, wenn sie kritisiert werden von Ihnen, dass die Lohnabschlüsse wieder zu gering ausgefallen sind. So etwas muss ja verhandelt werden, ausgehandelt werden. Und wenn das in der Gesellschaft nicht möglich ist, dann muss man das auch mal als gegeben hinnehmen.

    Lafontaine: Ja, dann muss man sich aber die Frage stellen - jetzt rede ich mal als Gewerkschaftsmitglied und als Parteipolitiker: Was ist denn die Ursache dafür, dass im Gegensatz zu früheren Jahrzehnten die Lohnabschlüsse heute so schwach geworden sind?

    Und eine Hauptursache ist die Agenda 2010 und ist Hartz IV. Man hat gewissermaßen die Gewerkschaften mit diesen Gesetzen erheblich geschwächt. Warum? Wenn auch ältere Ingenieure beispielsweise Angst haben, wenn sie 50 sind und entlassen werden, dass sie dann nur noch ein Jahr Arbeitslosengeld kriegen und dass die dann auf Hartz IV zurückfallen und dann ihr ganzes Vermögen zunächst mal verbrauchen müssen, bis sie dann überhaupt irgendeine Unterstützung kriegen, dann schwächt man durch solche Gesetze die Widerstandskraft der Belegschaft und damit der Gewerkschaften, so dass eben dieser Satz - "Hartz IV war die Axt an der Wurzel der Gewerkschaftsbewegung" - richtig ist. Und solange diese Gesetze bleiben, solange wird die Gewerkschaftsbewegung schwächer sein und nicht entsprechende Tarifabschlüsse durchsetzen.

    Adler: Nun ist das Gegenargument für die Wirtschaft, dass sie sagt: Wir sind nur dann wettbewerbsfähig, auch international wettbewerbsfähig, wenn wir Löhne haben, die uns diese Spielräume verschaffen.

    Lafontaine: Ja, aber das ist eine himmelschreiende - wenn man so will - unzulässige Aussage von Seiten der Wirtschaft, das ist die deutsche Wirtschaft, die eben Exportweltmeister ist. Das heißt, wenn eben höhere Löhne Export verhindern würden, dann müssten alle anderen Länder völlig hilflos und hoffnungslos sein. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Der Exportweltmeister kann sich als erster erlauben, bessere Löhne zu zahlen und nicht als letzter.

    Adler: Noch können wir sie nicht diktieren, diese Löhne.

    Lafontaine: Nein, wir können sie nicht diktieren, aber wir wollen etwas diktieren, dass sie nicht unter ein bestimmtes Niveau absinken, nämlich den gesetzlichen Mindestlohn. Und da erleben wir ja, dass eben in Deutschland behauptet wird: Was in den meisten europäischen Ländern geht, auch in Amerika geht, das geht bei uns nicht, dann wird die Wirtschaft in eine Katastrophe geraten.

    Und ein besonderes Vergnügen wird es mir in Bayern sein, dieses Thema noch einmal aufzugreifen, weil in der Bayerischen Verfassung der Mindestlohn gefordert wird, Huber und Beckstein verweigern ihn. Es sind also erklärte Verfassungsfeinde, die eigentlich vom Verfassungsschutz beobachtet werden müssen.

    Adler: Oskar Lafontaine, Sie sind erst 2005 aus der SPD ausgetreten, obwohl der Bruch 1999 ja schon stattgefunden hat. Warum haben Sie so viel länger gebraucht als andere Genossen?

    Lafontaine: Weil ich ja eine besondere Verantwortung hatte. Ich war Vorsitzender dieser Partei, und das hat mich schon besonders in die Pflicht genommen. Ich habe versucht, über Jahre darauf hinzuwirken in Gesprächen, dass sich die Politik ändert.

    Ich habe sogar vor der Nordrhein-Westfalen-Wahl ein Buch geschrieben mit dem Titel "Wohlstand für alle", in dem ich angekündigt habe, wenn jetzt die Nordrhein-Westfalen-Wahl verloren geht und wenn trotzdem die Agenda-Politik weitergemacht wird, dann muss es eine neue Partei geben, also noch vorgewarnt. Und als dann nach der verlorenen Wahl im Herzland der SPD damals Müntefering und Schröder erklärt haben: "Nein, wir machen so weiter, wir gehen auch so in die Bundestagswahl", habe ich dann gesagt, jetzt musst du im Interesse der Korrektur einer Politik diesen Schritt gehen, den ich dann gemacht habe und der Gott sei Dank dann erfolgreicher wurde, als ich es mir damals vorgestellt habe.

    Adler: Jetzt benutzen Sie die Linkspartei für die Durchsetzung Ihrer Ziele. Umgekehrt ist es so, dass die Linkspartei Sie natürlich auch benutzt, Ihre Bekanntheit, Ihre Popularität. Fühlen Sie sich benutzt von der Partei?

    Lafontaine: Nicht im Geringsten, denn sie haben ja vorhin festgestellt, ich würde benutzen. Ich weiß nicht, ob man diesen Begriff überhaupt anwenden kann. Ich habe mich aus freien Stücken entschlossen, mit dazu beizutragen, dass die deutsche Politik korrigiert wird. Ich habe damals vorgeschlagen, dass die überwiegend westdeutsche WASG mit der ehemaligen PDS sich zusammenschließt zu einer neuen Linken. Wir haben jetzt über 12.000 neue Mitglieder, die weder in der einen noch in der anderen Partei waren. Und die Partei wächst weiter. Hier an der Saar beispielsweise haben wir uns nach der Fusion verdoppelt, also es sind über 1000 dazu gekommen, die gar nichts wissen von dem, was vorher war.

    Und der Weg wird also fortgesetzt werden. Und für uns alle ist entscheidend, vor allem auch für die neuen Mitglieder, ob die Hoffnung, die sich mit dem Eintritt in die Partei verbindet, sich erfüllen. Das scheint der Fall zu sein. In der jüngsten Zeit haben die mit uns konkurrierenden Parteien wieder zwei Ideen übernommen: einmal, die Managergehälter zu begrenzen. Das wurde vor einem Jahr noch alles abgelehnt im Bundestag, beispielsweise die Begrenzung der Aktienoption. Und ein zweiter Vorschlag von uns, der hochaktuell ist: wenn man schon Sozialversicherungsbeiträge senkt, dann nur für die Arbeitnehmer und nicht auch noch für die Arbeitgeber, denn wir haben die Unternehmen in den letzten Jahren mit so viel Milliardenbeträgen entlastet, dass diese zusätzliche Milliardenentlastung für Unternehmen völlig ungerechtfertigt ist.

    Adler: Sie haben es gerade gesagt: Die Linkspartei, gerade im Saarland, ist deutlich gewachsen. Andererseits hat die SPD stark verloren. Sind Sie so etwas wie ein Leichenfledderer?

    Lafontaine: Das ist wiederum eine unzulässige Zuschreibung. Ich bin Konkurrent jetzt der Partei, der ich früher angehört habe. Aber ich möchte deutlich sagen, ich vertrete nach wie vor die zwei Grundziele, die ich immer vertreten habe, auch innerhalb der SPD, nämlich eine Außenpolitik, die auf Krieg verzichtet. Das war auch der Kernsatz der Nobelpreisrede von Willy Brandt. Mittlerweile steht im SPD-Grundsatzprogramm - man höre und staune -, dass Krieg wieder Mittel der Politik ist. Krieg wird zwar nicht Krieg genannt, sondern militärische Intervention. Das ist das eine, und das andere ist, ich bin nach wie vor dafür, dass der Sozialstaat erhalten und teilweise auch gefestigt und ausgebaut werden muss.

    Adler: Wir erleben gerade, Sie haben das Stichwort Krieg genannt, dass in Europa oder am Rande Europas, im Kaukasus, Krieg herrscht. Würden Sie, ausgehend von dem, was sich da am Freitag vor einer Woche vollzogen hat, ebenfalls von einem Terroristen Wladimir Putin beziehungsweise Dimitri Medwedew oder eben dem georgischen Präsidenten Michail Saakaschwili sprechen? Nämlich derjenige, der Krieg führt, ist ein Terrorist?

    Lafontaine: Wenn man über Terrorismus spricht - und das habe ich ja versucht, im Bundestag immer wieder durchzusetzen, aber es ist nicht gelungen bis zu einem Gesetz -, dann muss man wissen, was Terrorismus ist. Und Terrorismus heißt nun einmal, rechtswidrig Gewalt anwenden, um politische Ziele durchzusetzen. So steht es neuerdings in einem deutschen Gesetz.

    Und wir sind in einer Zeit, in der das Völkerrecht einfach gebrochen wird, und zwar nicht nur von dem einen, sondern von vielen. Und das begann mit dem Jugoslawien-Krieg. Dort hat eben Deutschland auch ein schlechtes Beispiel gegeben und hat das Völkerrecht mit gebrochen. Man hat gesagt, wenn wir und die NATO uns entscheiden, das genügt, die UNO brauchen wir gar nicht mehr zu berücksichtigen. Und das setzt sich jetzt endlos fort.

    Der Irak-Krieg war ein klarer Bruch des Völkerrechts. Der Afghanistan-Krieg ist, insbesondere was die Bombardierung von der Zivilbevölkerung angeht, ein klarer Bruch des Völkerrechts. Und das geht im Kaukasus so weiter. Da muss man gar nicht einen Schuldigen, eine Seite suchen.

    Adler: Kommen wir noch einmal zu der Logik Ihrer Terminologie. Derjenige, der Krieg führt, der Gewalt widerrechtlich anwendet, kann als Terrorist bezeichnet werden. Wen würden Sie in diesem Konflikt als Terroristen bezeichnen?

    Lafontaine: Das hat der Deutsche Bundestag so beschlossen. Nun muss eben untersucht werden, wer das Völkerrecht bricht.

    Adler: Monika Knoche in Ihrer Partei hat das schon festgestellt, nämlich die Georgier waren es.

    Lafontaine: Wir werden ja demnächst die Ergebnisse haben. Nach einer oberflächlichen Betrachtung - bitte, die Sache muss ja noch aufgearbeitet werden - ist wohl festzustellen, dass es dort eben von beiden Seiten Volkerrechtsverletzungen gab.

    Adler: Herr Lafontaine, Sie haben einmal gesagt, dass Sie sich den SPD-Mitgliedern durchaus noch sehr verbunden fühlen. Wäre es nicht eine sehr reizvolle Aufgabe für Sie, die SPD aus diesem Tal heraus zu holen?

    Lafontaine: Jetzt bringen sie mich in Schwierigkeiten. Aber ich bin im Moment, wenn sie so wollen, doch mit Aufgaben hinreichend bedacht…

    Adler: Sie teilen sich die Führung Ihrer Partei mit Gregor Gysi.

    Lafontaine: …hinreichend bedacht, und die Sehnsucht der SPD-Führung nach mir hält sich in völligen Grenzen. Insofern wollen wir unserer Fantasie jetzt auch Grenzen setzen. Ich bemühe mich zur Zeit, durch meinen Beitrag die deutsche Politik zum Sozialen hin zu verändern. Und, wie gesagt, ich bin auch froh darüber, dass das schrittweise, wenn auch in kleinen Schritten, gelingt.

    Adler: Haben Sie das Gefühl, dass Sie in der Linkspartei tatsächlich eine neue Heimat gefunden haben?

    Lafontaine: Ja, denn meine politische Heimat war immer inhaltlich bestimmt. Ich war kein Vereinsmeier. Also, eine politische Partei ist kein Kaninchenzuchtverein. Nichts gegen Kaninchenzuchtvereine, die sind wichtig. Aber das ist etwas anderes, oder Karnevalsvereine oder Kegelclubs. Hier geht es um politische Inhalte.

    Adler: Jetzt sind Sie aber ausgerechnet in eine Partei eingetreten, in der sehr, sehr viele Menschen gut in Erinnerung haben, dass Sie, Oskar Lafontaine, die Wiedervereinigung so schnell nicht haben wollten, dass Sie gegen die Westtransfers des Geldes in den Osten gewettert haben, dass Sie im Grunde genommen den damaligen PDSlern den Eindruck vermittelt haben, man wolle die Ostler gar nicht haben.

    Lafontaine: Das war die Propaganda meiner Gegner. Ich habe niemals gesagt, ich bin gegen die Wiedervereinigung.

    Adler: Aber Sie haben eine Wahl verloren, weil Sie sich so geäußert haben.

    Lafontaine: Nein, ich habe mich nie so geäußert. Ich habe nur gesagt, die schnelle Einführung der D-Mark zum Kurs von eins zu eins erzeugt gewaltige Zerstörung im Osten.

    Adler: Führen wir mal nicht die alten Schlachten, ich würde gerne…

    Lafontaine: Ja, Sie haben damit angefangen.

    Adler: Das stimmt, aber ich möchte abheben auf das, was diese Äußerungen von damals, die ja nun hinlänglich auch kommuniziert worden sind, was die machen im Verhältnis zu den alten Genossen in der Linkspartei.

    Lafontaine: Ja, das hat mir ja gerade viele Sympathien eingebracht. Denn ich bin ja damals im Osten rumgerannt, obwohl es unpopulär war als Kanzlerkandidat der SPD, und habe gesagt, diese Entscheidung ist falsch und sie wird zu erheblichen Nachteilen führen. Und als ich drei Jahre später in den Osten kam als jemand, der eben bei der Bundestagswahl verloren hatte, kamen immer mehr Menschen zu mir, und das ist heute noch im Gedächtnis vieler Menschen, die gesagt haben: "Sie haben uns damals nicht belogen."

    Adler: Haben Sie das Gefühl, das Sie tatsächlich bei diesen alten SED-Genossen mit offenen Armen aufgenommen wurden? Jetzt in der Partei?

    Lafontaine: Ich will da zu alten SED-Genossen mal etwas sagen. Es wird ja immer so getan, als sei die große Mehrheit immer noch aus der ehemaligen SED. Das ist einfach unwahr, auch wenn es in vielen Zeitungen behauptet wird.

    Adler: Ihre Partei selbst schlüsselt das aber auch nicht auf.

    Lafontaine: Ja, da müsste man mal eine Befragung machen, wer war denn früher was und so weiter. Und man muss ja nur mal das Personal sich angucken. Wir haben allein in der Bundestagsfraktion so viele jüngere Leute, die schon vom Alter her gar nicht dabei gewesen sein können. Und diese ganze Diskussion, das möchte ich dann noch sagen, ist ja abgrundtief verlogen, weil CDU und FDP ja SED-Block-Parteien übernommen haben. Und das geht ja so weit, dass man als SED-Block-Parteifunktionär gute Karriere in Deutschland machen kann. Nehmen Sie Herrn Tillich in Sachsen oder nehmen Sie Herrn Althaus in Thüringen oder nehmen Sie Herrn Junghans, den stellvertretenden Ministerpräsidenten von Brandenburg und nehmen Sie…

    Adler: Jetzt haben Sie mir aber die Frage immer noch nicht beantwortet.

    Lafontaine: Ja, Moment, es ist mir aber wichtig, das mal zu sagen – oder nehmen sie die FDJlerin und Jungkommunistin Frau Merkel. Also, sobald man sich einer bürgerlichen Partei anschließt als ehemaliger FDJ- oder SED-Funktionär, dann ist alles in Ordnung. Nur, wenn man noch ehrlich ist und sagt, ich war da mal, dann wird man heftig angegriffen. Und das werden wir natürlich thematisieren in der nächsten Zeit.

    Adler: Aber jetzt noch mal kurz zurück zur Frage.

    Lafontaine: Aber im übrigen ist es natürlich so, dass die ehemaligen Mitglieder der SED…

    Adler: Noch mal ganz kurz:: Mit offenen Armen empfangen oder nicht?

    Lafontaine: …dass die ehemaligen Mitglieder der SED sich politisch-inhaltlich orientieren. Und in dem Moment, wenn beispielsweise sie erkennen, dass hier eine neue politische Kraft steht, die für soziale Gerechtigkeit kämpft, dann unterstützen sie eine solche Politik.

    Adler: Noch mal: Offene Arme oder nicht?

    Lafontaine: Sie wollen den Begriff ‘offene Arme' haben.

    Adler: Sie können auch einen anderen verwenden.

    Lafontaine: Ich halte es lieber mit der einfachen Aussage, dass ehemalige SED-Mitglieder sehr wohl eine Politik unterstützen, die erkennbar die deutsche Politik zu mehr sozialer Gerechtigkeit korrigiert.

    Adler: Warum scheuen Sie sich, sich zu äußern, ob sie von den älteren Genossen in Ihrer Partei offen empfangen worden sind oder nicht? Können Sie es nicht einschätzen?

    Lafontaine: Sie meinen, ob ich mit großen Vorbehalten oder so empfangen worden bin? Das kann ich letztendlich natürlich nicht sagen. Ich kann Ihnen nur etwas sagen, was ich beobachtet habe. Wenn ich auftrete im Osten, habe ich immer sehr viel Zustimmung. Aber das sind oft Versammlungen, wo auch viele Bürgerinnen und Bürger teilnehmen.

    Adler: Ende September, also in ein paar Wochen, werden wir sehr viel schlauer sein, was erstens Ihre Kandidatin für das Amt des Bundespräsidenten angeht, und zweitens, welchen Kanzlerkandidaten die SPD aufstellen wird. Macht das für Sie überhaupt einen Unterschied, ob für die SPD Kurt Beck antritt oder Frank-Walter Steinmeier?

    Lafontaine: Ich möchte mal so sagen: Das ist für uns nicht so wichtig, weil beide erklärt haben, sie unterstützen Hartz IV weiter und die Agenda 2010 weiter. Und beide sind auch für militärische Intervention etwa in Afghanistan. Und insofern, von den Inhalten her gesehen vertreten beide im Grundsatz die selbe Politik, und deshalb ist das für uns nicht so wichtig.

    Adler: Wir haben es vorher schon einmal gesagt: Parallel oder doch sehr zeitnah mit der Bundestagswahl im nächsten Jahr wird die Wahl im Saarland stattfinden. Sie sind als Spitzenkandidat für Ihre Partei nominiert worden, sind aber schon dreimal Ministerpräsident gewesen im Saarland. Was reizt Sie eigentlich, nach diesen drei Mal zum vierten Mal in den selben Fluss zu steigen?

    Lafontaine: Einmal hat die Politik im Saarland in den letzten keine Erfolge mehr vorzuweisen. Das heißt, das Saarland fällt zurück. Das können Sie dadurch überprüfen, dass Sie mit einem Kundigen hier durch das Land fahren und fragen, was ist in den letzten zehn Jahren geschehen? Und dann werden Sie also hören, dass so gut wie nichts passiert ist oder man müsste Ihnen etwas zeigen.

    Wenn Sie fragen, was ist davor geschehen, dann müssen Sie also mehrere Tage hier sein, um sich das anzuschauen. Das ist der erste Grund. Der zweite Grund ist natürlich, dass es wiederum ein strategischer Durchbruch wäre, wenn zum ersten Mal unter der Führung der Linken eine Regierung gebildet würde in Westdeutschland. Und natürlich ist das ein Reiz und natürlich möchte ich sehr wohl das schaffen. Ob es gelingen wird, entscheiden die Wählerinnen und Wähler.

    Adler: Könnte eine Motivation auch sein, dass Sie in das Geschichtsbuch eingehen wollen als der Ministerpräsident, der dreimal für die SPD und dann einmal für die Linkspartei in dieses Amt gekommen ist?

    Lafontaine: Mein Gott, was würde es mir bringen? Also, außer, dass vielleicht irgend ein Geschichtsstudent, der mal eine Arbeit im Seminar schreibt, das erwähnt. Nein, ich glaube, solche Dinge werden dann auch überschätzt. Wichtig wäre es, wenn es gelingen würde, von hier aus die deutsche Politik stärker zu korrigieren, denn wenn dieses Projekt gelingt, wird das Auswirkungen haben auf die ganze Bundespolitik.

    Adler: Oskar Lafontaine, ich danke Ihnen für das Gespräch.