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Lage der EU
Junckers Rede der letzten Chance

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker soll heute seine mit Spannung erwartete "Rede zur Lage der Union" halten. Dabei sollte es weniger um die Legitimität der EU gehen, meinen Beobachter, sondern um ihre Handlungsfähigkeit und Außenhandelsperspektiven. Eins wird die Rede sicher: Junckers Vermächtnis.

Von Thomas Otto | 13.09.2017
    Juncker am Mikrophon im ARD-Studio Brüssel
    Alle in Brüssel und Straßburg erwarten heute mit Spannung, auf welche Themen EU-Kommissionspräsident Juncker in seiner "Rede zur Lage der Union" zeigen wird. (ARD-Studio Brüssel /Küstner)
    Es dürften dieses Mal mehr als nur 30 oder 40 Abgeordnete sein, die den Auftritt von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker im Plenum des EU-Parlaments verfolgen werden. Hatte sich Juncker vor der Sommerpause noch beschwert und das Parlament als lächerlich beschimpft, als er vor fast leeren Reihen zusammen mit dem maltesischen Premier sprach, ist ihm nun bei seiner Rede zur Lage der Union die Aufmerksamkeit sicher.
    Im Gegensatz zu Junckers Reden zur Lage der Union 2015 und 2016 sind die Vorzeichen nun andere: Vor zwei Jahren hatte die EU mit der Rettung Griechenlands zu kämpfen. Vergangenen September überlagerte das Brexit-Votum die Debatte:
    "Die Europäische Union ist zur Zeit nicht in Topform. Einiges lässt vermuten, dass wir es in Teilen mit einer existenziellen Krise zu tun haben", so Juncker vor einem Jahr.
    Nun, so hört man aus der Kommission, wo die Wirtschaft in der gesamten EU wieder wächst, die Arbeitslosigkeit sinkt und die EU deutlich bessere Zustimmungswerte bei ihren Bürgern erzielt, nun soll Junckers Blick nach vorn gehen und sich um die Frage drehen: Wie weiter mit der EU?
    Seine Kommission hat fünf Szenarien vorgelegt von viel mehr Integration bis hin zu einer geschrumpften Rumpf-EU. Heute will Juncker darlegen, welches Szenario er sich wünscht, heißt es aus Kommissionskreisen.
    Welche EU wir wollen, sei eine müßige Debatte
    Der CDU-Abgeordnete Daniel Caspary hält davon allerdings nicht viel:
    "Ja das ist ja alles müßig. Ich denke, wir sollten dringend wegkommen genau von dieser ursprünglichen Debatte, die wir doch viele Jahrzehnte in Europa haben: Wollen wir einen Staatenbund oder einen Bundesstaat? Eine fast schon akademische Debatte um die Weiterentwicklung der Europäischen Union. Ich wünsche mir, dass wir das sehr pragmatisch sehen. Und so habe ich auch die bisherigen fünf Vorschläge von Präsident Juncker verstanden. Wir sollten einfach schauen: Was sind die Herausforderungen, die vor uns liegen?"
    Von denen gibt es genug: So beim Thema Handel, wo die künftigen Beziehungen zwischen EU und USA völlig offen sind und EU-Staaten fürchten, dass chinesische Fonds sich in kritische Infrastrukturen einkaufen. So auch bei der gescheiterten Flüchtlingsverteilung innerhalb der EU, gegen die sich Ungarn trotz EuGH-Urteil weiter wehrt.
    Neuer Streit tut sich auf zwischen osteuropäischen Staaten, die eine Dominanz der großen westeuropäischen Länder kritisieren. Sei es bei unterschiedlicher Qualität von Lebensmitteln, sei es bei der Entsendung von Arbeitnehmern – worin unter anderem Frankreichs Präsident Macron wiederum Sozialdumping sieht.
    Hier muss Juncker einen Weg skizzieren, wie Europa vorangehen kann, ohne Mitglieder zurückzulassen – was viele Osteuropäer fürchten.
    "Mehr Abstimmungen nach dem Mehrheitsprinzip"
    Die EU müsse handlungsfähig bleiben, betont der sozialdemokratische Fraktionschef Gianni Pitella und fordert von Juncker: "Wir brauchen im Rat mehr Abstimmungen nach dem Mehrheitsprinzip. Es kann nicht sein, dass eine Minderheit Entscheidungen des Rates blockieren kann."
    In Analogie zur "Kommission der letzten Chance", wie Juncker seine Amtszeit selbst betitelte, sprechen Beobachter von Junckers "Rede der letzten Chance". Nachdem der Kommissionspräsident angekündigt hatte, für keine weitere Amtszeit zu kandidieren, sei das nun die letzte Gelegenheit, bedeutende Spuren in den europäischen Geschichtsbüchern zu hinterlassen. Sonst gehe er in die Geschichte ein allein als der Kommissionspräsident, der Großbritannien verloren hat – so die Meinung vieler Beobachter.