Boysen: Herr Nuntius, schon am Tage der Attentate in den Vereinigten Staaten lauteten die Kommentare: ‚Die Welt ist jetzt eine andere geworden', und uns wird eigentlich erst jetzt immer deutlicher, was das eigentlich heißt. "Wir sind im Krieg", hat der Präsident der USA erklärt. Was haben Sie gedacht, als Sie diesen Satz von George W. Bush zum ersten Mal gehört haben?
Lajolo: Völkerrechtlich ist ein Krieg im eigentlichen Sinne ein bewaffneter Streit zwischen Staaten. Soweit sich die Reaktion der amerikanischen Regierung auf die Bestrafung der Terroristen und ihre Organisationen mit militärischen Mitteln richtet, kann man eigentlich noch nicht vom Krieg sprechen. Anders ist es, wenn die Vereinigten Staaten ihre Militärmacht gegen Staaten richten, die die terroristischen Organisationen unterstützen oder ihnen gar Unterschlupf gewähren. Dann ist es Krieg. Was habe ich gedacht, als ich die Worte vom Präsidenten Bush über den Kriegszustand hörte? Mir hat das Herz in der Brust geklopft. Ohne Zweifel muss man gegen den Terrorismus einen unnachgiebigen und kompromisslosen Kampf führen: Die ganze Breite der terroristischen Organisationen - ihre geistigen Wurzeln, ihre verborgenen Beschützer, die Herkunft ihrer Mittel und das Umfeld, aus dem sie ihre Leute rekrutieren - müssen ermittelt und ausgeschaltet werden. Man muss zugleich daran denken, dass das Gut des Friedens zu den höchsten Gütern gehört, und man muss alles einsetzen, um ihn zu schützen. Die Gültigkeit der Forderung von Papst Paul VI vor der Vollversammlung der UNO im Jahre 1965 - ‚jamais plus de la guerre' - ‚nie wieder Krieg´ - erlischt nicht.
Boysen: Papst Johannes Paul II hat seine Stimme erhoben und gemahnt, die USA sollten der "Versuchung des Hasses und der Gewalt" nicht nachgeben. Wie können Sie als Nuntius diesem Appell gegenüber der Bundesregierung Kraft verleihen, die sich ja in der vergangenen Woche schon zur Bündnistreue mit den Vereinigten Staaten sofort bekannt hat?
Lajolo: Wenn der NATO-Pakt für den Fall, dass ein Mitglied Opfer einer Aggression von außen wird, eine Klausel enthält, die den Beistand der Vertragspartner zusagt, dann ist es Pflicht der Mitglieder, gegebenenfalls diesen Beistand auch zu leisten. ‚Pacta sunt servanda' sagt ein Grundsatz des Völkerrechts - in heiteren, aber vor allem in dunklen Tagen. Ob ein solcher Fall tatsächlich eingetreten ist, muss ganz genau untersucht werden. Die Stellungnahmen seitens der Verantwortlichen der Bundesregierung und der Bundesrepublik überhaupt in den vergangenen Tagen scheinen mir von großem Verantwortungsbewusstsein und von Besonnenheit diktiert, so dass sie auch den moralischen Aufforderungen des Papstes gerecht werden. Man will, dass die Verantwortlichen und die Mitverantwortlichen bestraft werden, man will aber auf keinen Fall einen Vergeltungsschlag nach allen Seiten führen, bei dem aller Voraussicht nach auch Unschuldige betroffen wären.
Boysen: Der Berliner Kardinal Georg Sterzinsky hat ja in einem der ersten Gottesdienste nach den Attentaten davon gesprochen, dass Gewalt nicht neue Gewalt hervorrufen dürfe - jedenfalls, so hat er dann wörtlich gesagt, keine ungerechte Gewalt. Was heißt denn wohl gerechte Gewalt, oder andersherum gefragt: Was ist denn wohl in dieser Situation eine angemessene Reaktion?
Lajolo: Der Kampf gegen jeden Hort des Terrors muss breit angelegt, umfassend und unnachgiebig sein. Er muss aber auch genaue Ziele haben und gründlich geplant werden, so dass nicht unschuldige Menschen in Mitleidenschaft gezogen werden. Darüber hinaus müssen die Verantwortlichen ebenso auf die Nebeneffekte eines solchen Kampfes achten und sie in die Rechnung einbeziehen, um negative Folgen möglichst zu vermeiden. Ich denke da besonders an die Reaktionen, die seitens breiter Schichten in der Bevölkerung einiger islamischer Staaten und Staaten mit islamischer Bevölkerungsmehrheit zu erwarten sind, da die Menschen dort nur über sehr einseitige Informationen verfügen und deshalb leicht manipuliert werden können. Zu beachten ist somit die mögliche politische Instabilität, die von solchen Reaktionen verursacht werden kann und die den Kampf gegen den Terrorismus auf Weltebene praktisch zum Misserfolg verurteilen könnte.
Boysen: Die verblendeten Attentäter, davon geht jetzt die ganze Welt - muss man wohl sagen - aus, sind islamischer Herkunft, und ihr Fanatismus speist sich aus ihrer Religion. Und dieser Krieg, den George W. Bush also erklärt hat, ist, wenn man seiner Diktion folgen will, also auch in gewisser Weise ein Glaubenskrieg. Wir kennen inzwischen alle die Passagen aus dem Koran, in denen Toleranz gepredigt wird. Aber es gibt eben auch die andere Seite, und bisher lagen die Schauplätze des sogenannten ‚Heiligen Kriegs' ja überwiegend im Nahen Osten oder in Vorderasien, und die Gewalt von Fundamentalisten entlud sich in Nordafrika. Also, es war ein Konflikt, der fern von uns stattzufinden schien. Hat Ihrer Meinung nach die westliche, christlich-abendländische Welt den Dialog mit dem Islam zu lange vernachlässigt und ist jetzt in gewisser Weise überfordert - in dieser Situation, in der sie selbst spürt die Brutalität vom religiösen Fanatismus?
Lajolo: Ich weiß nicht, ob und wie ein Dialog zwischen Welten - wie Sie zu recht sagen, das heißt, zwischen Gesellschaften und großen Kulturräumen, die sich seit Jahrhunderten einander entfremdet haben - in wenigen Jahrzehnten mit Erfolg geführt werden kann. Was es natürlich geben kann - so scheint mir -, ist eine Art Osmose, das heißt, ein Verfahren, bei dem in einem über viele Jahre gehenden Prozess Gedanken, Ideen, Empfindungen und Haltungen der jeweils anderen Seite aufgenommen werden, und zwar, indem man sie einzeln gleichsam herüberholt und dann breiteren Schichten vertraut macht, so dass sie auch gesellschaftlich fruchtbar werden können. Das ist unvermeidlich ein langsamer Prozess, den man aber mit allen Kräften - und jetzt mehr denn je mit neuen Impulsen - fördern sollte. Der Heilige Stuhl hat schon 1964 ein Sekretariat für die Nichtchristen, das jetzt den Namen ‚Päpstlicher Rat für interreligiösen Dialog' trägt, eingerichtet, und zwar mit dem Ziel, freundschaftliche Beziehungen mit den nichtchristlichen Religionen zu fördern. Die Aufgabe, die übertragen wurde, ist nicht leicht - nicht zuletzt auch deswegen, weil die geistlichen Voraussetzungen seitens der nichtchristlichen Dialogpartner - und hier insbesondere der islamischen - ganz anders sind, und entsprechend auch die Bereitschaft zum Meinungsaustausch. Trotzdem ist man auch zu sehr positiven Ergebnissen gekommen, so zum Beispiel in der Erklärung des islamisch-katholischen Verbindungskomitees vom 4.Juli dieses Jahres zum Abschluss eines Treffens zum Thema ‚Religion und Dialog der Zivilisationen im Zeitalter der Globalisierung'. Auch die Reise des Papstes nach Kasachstan in diesen Tagen - Kasachstan hat eine überwiegend muslimische Bevölkerung - fügt sich in diesen großen Dialog ein. Man kann aber nicht leugnen, dass man erst am Anfang eines langen und außerordentlich langwierigen Prozesses steht. Wir sollen uns aber nicht entmutigen lassen. Ganz im Gegenteil. Die entsetzliche Grausamkeit der Terrorakte vom 11. September soll in uns allen das Bewusstsein der gegenseitigen Abhängigkeit und der grundlegenden Gemeinsamkeiten aller Menschen der Welt, welcher Religion sie auch angehören, schärfen.
Boysen: Was bedeutet denn das jetzt für das Zusammenleben mit den Muslimen in Deutschland?
Lajolo: In Deutschland leben ungefähr 3 Millionen Muslime. Diejenigen, die fundamentalistischen Radikalgruppen nahestehen, sind - so wurde berichtet - um die 30.000. Wieviele von ihnen von Terroristen ansprechbar sind, entzieht sich einer sicheren Erkenntnis; man rechnet mit etwa 5.000 bis 6.000. Wenn die Zahl zutrifft, ist sie schon besorgniserregend. Grundsätzlich muss man unterscheiden zwischen der großen Mehrheit der friedlichen, arbeitsamen muslimischen Mitbürger, die hier in Deutschland ein ordentliches Leben mit ihren Familien führen und bestimmten anderen Gruppierungen. Man muss allerdings auch hinzufügen, dass einige Zeitungen, die mit ihren Informationen und Kommentaren, was die geistige Ausrichtung angeht, einen großen Einfluss auf einen nicht geringen Teil der ausländischen Bevölkerung ausüben, manchmal für die Integration wenig hilfreich sind. Bei allem Respekt vor der Meinungsfreiheit und bei aller Achtung vor der kulturellen Integrität sollte man weiter nach Wegen suchen, die Integration fremder Mitbürger voranzutreiben. Dabei könnte auch der islamische Religionsunterricht, wenn er in deutscher Sprache und nach den Maßstäben des deutschen Grundgesetzes in der Schule erteilt wird, eine gute Hilfe darstellen. Ich weiß allerdings, dass das in der Praxis aus verschiedenen Gründen außerordentlich schwer zu realisieren ist.
Boysen: Die Ideale von Solidarität, Gerechtigkeit und Frieden, von denen Johannes Paul II vor einer Woche sprach, stehen nun auf dem Spiel - so der Papst. Aber dies ist nicht erst so, seitdem wir die apokalyptischen Bilder vom Einsturz des World Trade Center gesehen haben. Warnende Stimmen gab es schon immer. Sie wurden lange nicht gehört, aber sie wiesen doch darauf hin, dass Solidarität und Gerechtigkeit Werte sind, die schleichend im Prozess der Globalisierung an praktischer Bedeutung eingebüßt haben. In welcher Weise, Herr Nuntius, kann die Katholische Kirche in Deutschland insbesondere zur Rettung dieser Ideale beitragen?
Lajolo: Die Globalisierung ist unausweichlich. Sie bietet ungeheure positive Möglichkeiten, aber auch furchtbare Gefahren. Sie kann unerwartete neue Lebenschancen eröffnen, sie kann aber auch soziale und kulturelle Milieus, in denen Menschen ein sinnerfülltes Leben finden, zerstören und menschliche Existenzen zugrunde richten. Die Kirche kann in diesem Bereich immer wieder die Aufmerksamkeit der öffentlichen Meinung und der Verantwortlichen in der Wirtschaft wie in der Politik auf die ethischen Probleme lenken - auf den unveräußerlichen Wert des Individuums, auf den unschätzbaren Wert der Kulturen, auf das Erfordernis gleicher Chancen für alle, auf die höchste Pflicht, die Armen nicht dessen zu berauben, was für sie am wertvollsten ist, einschließlich ihres je eigenen religiösen Glaubens und dessen Praktizierung, da die echten religiösen Überzeugungen der klarste Ausdruck der menschlichen Freiheit sind. Das Letzte sind Worte von Papst Johannes Paul II in seiner Rede an die Teilnehmer der Vollversammlung der Päpstlichen Akademie für Sozialwissenschaften am 27. April dieses Jahres. Er fügte da hinzu: ‚Wenn die Menschheit sich auf den Prozess der Globalisierung einlässt, braucht sie einen gemeinsamen Ethikkodex. Wenn die Kirche eine bestimmte Entwicklung fördern und entsprechende Ideen Wirklichkeit werden lassen will, hat sie keine wirtschaftlichen oder politischen Mittel zur Verfügung, sondern nur die Macht und die Kraft des Wortes'.
Boysen: Die sozialen Normen und Standards in der Bundesrepublik verdanken wir auch dem Einfluss der Vertreter der Katholischen Soziallehre. Was meinen Sie, welche sozialen Normen sind heute zu verteidigen oder auch neu zu definieren - oder vielleicht andersherum formuliert: Wo ist das soziale Gewissen der Kirchen heute angesichts der voranschreitenden Globalisierung, die ja in bestimmter Weise auch eine Amerikanisierung ist und die Orientierung am Wirtschafts- und Gesellschaftssystem der USA eigentlich verlangt oder voraussetzt?
Lajolo: In der Welt sind die USA zwar der dominierende, aber nicht der einzig bestimmende Faktor der Entwicklung im Bereich der Globalisierung. Viel wird auch davon abhängen, wie andere mächtige Komponenten - ich denke an Europa, Japan, Russland und China - reagieren. Meines Erachtens sind es zwei soziale Grundsätze, die die Kirche im Hinblick auf eine gesunde Entwicklung in jedem Fall als unentbehrlich betrachtet. Sie können kurz in den Begriffen ‚Freiheit' und ‚Solidarität' zusammengefasst werden. Die Schwierigkeit besteht darin, beide Elemente in der rechten Weise in Harmonie miteinander zu verbinden. Dafür ist immer neue Kreativität erforderlich, die je angemessene Lösungen für die einzelnen Länder und Zeiten suchen muss. Dabei kann keine Lösung, die heute in einem Land gefunden wird, die Situation bei den Nachbarn und auch in entfernteren Ländern die Rückwirkungen dort unbeachtet lassen. Konkretere Leitlinien, in denen das soziale Gewissen der Kirche klar zum Ausdruck kommt, finden sich zum Beispiel in den ökumenischen Dokumenten für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit, dem sogenannten ‚Sozialwort' der beiden großen Kirchen in Deutschland aus dem Jahre 1997, das für die Kirchen nicht ad acta gelegt ist, sondern fortgeschrieben werden soll. Auf der Ebene des Heiligen Stuhles kommt das soziale Gewissen nicht nur in den berühmten sozialen Enzykliken - ich nenne stellvertretend für Sie die Enzyklika Centesimus Annus von Papst Johannes Paul II aus dem Jahre 1991, 100 Jahre nach der Sozialenzyklika Rerum Novarum von Papst Leo XIII -, sondern auch verschiedene andere Stellungnahmen des Papstes, so seine Rede vor der Päpstlichen Akademie für Sozialwissenschaften am 25. April 1997, seine Botschaft zum Weltfriedenstag 1988 und sein apostolisches Schreiben ‚Ecclesia in Amerika' aus dem Jahre 1999. Im gewissen Sinn kann man diesen Papst wohl aus ‚personifiziertes soziales Gewissen der Kirche' betrachten.
Boysen: Sie sprachen von der Kraft des Wortes, die die Katholische Kirche hat. Wir haben gesehen, dass sich wirklich viele Menschen nach den terroristischen Angriffen in den Gottesdiensten versammeln. Es sind nicht allein Christen, die Trost suchen. Aber das sollte nicht darüber hinweg täuschen, dass doch der Einfluss der Kirchen wie vielleicht auch der der Gewerkschaften immer stärker zurückgeht und sich auf interne Kreise beschränkt. In welcher Weise kann die Katholische Kirche eine aktive Rolle in der sogenannten Wertedebatte spielen? Inwieweit können Sie gläubige Christen in Deutschland ermutigen, sich in gesellschaftspolitische Debatten oder aber auch aktiv im Handeln einzumischen?
Lajolo: Die Präsenz und die Wirksamkeit der Kirchen in der Gesellschaft äußert sich in den Stellungnahmen des Papstes und der Bischöfe und in den Dokumenten über die verschiedensten Fragen. Noch wichtiger aber ist der alltägliche praktische Einsatz der Christen. Dieser hängt seinerseits von ihrem inneren Überzeugtsein ab, von der Kraft ihres Glaubens, der nicht verborgen bleiben kann, sondern sie zum Handeln nach außen drängt. In den vergangenen Jahrzehnten hat es in Deutschland verschiedene wichtige christlich engagierte Persönlichkeiten gegeben, die segensreich für das Land gewirkt haben. Sie kamen größtenteils aus den katholischen Verbänden, in denen sie auch religiös geformt wurden. Auch heute gibt es Persönlichkeiten, die als ausgewiesene Experten die Forderungen der katholischen Gesellschaftslehre in die öffentliche Debatte einbringen. Wir leben in einer pluralistischen Gesellschaft. Da ist es nicht zu vermeiden, dass auch andere ihre Positionen zur Geltung zu bringen versuchen. Eben deswegen ist es wichtig, dass die Katholiken sich immer mehr des Reichtums bewusst werden, der der Gesellschaft in der Soziallehre der Kirche zur Verfügung steht - und dass sie ihn klar und mutig in das Ringen der Gesellschaft um die besten Lösungen einbringen.
Boysen: Ich würde gern noch einmal kommen auf etwas ganz anderes, nämlich den innerchristlichen Dialog. Nach der Erklärung Dominus Jesus über die Einzigartigkeit und die Heilsuniversialität Jesu Christi und der Kirche stellt sich die Frage nach der Beziehung der Katholischen Kirche zu ihrer Schwesterkirche. Die Ökumene, so hat man manchmal den Eindruck, scheint in eine Sackgasse geraten zu sein. Ich würde gerne von Ihnen abschließend wissen, welchen Stand die Ökumene Ihrer Ansicht nach hat und welchen Einfluss vielleicht auch tatsächlich die Ereignisse in den USA auf die Ökumene - auf das Christentum insgesamt in der Bundesrepublik haben.
Lajolo: Auch für den ökumenischen Dialog gilt das Prinzip der Klarheit und Ehrlichkeit der Sprache. Im Bereich des konkreten praktischen Handelns kann man sehr viele Kompromisslösungen erreichen. Im Bereich der Wahrheit aber ist kein Kompromiss möglich. Die Erklärung Dominus Jesus hat die katholische Position besser den Glauben der Katholischen Kirche unmissverständlich darlegen wollen. Sie hat sozusagen den Standort der Katholischen Kirche festgelegt, damit man auf den weiteren Weg zur Reinheit möglichst ohne Schwanken voranschreiten kann. Meines Erachtens hätte sie wohl in ihrer Ausdrucksweise größere Rücksicht auf die anderen christlichen Bekenntnisse nehmen können. Aber nach dem Verstummen der ersten emotional spontanen Reaktionen von katholischer wie von evangelischer Seite sind auch die Vertreter der Evangelischen Kirche zu der Einsicht gekommen, dass sie sich fragen müssen, was sie unter Kirche verstehen, weil ihr Kirchenbegriff anders ist als der katholische, der von den Konzilien und besonders vom Zweiten Vatikanischen Konzil verwendet wird. Und das ist eben das, was den Ökumenismus notwendig macht. Der Ökumenismus ist ein unumkehrbarer Weg. Er muss in der Liebe und in der Wahrheit gegangen werden - mit Geduld und in gemeinsamen Gebet, weil die Einheit aller Christen letztendlich ein Werk Gottes ist und nicht der Menschen. Was den geplanten ökumenischen Kirchentag betrifft, so bezweifle ich nicht, dass die Anstrengungen von allen Seiten ehrlich sind. Eben deswegen muss jede Provokation unterbleiben, denn es ist wohl für jeden einsichtig, dass man den Ökumenismus nicht fördern kann, indem man gegen die Ordnung der eigenen Kirche verstößt. Der ökumenische Kirchentag kann eine wichtige Gelegenheit werden, um auf den ökumenischen Weg gemeinsam voranzuschreiten und vor der Welt Zeugnis vom Licht Christi im Leben der Christen in der heutigen Welt und von der Liebe Gottes zu den Menschen zu geben. Daher habe ich gesagt: "Daran werden alle erkennen, dass Ihr meine Jünger seid, wenn Ihr einander liebt." Ein solches klares und überzeugendes Zeichen soll gegeben werden. Die Einheit in der Liebe kann schon da sein; nichts darf sie hindern.
Lajolo: Völkerrechtlich ist ein Krieg im eigentlichen Sinne ein bewaffneter Streit zwischen Staaten. Soweit sich die Reaktion der amerikanischen Regierung auf die Bestrafung der Terroristen und ihre Organisationen mit militärischen Mitteln richtet, kann man eigentlich noch nicht vom Krieg sprechen. Anders ist es, wenn die Vereinigten Staaten ihre Militärmacht gegen Staaten richten, die die terroristischen Organisationen unterstützen oder ihnen gar Unterschlupf gewähren. Dann ist es Krieg. Was habe ich gedacht, als ich die Worte vom Präsidenten Bush über den Kriegszustand hörte? Mir hat das Herz in der Brust geklopft. Ohne Zweifel muss man gegen den Terrorismus einen unnachgiebigen und kompromisslosen Kampf führen: Die ganze Breite der terroristischen Organisationen - ihre geistigen Wurzeln, ihre verborgenen Beschützer, die Herkunft ihrer Mittel und das Umfeld, aus dem sie ihre Leute rekrutieren - müssen ermittelt und ausgeschaltet werden. Man muss zugleich daran denken, dass das Gut des Friedens zu den höchsten Gütern gehört, und man muss alles einsetzen, um ihn zu schützen. Die Gültigkeit der Forderung von Papst Paul VI vor der Vollversammlung der UNO im Jahre 1965 - ‚jamais plus de la guerre' - ‚nie wieder Krieg´ - erlischt nicht.
Boysen: Papst Johannes Paul II hat seine Stimme erhoben und gemahnt, die USA sollten der "Versuchung des Hasses und der Gewalt" nicht nachgeben. Wie können Sie als Nuntius diesem Appell gegenüber der Bundesregierung Kraft verleihen, die sich ja in der vergangenen Woche schon zur Bündnistreue mit den Vereinigten Staaten sofort bekannt hat?
Lajolo: Wenn der NATO-Pakt für den Fall, dass ein Mitglied Opfer einer Aggression von außen wird, eine Klausel enthält, die den Beistand der Vertragspartner zusagt, dann ist es Pflicht der Mitglieder, gegebenenfalls diesen Beistand auch zu leisten. ‚Pacta sunt servanda' sagt ein Grundsatz des Völkerrechts - in heiteren, aber vor allem in dunklen Tagen. Ob ein solcher Fall tatsächlich eingetreten ist, muss ganz genau untersucht werden. Die Stellungnahmen seitens der Verantwortlichen der Bundesregierung und der Bundesrepublik überhaupt in den vergangenen Tagen scheinen mir von großem Verantwortungsbewusstsein und von Besonnenheit diktiert, so dass sie auch den moralischen Aufforderungen des Papstes gerecht werden. Man will, dass die Verantwortlichen und die Mitverantwortlichen bestraft werden, man will aber auf keinen Fall einen Vergeltungsschlag nach allen Seiten führen, bei dem aller Voraussicht nach auch Unschuldige betroffen wären.
Boysen: Der Berliner Kardinal Georg Sterzinsky hat ja in einem der ersten Gottesdienste nach den Attentaten davon gesprochen, dass Gewalt nicht neue Gewalt hervorrufen dürfe - jedenfalls, so hat er dann wörtlich gesagt, keine ungerechte Gewalt. Was heißt denn wohl gerechte Gewalt, oder andersherum gefragt: Was ist denn wohl in dieser Situation eine angemessene Reaktion?
Lajolo: Der Kampf gegen jeden Hort des Terrors muss breit angelegt, umfassend und unnachgiebig sein. Er muss aber auch genaue Ziele haben und gründlich geplant werden, so dass nicht unschuldige Menschen in Mitleidenschaft gezogen werden. Darüber hinaus müssen die Verantwortlichen ebenso auf die Nebeneffekte eines solchen Kampfes achten und sie in die Rechnung einbeziehen, um negative Folgen möglichst zu vermeiden. Ich denke da besonders an die Reaktionen, die seitens breiter Schichten in der Bevölkerung einiger islamischer Staaten und Staaten mit islamischer Bevölkerungsmehrheit zu erwarten sind, da die Menschen dort nur über sehr einseitige Informationen verfügen und deshalb leicht manipuliert werden können. Zu beachten ist somit die mögliche politische Instabilität, die von solchen Reaktionen verursacht werden kann und die den Kampf gegen den Terrorismus auf Weltebene praktisch zum Misserfolg verurteilen könnte.
Boysen: Die verblendeten Attentäter, davon geht jetzt die ganze Welt - muss man wohl sagen - aus, sind islamischer Herkunft, und ihr Fanatismus speist sich aus ihrer Religion. Und dieser Krieg, den George W. Bush also erklärt hat, ist, wenn man seiner Diktion folgen will, also auch in gewisser Weise ein Glaubenskrieg. Wir kennen inzwischen alle die Passagen aus dem Koran, in denen Toleranz gepredigt wird. Aber es gibt eben auch die andere Seite, und bisher lagen die Schauplätze des sogenannten ‚Heiligen Kriegs' ja überwiegend im Nahen Osten oder in Vorderasien, und die Gewalt von Fundamentalisten entlud sich in Nordafrika. Also, es war ein Konflikt, der fern von uns stattzufinden schien. Hat Ihrer Meinung nach die westliche, christlich-abendländische Welt den Dialog mit dem Islam zu lange vernachlässigt und ist jetzt in gewisser Weise überfordert - in dieser Situation, in der sie selbst spürt die Brutalität vom religiösen Fanatismus?
Lajolo: Ich weiß nicht, ob und wie ein Dialog zwischen Welten - wie Sie zu recht sagen, das heißt, zwischen Gesellschaften und großen Kulturräumen, die sich seit Jahrhunderten einander entfremdet haben - in wenigen Jahrzehnten mit Erfolg geführt werden kann. Was es natürlich geben kann - so scheint mir -, ist eine Art Osmose, das heißt, ein Verfahren, bei dem in einem über viele Jahre gehenden Prozess Gedanken, Ideen, Empfindungen und Haltungen der jeweils anderen Seite aufgenommen werden, und zwar, indem man sie einzeln gleichsam herüberholt und dann breiteren Schichten vertraut macht, so dass sie auch gesellschaftlich fruchtbar werden können. Das ist unvermeidlich ein langsamer Prozess, den man aber mit allen Kräften - und jetzt mehr denn je mit neuen Impulsen - fördern sollte. Der Heilige Stuhl hat schon 1964 ein Sekretariat für die Nichtchristen, das jetzt den Namen ‚Päpstlicher Rat für interreligiösen Dialog' trägt, eingerichtet, und zwar mit dem Ziel, freundschaftliche Beziehungen mit den nichtchristlichen Religionen zu fördern. Die Aufgabe, die übertragen wurde, ist nicht leicht - nicht zuletzt auch deswegen, weil die geistlichen Voraussetzungen seitens der nichtchristlichen Dialogpartner - und hier insbesondere der islamischen - ganz anders sind, und entsprechend auch die Bereitschaft zum Meinungsaustausch. Trotzdem ist man auch zu sehr positiven Ergebnissen gekommen, so zum Beispiel in der Erklärung des islamisch-katholischen Verbindungskomitees vom 4.Juli dieses Jahres zum Abschluss eines Treffens zum Thema ‚Religion und Dialog der Zivilisationen im Zeitalter der Globalisierung'. Auch die Reise des Papstes nach Kasachstan in diesen Tagen - Kasachstan hat eine überwiegend muslimische Bevölkerung - fügt sich in diesen großen Dialog ein. Man kann aber nicht leugnen, dass man erst am Anfang eines langen und außerordentlich langwierigen Prozesses steht. Wir sollen uns aber nicht entmutigen lassen. Ganz im Gegenteil. Die entsetzliche Grausamkeit der Terrorakte vom 11. September soll in uns allen das Bewusstsein der gegenseitigen Abhängigkeit und der grundlegenden Gemeinsamkeiten aller Menschen der Welt, welcher Religion sie auch angehören, schärfen.
Boysen: Was bedeutet denn das jetzt für das Zusammenleben mit den Muslimen in Deutschland?
Lajolo: In Deutschland leben ungefähr 3 Millionen Muslime. Diejenigen, die fundamentalistischen Radikalgruppen nahestehen, sind - so wurde berichtet - um die 30.000. Wieviele von ihnen von Terroristen ansprechbar sind, entzieht sich einer sicheren Erkenntnis; man rechnet mit etwa 5.000 bis 6.000. Wenn die Zahl zutrifft, ist sie schon besorgniserregend. Grundsätzlich muss man unterscheiden zwischen der großen Mehrheit der friedlichen, arbeitsamen muslimischen Mitbürger, die hier in Deutschland ein ordentliches Leben mit ihren Familien führen und bestimmten anderen Gruppierungen. Man muss allerdings auch hinzufügen, dass einige Zeitungen, die mit ihren Informationen und Kommentaren, was die geistige Ausrichtung angeht, einen großen Einfluss auf einen nicht geringen Teil der ausländischen Bevölkerung ausüben, manchmal für die Integration wenig hilfreich sind. Bei allem Respekt vor der Meinungsfreiheit und bei aller Achtung vor der kulturellen Integrität sollte man weiter nach Wegen suchen, die Integration fremder Mitbürger voranzutreiben. Dabei könnte auch der islamische Religionsunterricht, wenn er in deutscher Sprache und nach den Maßstäben des deutschen Grundgesetzes in der Schule erteilt wird, eine gute Hilfe darstellen. Ich weiß allerdings, dass das in der Praxis aus verschiedenen Gründen außerordentlich schwer zu realisieren ist.
Boysen: Die Ideale von Solidarität, Gerechtigkeit und Frieden, von denen Johannes Paul II vor einer Woche sprach, stehen nun auf dem Spiel - so der Papst. Aber dies ist nicht erst so, seitdem wir die apokalyptischen Bilder vom Einsturz des World Trade Center gesehen haben. Warnende Stimmen gab es schon immer. Sie wurden lange nicht gehört, aber sie wiesen doch darauf hin, dass Solidarität und Gerechtigkeit Werte sind, die schleichend im Prozess der Globalisierung an praktischer Bedeutung eingebüßt haben. In welcher Weise, Herr Nuntius, kann die Katholische Kirche in Deutschland insbesondere zur Rettung dieser Ideale beitragen?
Lajolo: Die Globalisierung ist unausweichlich. Sie bietet ungeheure positive Möglichkeiten, aber auch furchtbare Gefahren. Sie kann unerwartete neue Lebenschancen eröffnen, sie kann aber auch soziale und kulturelle Milieus, in denen Menschen ein sinnerfülltes Leben finden, zerstören und menschliche Existenzen zugrunde richten. Die Kirche kann in diesem Bereich immer wieder die Aufmerksamkeit der öffentlichen Meinung und der Verantwortlichen in der Wirtschaft wie in der Politik auf die ethischen Probleme lenken - auf den unveräußerlichen Wert des Individuums, auf den unschätzbaren Wert der Kulturen, auf das Erfordernis gleicher Chancen für alle, auf die höchste Pflicht, die Armen nicht dessen zu berauben, was für sie am wertvollsten ist, einschließlich ihres je eigenen religiösen Glaubens und dessen Praktizierung, da die echten religiösen Überzeugungen der klarste Ausdruck der menschlichen Freiheit sind. Das Letzte sind Worte von Papst Johannes Paul II in seiner Rede an die Teilnehmer der Vollversammlung der Päpstlichen Akademie für Sozialwissenschaften am 27. April dieses Jahres. Er fügte da hinzu: ‚Wenn die Menschheit sich auf den Prozess der Globalisierung einlässt, braucht sie einen gemeinsamen Ethikkodex. Wenn die Kirche eine bestimmte Entwicklung fördern und entsprechende Ideen Wirklichkeit werden lassen will, hat sie keine wirtschaftlichen oder politischen Mittel zur Verfügung, sondern nur die Macht und die Kraft des Wortes'.
Boysen: Die sozialen Normen und Standards in der Bundesrepublik verdanken wir auch dem Einfluss der Vertreter der Katholischen Soziallehre. Was meinen Sie, welche sozialen Normen sind heute zu verteidigen oder auch neu zu definieren - oder vielleicht andersherum formuliert: Wo ist das soziale Gewissen der Kirchen heute angesichts der voranschreitenden Globalisierung, die ja in bestimmter Weise auch eine Amerikanisierung ist und die Orientierung am Wirtschafts- und Gesellschaftssystem der USA eigentlich verlangt oder voraussetzt?
Lajolo: In der Welt sind die USA zwar der dominierende, aber nicht der einzig bestimmende Faktor der Entwicklung im Bereich der Globalisierung. Viel wird auch davon abhängen, wie andere mächtige Komponenten - ich denke an Europa, Japan, Russland und China - reagieren. Meines Erachtens sind es zwei soziale Grundsätze, die die Kirche im Hinblick auf eine gesunde Entwicklung in jedem Fall als unentbehrlich betrachtet. Sie können kurz in den Begriffen ‚Freiheit' und ‚Solidarität' zusammengefasst werden. Die Schwierigkeit besteht darin, beide Elemente in der rechten Weise in Harmonie miteinander zu verbinden. Dafür ist immer neue Kreativität erforderlich, die je angemessene Lösungen für die einzelnen Länder und Zeiten suchen muss. Dabei kann keine Lösung, die heute in einem Land gefunden wird, die Situation bei den Nachbarn und auch in entfernteren Ländern die Rückwirkungen dort unbeachtet lassen. Konkretere Leitlinien, in denen das soziale Gewissen der Kirche klar zum Ausdruck kommt, finden sich zum Beispiel in den ökumenischen Dokumenten für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit, dem sogenannten ‚Sozialwort' der beiden großen Kirchen in Deutschland aus dem Jahre 1997, das für die Kirchen nicht ad acta gelegt ist, sondern fortgeschrieben werden soll. Auf der Ebene des Heiligen Stuhles kommt das soziale Gewissen nicht nur in den berühmten sozialen Enzykliken - ich nenne stellvertretend für Sie die Enzyklika Centesimus Annus von Papst Johannes Paul II aus dem Jahre 1991, 100 Jahre nach der Sozialenzyklika Rerum Novarum von Papst Leo XIII -, sondern auch verschiedene andere Stellungnahmen des Papstes, so seine Rede vor der Päpstlichen Akademie für Sozialwissenschaften am 25. April 1997, seine Botschaft zum Weltfriedenstag 1988 und sein apostolisches Schreiben ‚Ecclesia in Amerika' aus dem Jahre 1999. Im gewissen Sinn kann man diesen Papst wohl aus ‚personifiziertes soziales Gewissen der Kirche' betrachten.
Boysen: Sie sprachen von der Kraft des Wortes, die die Katholische Kirche hat. Wir haben gesehen, dass sich wirklich viele Menschen nach den terroristischen Angriffen in den Gottesdiensten versammeln. Es sind nicht allein Christen, die Trost suchen. Aber das sollte nicht darüber hinweg täuschen, dass doch der Einfluss der Kirchen wie vielleicht auch der der Gewerkschaften immer stärker zurückgeht und sich auf interne Kreise beschränkt. In welcher Weise kann die Katholische Kirche eine aktive Rolle in der sogenannten Wertedebatte spielen? Inwieweit können Sie gläubige Christen in Deutschland ermutigen, sich in gesellschaftspolitische Debatten oder aber auch aktiv im Handeln einzumischen?
Lajolo: Die Präsenz und die Wirksamkeit der Kirchen in der Gesellschaft äußert sich in den Stellungnahmen des Papstes und der Bischöfe und in den Dokumenten über die verschiedensten Fragen. Noch wichtiger aber ist der alltägliche praktische Einsatz der Christen. Dieser hängt seinerseits von ihrem inneren Überzeugtsein ab, von der Kraft ihres Glaubens, der nicht verborgen bleiben kann, sondern sie zum Handeln nach außen drängt. In den vergangenen Jahrzehnten hat es in Deutschland verschiedene wichtige christlich engagierte Persönlichkeiten gegeben, die segensreich für das Land gewirkt haben. Sie kamen größtenteils aus den katholischen Verbänden, in denen sie auch religiös geformt wurden. Auch heute gibt es Persönlichkeiten, die als ausgewiesene Experten die Forderungen der katholischen Gesellschaftslehre in die öffentliche Debatte einbringen. Wir leben in einer pluralistischen Gesellschaft. Da ist es nicht zu vermeiden, dass auch andere ihre Positionen zur Geltung zu bringen versuchen. Eben deswegen ist es wichtig, dass die Katholiken sich immer mehr des Reichtums bewusst werden, der der Gesellschaft in der Soziallehre der Kirche zur Verfügung steht - und dass sie ihn klar und mutig in das Ringen der Gesellschaft um die besten Lösungen einbringen.
Boysen: Ich würde gern noch einmal kommen auf etwas ganz anderes, nämlich den innerchristlichen Dialog. Nach der Erklärung Dominus Jesus über die Einzigartigkeit und die Heilsuniversialität Jesu Christi und der Kirche stellt sich die Frage nach der Beziehung der Katholischen Kirche zu ihrer Schwesterkirche. Die Ökumene, so hat man manchmal den Eindruck, scheint in eine Sackgasse geraten zu sein. Ich würde gerne von Ihnen abschließend wissen, welchen Stand die Ökumene Ihrer Ansicht nach hat und welchen Einfluss vielleicht auch tatsächlich die Ereignisse in den USA auf die Ökumene - auf das Christentum insgesamt in der Bundesrepublik haben.
Lajolo: Auch für den ökumenischen Dialog gilt das Prinzip der Klarheit und Ehrlichkeit der Sprache. Im Bereich des konkreten praktischen Handelns kann man sehr viele Kompromisslösungen erreichen. Im Bereich der Wahrheit aber ist kein Kompromiss möglich. Die Erklärung Dominus Jesus hat die katholische Position besser den Glauben der Katholischen Kirche unmissverständlich darlegen wollen. Sie hat sozusagen den Standort der Katholischen Kirche festgelegt, damit man auf den weiteren Weg zur Reinheit möglichst ohne Schwanken voranschreiten kann. Meines Erachtens hätte sie wohl in ihrer Ausdrucksweise größere Rücksicht auf die anderen christlichen Bekenntnisse nehmen können. Aber nach dem Verstummen der ersten emotional spontanen Reaktionen von katholischer wie von evangelischer Seite sind auch die Vertreter der Evangelischen Kirche zu der Einsicht gekommen, dass sie sich fragen müssen, was sie unter Kirche verstehen, weil ihr Kirchenbegriff anders ist als der katholische, der von den Konzilien und besonders vom Zweiten Vatikanischen Konzil verwendet wird. Und das ist eben das, was den Ökumenismus notwendig macht. Der Ökumenismus ist ein unumkehrbarer Weg. Er muss in der Liebe und in der Wahrheit gegangen werden - mit Geduld und in gemeinsamen Gebet, weil die Einheit aller Christen letztendlich ein Werk Gottes ist und nicht der Menschen. Was den geplanten ökumenischen Kirchentag betrifft, so bezweifle ich nicht, dass die Anstrengungen von allen Seiten ehrlich sind. Eben deswegen muss jede Provokation unterbleiben, denn es ist wohl für jeden einsichtig, dass man den Ökumenismus nicht fördern kann, indem man gegen die Ordnung der eigenen Kirche verstößt. Der ökumenische Kirchentag kann eine wichtige Gelegenheit werden, um auf den ökumenischen Weg gemeinsam voranzuschreiten und vor der Welt Zeugnis vom Licht Christi im Leben der Christen in der heutigen Welt und von der Liebe Gottes zu den Menschen zu geben. Daher habe ich gesagt: "Daran werden alle erkennen, dass Ihr meine Jünger seid, wenn Ihr einander liebt." Ein solches klares und überzeugendes Zeichen soll gegeben werden. Die Einheit in der Liebe kann schon da sein; nichts darf sie hindern.