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Lambchop Frontmann Kurt Wagner
"Ich wollte kein wortreicher Künstler mehr sein"

Für Americana-Fans ist der Name fast schon heilig: Lambchop - seit über 20 Jahren das Vehikel für die raunend erzählten Songstories des leisen Exzentrikers Kurt Wagner. Wer die Band noch nie mochte, könnte sie jetzt entdecken: Auf dem neuen Album "FLOTUS“ arbeitet Wagner mit verfremdeter Stimme und Elektronik - um seiner Frau zu gefallen.

Von Anke Behlert | 05.11.2016
    Der Sänger der US-amerikanischen Band Lambchop, Kurt Wagner, bei einem Auftritt beim Museumsinselfestival in Berlin.
    Der Sänger der US-amerikanischen Band Lambchop, Kurt Wagner, bei einem Auftritt beim Museumsinselfestival in Berlin. (imago / Seeliger)
    Diese Stimme: tief, flüsternd, ein wenig rauchig, unter die Haut gehend. Egal, ob Lambchop-Songs gerade in ein countryeskes, loungiges oder souliges Gewand gekleidet waren, immer konnte man sich an Kurt Wagners dunkler Stimme festhalten.
    Das geht jetzt nicht mehr so einfach, denn auf dem neuen Album "FLOTUS" hat Wagner seine Stimme verfremdet, verstellt, sie durch Filter, Sequenzer und Prozessoren geschickt. Er wollte ein Album machen, das seiner Frau Mary gefällt. Da drängt sich die Frage auf, ob ihr die alten Lambchop-Platten, mit seiner echten Stimme, nicht gefallen haben?
    "Es hat sich herausgestellt, dass sie meine Stimme so mag, wie sie immer klingt. Sie hört viel aktuelle Pop und Dance Musik. In diesen Songs werden oft Beats und Stimm-Modulation verwendet. Und dafür bin ich eigentlich nicht so der Typ. Aber ich wollte diese Sounds verwenden und dachte mir: Das wird ihr sicher gefallen! Das hat nicht so ganz funktioniert."
    Hip-Hop als Vorbild
    Auch Wagners Begeisterung für aktuelle Hip-Hop-Musik von Kendrick Lamar, Frank Ocean oder Kanye West hat die neuen Songs inspiriert. Im Hip-Hop sind Stimmverfremdung und die kreative Verwendung von Technik ganz normal, aber für Wagner klingt das ziemlich revolutionär.
    "Dieser neue Hip-Hop aus L.A. wirft die alten Regeln, wie eine Aufnahme zu klingen hat, über den Haufen. In den letzten Jahrzehnten ging es vor allem darum, einen Sound so pur und so schön wie möglich aufzunehmen. Mit Hip-Hop und der neuen Technologie verändert sich das. Deswegen ist dieses Genre auch so innovativ und beeinflusst alle anderen Arten von Musik."
    Zuerst hat Kurt Wagner seine Ideen für die neuen Songs nur mit seiner Stimme und einem kleinen Effektgerät namens Black Box aufgenommen. Der Fokus der fertigen Stücke liegt auf Schlagzeug, Bass und Klavier, die Gitarre tritt in den Hintergrund. Der Gesang ist nicht mehr das Zentrum der Songs, sondern wird zum Teil des Ganzen. Das hat zur Folge, dass man die Texte oft nicht versteht. Dabei waren doch gerade die doppeldeutigen und zurückhaltend vorgetragenen Ausführungen Wagners ein Markenzeichen von Lambchop.
    "Ich gelte wohl als sehr wortreicher Künstler und ein Teil von mir wollte mit dieser Vorstellung aufräumen. Ich wollte mit den Songs stattdessen ein Gefühl vermitteln. Wenn ich Musik höre, verstehe ich oft auch nicht was die Leute sagen, nicht nur weil es eine andere Sprache ist. Als R.E.M. angefangen haben, wusste ich nicht, was der Typ gesungen hat. Und ich glaube, er wusste es auch nicht. Das fand ich faszinierend."
    Lambchop machen jetzt also Musik, die stark von Hiphop und Technik beeinflusst ist, bei der man die Texte nicht versteht. Klingt gewöhnungsbedürftig und das ist es auch. Aber wenn man den ersten Schock überwunden und sich auf den neuen Sound eingelassen hat, umschließt er einen wie eine wohlig wärmende Decke.
    Politik ein wichtiges Thema
    Der Albumtitel "FLOTUS" kann einerseits als Abkürzung für "First Lady Of The United States" gelesen werden, es könnte laut Wagner aber auch "For Love Often Turns Us Still" heißen. Wobei die politische Interpretation nahe liegt, nicht nur wegen der anstehenden Präsidentschaftswahlen in den USA. Wagners Frau Mary Manzini ist Vorsitzende der Demokratischen Partei in Tennessee und Politik ist zu Hause deshalb ein wichtiges Thema.
    "Um Teil ihrer Welt sein zu können – so wie sie auch ein Teil meiner Welt ist – muss ich sie zu politischen Veranstaltungen begleiten und ihr zur Seite stehen. Damit ich mich dann an den Gesprächen dort beteiligen kann, muss ich auf dem Laufenden sein. Ich versuche mich also immer über politische Entwicklungen zu informieren, damit ich als intelligentes Anhängsel meiner Frau akzeptiert werde."
    Ein weiteres tolles Album
    Wie gut ihm das gelingt, wissen wir nicht. Gelungen ist Wagner aber in jedem Fall ein weiteres tolles Lambchop-Album. Denn trotz Black Box–Stimme und programmierter Beats, die Band drückt den Songs ihren Stempel auf. Die Stücke sind großzügig und zurückhaltend, witzig und berührend – man kann sich ganz im neuen Lambchop-Universum verlieren. Die Musik auf "FLOTUS" klingt völlig anders als alles was die Band vorher gemacht hat und trotzdem unverwechselbar nach Lambchop. Auch Wagners Frau Mary hat sich nach anfänglicher Skepsis übrigens mit dem neuen Sound angefreundet. Also alles noch mal gut gegangen.

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