Lampedusa: Die Ankunft in Europa

" Mein Name ist Abdel Aziz, ich bin Moslem und komme aus Liberia. "

Von Karl Hoffmann | 30.04.2006
    Ein sympathisches Lächeln blitzt aus dem dunklen Gesicht des mittelgroßen, etwas gedrungenen Mannes, der an einem kleinen Gasherd steht und sich etwas Wasser warm macht. Seine traurige Geschichte von Bürgerkrieg und Vertreibung hat er schnell erzählt:

    " Ich bin eines Morgens aufgewacht und zur Arbeit gegangen und da sah ich, dass meine Werkstatt niedergebrannt war. Meine gesamte Habe war in Flammen aufgegangen. Ich habe beschlossen, Liberia zu verlassen, bin in die Elfenbeinküste gewandert, von dort nach Burkina Faso, weiter durch Niger nach Libyen. Und schließlich übers Meer nach Italien. "

    Eineinhalb Jahre brauchte er, um als Arbeitssklave in Libyen 700 Dollar zusammenzusparen, mit denen er die Überfahrt im Holzboot bezahlen konnte. Doch beim ersten Versuch ging alles schief.

    " Wir sind um neun Uhr abends aufs Meer gefahren. Fünf Stunden haben wir es in der stürmischen See ausgehalten, dann mussten wir umkehren. Zwei von den 85 Menschen an Bord sind dabei ins Wasser gefallen und ertrunken, wir konnten ja alle nicht schwimmen. Wieder zurück in Libyen, haben wir weitere vier Monate warten müssen, bis wir mit Gottes Hilfe dann nach Lampedusa gelangt sind. "

    Geholfen haben auch die italienischen Carabinieri, die seit Jahren mit ihren Schnellbooten um die südlichste Insel Italiens patrouillieren und versuchen, möglichst viele Boat People aus dem Wasser zu fischen, bevor sie untergehen. Es war tiefe Nacht und recht kühl, als Abdel Aziz in Lampedusa an Land ging. Man gab ihm eine Decke, dann stieg er in einen Mannschaftswagen der Polizei, der ihn in das kleine Aufnahmelager direkt am Flughafen brachte.

    Für Journalisten ist das Lager tabu, niemand darf hier hinein. Immer wieder ist Kritik an den menschenunwürdigen Verhältnisse in dieser Auffangstation für Flüchtlinge laut geworden, vor allem deshalb, weil sie viel zu klein ist. Das sieht auch Rotkreuzschwester Stella so.

    " Das ist ein Lager, in dem halt nur eine bestimmte Anzahl von Personen Platz hat. Wenn dann vier mal mehr kommen, wird es schwierig. Trotzdem geht es hier alles in allem noch menschlich zu. "

    Der Journalist Fabrizio Gatti hatte sich im vergangenen Jahr als Flüchtling ausgegeben und ins Lager eingeschlichen, als es wieder mal überfüllt war. Er hat ganz andere Erfahrungen gemacht:

    " Vierhundert Personen waren im Hof versammelt, bewacht von Carabinieri. Ich musste in die hinterste Reihe und ging in die Hocke, hinsetzen konnte man sich nicht, weil der Boden mit der Jauche aus den verstopften Toiletten bedeckt war. Viele fühlten sich erniedrigt und schimpften leise auf die Wachmannschaften. "

    Und Abdel Aziz? Er spricht nicht gerne über seine Erfahrungen im Lager von Lampedusa. Für ihn zählt nur, dass er gerettet wurde. Und so wartete er voller Hoffnungen Tage und Wochen in dem winzigen, überfüllten Lager am Fuße des Rollfeldes auf den Weitertransport. Immer wieder sah er Militärflugzeuge landen. Dann wurde ein Teil der Lagerinsassen mit Plastikbändern an den Handgelenken gefesselt und in die geöffneten Ladeluken getrieben. Abdel Aziz hatte keine Ahnung, wohin die Flugzeuge sie bringen würden. Er ahnte nicht, dass manche Neuankömmlinge wieder direkt zurück nach Libyen befördert werden. Abdel Aziz aber hatte Glück, er durfte in Italien bleiben.

    " Ich bin etwa einen Monat in Lampedusa geblieben , dann haben sie mich endlich weggebracht. Mit einem Flugzeug haben sie uns ins nächste Lager geschafft, nach Crotone. In Crotone bin ich dann wieder zwei, fast drei Monate geblieben. In dieser Zeit bin ich gefragt worden , wie ich es geschafft hatte, nach Italien zu kommen und was die Gründe für meine Flucht waren. Und ich habe ihnen alles ganz genau erzählt. "

    Crotone liegt in Kalabrien. Zu der Zeit, als Abdel Aziz dort festsitzt, gibt es in Lampedusa keinerlei reguläre Befragungen, es wird noch nicht einmal versucht, die ankommenden Flüchtlinge zu identifizieren. Niemand kann ein Recht auf Asyl geltend machen. So kommt es , dass hunderte von Menschen den gleichen Namen bekommen und nach Afrika abtransportiert werden, ohne dass sich jemand die Mühe macht festzustellen, woher sie überhaupt kommen. Nur wer in Crotone landet, wird nach den geltenden Vorschriften behandelt. Aber auch hier geht vieles nicht mit rechten Dingen zu. Immer wieder verschwinden Dutzende von Lagerinsassen. Kriminelle Banden und korruptes Personal helfen ihnen, gegen bare Münze, über den Zaun zu klettern und zu entkommen. Abdel Aziz kümmert sich nicht darum. Und wieder hat er Glück. Er bekommt einen Ausweisungsbescheid in die Hand gedrückt.

    " Die haben mich einfach weggeschickt. Es sind immer wieder neue Personen angekommen und das Lager war überfüllt. Die haben mir gesagt: geh, wohin du willst. "

    Ohne Geld kam er aber nicht weit.

    " Ich bin nach Neapel gegangen, dort habe ich dann Landsleute gefunden und bin bei ihnen geblieben. Jeden morgen bin ich an eine bestimmte Straßenkreuzung gegangen, wo ich ab und zu einen Job bei einem Strandverkäufer bekommen habe. "

    Immer, wenn er hundert Euro beisammen hatte, schickte er die Hälfte davon seiner Frau und den fünf kleinen Kindern, die Zuflucht in Ghana gefunden hatten. Aber eine feste Arbeit fand er nicht, und so beschloss Abdel Aziz im letzten Herbst, es anderswo zu versuchen. Doch sein bisschen Glück hatte ihn plötzlich verlassen.

    " Ich bin in Ancona gelandet, und wollte dort arbeiten. Vier Monate lang habe ich gesucht und nichts gefunden und dabei meine wenigen Ersparnisse aufgebraucht. "
    In den dreieinhalb Jahren seiner Flucht ist er nie krank geworden. Er hatte den Bürgerkrieg, den Marsch durch die Wüste, die Sklaverei in Libyen und die Überfahrt im Holzboot überlebt, er hat die Lager, die Ausbeutung, Hunger und Kälte überstanden, aber nun schien er plötzlich am Ende:

    " In Ancona habe ich mich immer mehr in meinen Gedanken verloren . Ich hatte keine Arbeit, mir haben meine Frau und die Kinder gefehlt und so ist meine Seele krank geworden. "

    Heute kann er wieder lachen, der zweiundvierzigjährige Afrikaner hat seine Depression überstanden. Abdel Aziz wurde ein kleiner Job in der Nähe von Venedig angeboten. Damit ist er vorläufig auch vor einer Abschiebung sicher. Ein Zurück ist für ihn so oder so unvorstellbar.

    " Ich habe keine Heimat mehr, meine Eltern sind tot, der kleine Bauernhof, den sie mir hinterlassen haben, ist verbrannt. Nach Liberia gehe ich nie wieder zurück. "