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"Land der Bäume"

Guatemala - übersetzt "Land der Bäume" - ist ein relativ kleines Land in Zentralamerika. Es hat zwei Küsten, doch die Mehrheit der über zwölf Millionen Einwohner leben im Hochland. Guatemala gilt wegen seiner hohen Kriminalität als ein sehr unsicheres Land - doch wer einmal dort war, der ist fasziniert von der Schönheit der Menschen und der wunderbaren Landschaft.

Von Wolfram Nagel |
    Steil windet sich der Pfad durch dichten Wald hinauf zum Volcán de Pacaya. Ausgangspunkt ist das Örtchen San Francisco de Sales, am Rande des Nationalparks. Bis zum Dorf San Vincente de Pacaya führt eine asphaltierte Straße, dann aber gibt es nur noch eine staubige Schotterpiste, geeignet alleine für Allradwagen. Am Eingang des Naturparks schnauben gesattelte Pferde. Obwohl es schon ziemlich spät am Nachmittag ist, entschließen wir uns, zu Fuß aufzusteigen.

    Der 2552 Meter hohe Pacaya ist nach dem Fuego einer der aktivsten Vulkane Zentralamerikas. Jederzeit kann es zu Eruptionen oder Gasausbrüchen kommen, sagt Felix, der Guide. Über Funk hält er Kontakt zur Zentrale. Aus welcher Richtung weht der Wind, ziehen dichte Wolken auf?

    "Vor fünf Jahren ist der Pacaya ausgebrochen, mit einer großen Explosion an der Vukanspitze. Weiter unten ist ein neuer Krater entstanden. Den großen Krater oben an der Spitze konnte man vor sieben Jahren noch besteigen. Da konnte man hinaufgehen und hinunter in den Hauptkrater sehen. Jetzt ist das zu gefährlich. Der Pacaya verändert sich ständig, jeden Tag gibt es kleine Explosionen oder Ausbrüche - und die Gase, die sind wirklich gefährlich, die sind giftig."

    Fast zwei Stunden dauert der Aufstieg. Auf einem kleinen Hochplateau grasen die Touristen-Pferde, warten auf den Rückweg. Nebel steigt vom Tal herauf, verhüllt die Vulkanspitze und auch den Blick zum benachbarten Agua. Es stinkt leicht nach Schwefel. Felix zeigt in Richtung Sonnenuntergang. Dort liegt Antigua, sagt er:

    "Am besten wäre es, den Pacaya am Morgen zu besteigen. Da ziehen die Gase weg von hier. Aber Mittags wechselt der Wind - und da hat man die beste Sicht."

    Aber heute haben wir Glück. Es ist fast windstill, so dass wir ohne Gefahr über das Lavafeld am Fuße der Vulkanspitze gehen können. Vorsichtig geht Felix voran, jeden Schritt abschätzend.

    "Am besten wäre es, hier zu übernachten. Nachts kann man die glühende Lava so wunderbar sehen. Eine unglaubliche Stimmung. Die Lava ist immer in Bewegung, äußerlich kalt, aber innen flüssig. Heute haben wir zwei Flüsse hier, aber morgen ändert sich das. Man muss immer neue Wege suchen."

    Vor uns türmen sich bizarre Gebilde auf. Die Hitze ist kaum zu ertragen. Dazwischen immer wieder Spalten, aus denen rotglühende Lava quillt. Der Stock, den Felix mit einem Taschentuch vor dem Mund, in die langsam fließende Masse hält, brennt sofort.

    Unheimlich knistert das erstarrende Flüssiggestein, das aus dem Erdinneren an die Oberfläche dringt und den Pacaya beständig formt, als würde die Erde gerade neu geschaffen.

    "Da war das ruhende All. Kein Hauch. Kein Laut. Reglos und schweigend die Welt. Und des Himmels Raum war leer...Noch war kein Mensch da, kein Tier...In Dunkelheit und Nacht kamen Tepëu und Gucumatz zusammen und sprachen miteinander. ...Und sie erkannten , während sie überlegten, dass mit dem Licht der Mensch erscheinen müsse."
    So heißt es im Popol Vuh, dem heiligen Buch der Quiché-Maya. Der Priester Francisco Ximenez hatte den Schöpfungsmythos fast 200 Jahre nach Unterwerfung des Maya Volkes durch die Spanier in Chicicastenango gefunden und so für die Nachwelt bewahrt.
    Ein halbes Jahrhundert später, im Jahre 1773 wurde Guatemala von einem schweren Erdbeben erschüttert. All die 60 Kirchen, Kapellen und Klöster, aber auch Schulen, Hospitäler, Paläste Antiguas, der schönen stolzen Hauptstadt, stürzten in sich zusammen.

    "Alles war kaputt. ...und lass Antigua für zwei lange Jahre allein.
    Aber die Leute... - ich werde zurück nach Antik Guatemala gehen. Und deshalb wir sagen: Antigua, die Leute hat hier zurück gekommen ."

    Erzählt Anna Luisa Lara- Häusler in gebrochenem Deutsch. Die 28-Jährige ist Nachfahre deutscher Einwanderer. Sie verdient ihr Einkommen als Touristenführerin. In Guatemala gab es bis zum zweiten Weltkrieg viele Deutsche: Händler, Unternehmer, Kaffeebarone. Ihr Großvater lebt noch, ist jetzt 92.

    "Lara hieß mein Großvater und Häusler ist meine Mutter Großvater ..."

    Vor uns steht trotzig die mächtige Fassade der Kathedrale an der 4. Avenida Sur. Links neben dem Portal eine dornengekrönte lebensgroße Christusfigur, mit der sich Touristen und auch Einheimische fotografieren lassen. Rechts die Farmacio parocial, eine Pfarreiapotheke, in der die Leute billig Medikamente kaufen können. Und hinter dem gewaltigen Eingang unter freiem Himmel ein Pförtner. Für die Besichtigung der Ruine kassiert er Eintritt. und erzählt werbend, was für eine große Kirche die "Catedral de Santiago" im einst war.

    "68 Kuppeln und 17 Seitenkapellen hatte die Kathedrale. 100 Jahre hat deren Bau gedauert. Unter der Kirche da waren Krematorien. Die wurden erst beim letzten großen Erdbeben vor 32 Jahren entdeckt. Da war eine Säule eingestürzt. Da fand man unterirdische Gewölbe mit vielen Skeletten. Alle Leute, die an der Pest, an Typhus oder an Gelbfieber gestorben waren, die hatte man da unter verbrannt, aus Sicherheitsgründen."

    Die Kathedrale war nicht nur ein Ort der Macht, sie war ein großer Friedhof. Auch die schöne Betrice liegt hier begraben, Frau des mächtigen Pedro de Alvarado, Eroberer des Aztekenreichs in Mexiko und Guatemalas. 1524 hatte er das Reich der Quiche und Cakchiquel unterworfen. Ganze 120 Reiter und 300 Fußsoldaten sowie ein paar Hundert Hilfsleute hatten genügt. König Karl I. belohnte Alvarado dafür mit dem Gouverneurstitel. Schnell entstand eine Stadt am Fuße des Vulkans Agua: Ciudad Vieja. Nach seinem Tod im Jahre 1541 - Alvarado starb bei einem Beutezug in Mexiko - wurde seine Frau Beatrice Gouverneurin. Jedoch nur einen Tag. Denn der Agua - zu deutsch: Wasser - überschüttete die Hauptstadt mit einer Schlammlawine, in der auch Beatrice umkam.

    Aber bereits 1543 wurde nur wenige Kilometer entfernt eine neue Hauptstadt gegründet. Schnurgerade Straßen von Ost nach West und von Süd nach Nord - immer mit Blick auf die Vulkane. Eine Reißbrettmetropole, entworfen von Juan Batista Antonelli, ein berühmter italienischer Architekt und Militärbauer. Wie ein Schachbrett ist das Zentrum angelegt, erklärt Anna:

    "Einhundert Meter nach Süden, Norden, West und Ost....Westen die 'ecomomical' Platz, das in Osten die Kirche, presentacion for die Religion, dann das Rathaus die Norden und in Süden das Schloss Capitan, militar power. Civil, militar, religion und economic. Und hier war ein Markt wie in Chicicastenango, jeden Sonntag."

    Doch die Stadtregierung verbot den Markt. Der Tourismus sollte nicht durch die umtriebigen Händler gestört werden. Doch ganz verschwunden sind sie nicht. Vor allem auf der Placa Mayor locken sie mit frisch gebackenen Tortillas, geschnittenen Mangos oder Eis.
    Sie verkaufen ihre handgewebten bunten Stoffe oder auch Musik. Und wer am späten Nachmittag auf der fünften Avenida wandelt, vor sich den berühmten Bogen des Frauenklosters Santa Catalina mit dem malerischen Agua im Hintergrund, den locken die Klänge eines Marimabaorchesters in eines der kühlen Restaurants, die sich hinter den flachen Fassaden der barocken Bürgerhäuser unter schattigen Bäumen und Arkaden verbergen.

    Antigua gilt als eine der wohlhabendsten Städte Guatemalas, ein ansonsten bitterarmes von einem langen Bürgerkrieg geprägtes Land. Antigua ist nicht nur nationales Kulturdenkmal sondern gehört seit 1979 zum UNESCO-Welterbe der Menschheit - als einzigartiges Beispiel kolonialer Architektur.

    Nach dem großen Erdbeben am 29. Juni 1773 hatte die Regierung beschlossen, abermals eine neue Hauptstadt zu bauen, die heutige Hauptstadt von Guatemala, im 45 Kilometer entfernten Hochtal La Ermita. Zwar wurde viel Inventar aus den Klöstern und Kirchen mitgenommen, doch die steinernen Hüllen von Antigua blieben stehen. Immer wieder bebte seither die Erde, was die Bewohner nicht abhielt, in ihrer Stadt zu bleiben. Das letzte große Erdbeben war 1976. Viel wurde seither wieder aufgebaut, so auch Teile des Clarissinen-Klosters mit dem pyramidenförmigen Brunnen im Innenhof. Vorbild sind die Maya-Pyramiden.

    "Das ist der größte Brunnen, den wir haben in Antigua und in Zentralamerika ist die zweite..."

    Vor der Kirche Nuestra Señora de la La merced erzählt Anna von den christlichen Heiligen und von den Göttern der Mayas, die sich zwischen den gewundenen Säulen des weiß getünchten Giebels verstecken:

    "Kirche von la merced, eine der schönsten, die wir hier... Alles die Barock, die weiße Farbe, sie können schauen ist baroco antiguenio. Zusammen gemacht mit Eiern, Calcium und Honig… Die Motiv, meistens sind Blumen, aber unten die Frucht von Wein, die Frucht von Gott
    Weintrauben. Eine Frucht, eine Kakao-Frucht und eine Mais-Frucht. Warum das, die Kakao, war die Himmels-Essen for die Gott...werden Schokolade geben..."

    Auch die Himmelsrichtungen und die Farben gehören zur Maya-Religion - wie die Totenmasken im Jade-Museum von Antigua. Der Osten ist rot, die Geburt des Tages, das Leben. Der Norden ist weiß, der Süden gelb. Schwarz - der Tod - ist der Westen, die Unterwelt, wo die Sonne untergeht. Das Zentrum der kreisrunden Maya-Erde ist grün wie der Regenwald und Blau wie der Himmel. Rot, schwarz, gelb und weiß sind gleichzeitig die Farben des Mais, aus dem die Menschen gemacht sind:

    "...weiß, die Skelette, rot die Blut, gelb die Fleisch, schwarz unser haare und Augen.... In der Popul Vu ist das Buch von die Maya, es hat gesagt, die Maya sind gemacht von die Mais..."

    "...so ging der Mais durch der Erzeuger Werk in die Schöpfung ein. Und da erfüllte sie Freude, denn sie hatten ein wunderschönes Land voller Annehmlichkeiten gefunden, mit einem Überfluss an gelbem und weißem Mais...mit einem Überfluss auch von Paxtate und Kakao, voller unzähliger Früchte und voller Honig..."

    Das Popol Vuh hat Chicicastenago im zentralen Hochland weltweit bekannt gemacht. Hier, 2000 Meter über dem Meer und 145 Kilometer von der Hauptstadt, hat Francisco Ximenez in der Bibliothek des Dominikanerklosters eine Maya-Handschriften entdeckt und übersetzt. Aber nicht alleine die religiösen Kulte locken so viele Besucher in das Städtchen, es ist wohl eher der exotische Markt mit den vielen bunten Tüchern, den Tiermasken, Schnitzereien, Töpferwaren, Zwiebeln, Tomaten und Früchten der Augen, Nase und Herz verführt.

    "Aus Aachen. Wir machen jetzt Urlaub in Guatemala. Wir waren eine Woche am Atitlansee und fliegen dann wieder zurück. Es ist zum Teil gewöhnungsbedürftig, aber es ist schon ein abwechslungsreiches Land. Wir sind auch recht froh, dass wir hier rauf gekommen sind - und wir haben auch den Gott gesehen, Maximon."

    Treffpunkt ist der Markt und die Freitreppe der Kirche Santo Tomás, wo nach der heiligen Messe viel Kopalharz in Rauch aufgeht, wo mit Feuerwerk und Schnaps die Geister bezähmt werden.

    Auf den heiligen Stufen haben Indigena-Frauen ganze Berge Blumen und Kräuter ausgebreitet. Hier rufen sie unter Weihrauchschwaden ihre alten Götter an. Sie mögen nicht, dass Gringos die Treppe betreten, gehört sie doch zu einem alten Maya-Tempel, auf dem die Dominikaner einst ihre Kirche bauten. Deshalb gehen Besucher durch einen Seiteneingang in die rußgeschwärzte mit Blumen und Fichtennadeln bestreute Kirche.

    Maximon wohnt nicht in der Kirche, er wohnt in einer ziegelgedeckten Hütte am Rande des heiligen Berges, eine halbe Stunde Fußweg vom Stadtzentrum. Dort oben zelebrieren Maya-Schamanen bis heute ihre Kulte zwischen Himmel und Erde. Aber unten in der Hütte huldigt man einem Heiligen, den die katholische Kirche weit aus ihren Mauern verbannt hat.

    "Er wird vor allem von Indigenas verehrt."

    Erzählt Maria-Christine Zauzich, eine Deutsche, die seit zwanzig Jahren in Guatemala lebt und schon so mancher Maya-Zeremonie beigewohnt hat:

    "Ich hab eine Version gelesen, die heißt: Hier wir ja immer Karsamstag der Judas verbrannt, dass Indigena-Kinder sehr traurig waren und Mitleid hatten. Und letztlich sagten, dem geht es genauso wie uns. Und dass sie da sozusagen aus diesem "Maschimon" ihren eigenen Heiligen geschaffen haben."

    Er trägt einen schwarzen Hut, ein schwarzes Jackett, weißes Hemd und mehrere Krawatten. Ständig muss er mit Zigarren gefüttert und ein Tuch vor ihm mit Schnaps getränkt werden. In einem Körbchen liegen Münzen.

    "Angeblich erscheint er in den Träumen. Man kann dem Feind Böses an den hals wünschen mit Hilfe des M. und man kann sich auch Wunder erbitten. Es heißt, dass große Politiker heimlich hinfahren lassen und dem M. ihren Tribut zahlen."
    Für die Angehörigen der cofradias, der religiösen Bruderschaften, ist es eine große Ehre, den Maximon beherbergen zu dürfen. Sie kleiden und waschen ihn, legen ihn zu Bett, ernähren ihn mit Zigarren und Schnaps. Und an den Festtagen tragen sie ihn durch die Straßen, wie Christus und die heilige Jungfrau, den Snato Tomás oder die Halbgötter der Quiché, Hunahpu und Ixbalanqué aus dem Popol Vuh.