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"Land der Musik" von Christian von Borries
Das Anti-Neujahrskonzert

Was macht österreichische Musik aus? In seinem Werk "Land der Musik" hat der Komponist Christian von Borries populäre und weniger populäre Musikstücke, die für die nationale Identität Österreichs von entscheidender Bedeutung waren, umgestaltet. Herausgekommen ist ein "Neujahrskonzert" der anderen Art.

Von Bernhard Doppler |
    Christian von Borries, „Land der Musik“ – ein Neujahrskonzert, 2018
    Christian von Borries, „Land der Musik“ – ein Neujahrskonzert, 2018 (steirischerherbst’18 / Clara Wildberger)
    Hallstatt, lange ein ziemlicher verschlafener Ort im Salzkammergut, und nur mit einer Fähre über den Hallstätter See zu erreichen, kann sich zur Zeit der Touristenströme aus Asien nicht mehr erwehren. 7.000 waren es dieses Jahr an manchen Tagen. In der südchinesischen Provinz Guangdong ist nämlich 2012 eine Kopie des österreichischen Dorfes nachgebaut worden, und seither kommen viele asiatische Touristen, um das Original zu sehen. Am Ortseingang können sie sich ein "Dirndl to go" mieten, um als Tourist in angemessener Kleidung durch das österreichische Hallstatt zu spazieren.
    Während Videos vom Zentrum dieses Ortes zu sehen sind, eröffnet Christian von Borries mit dem Johann-Strauß-Walzer "Bei uns zu Haus", leicht verfremdet akzentuiert durch eine Bearbeitung durch Computer, den Abend "Land der Musik".
    Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker als Bezugspunkt
    Was ist Heimat? Was Identität durch Heimat? Das in aller Welt durch Eurovision übertragene Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker ist der Bezugspunkt für dieses Konzert beim Musikprotokoll, einem Avantgarde-Musikfestival innerhalb des Steirischen Herbst.
    Eröffnet wurde der Steirische Herbst mit einer Performance der Musikgruppe Laibach. "Sound of Music", das lange Zeit erfolgreichste Musical in den USA überhaupt, hat ein ähnliches Schicksal wie Hallstatt. Es ist die Geschichte der zehnköpfigen Trapp-Familie, eine Sängerfamilie mit 10 Kindern, die aus Salzburg 1938 vor den Nationalsozialisten nach Amerika emigrierte. In Österreich wenig bekannt, gilt für Amerikaner das Lied "Edelweiß" als österreichische Nationalhymne. Laibach hat das Lied der Berge natürlich weiter verschärft.
    "Sound of Music" hatte Laibach zunächst 2015 ausgerechnet in Nordkorea vorgestellt. In der Grazer Version werden nun vor allem Videos aus Nordkorea vorgestellt, denn - so die provokante Erklärung der Gruppe: Nordkorea und Österreich seien sich sehr ähnlich. Beides faschistische oder gerade vor dem Faschismus stehende Staaten. Die politischen Paraden und Tänze und disziplinierten Musikdarbietungen nordkoreanischer Kinder entsprechen in der Tat verblüffend der in Trachten singenden gedrillten 10-köpfigen Trapp-Kinderschar. Ideologiekritik durch Überidentifikation.
    So weit geht Christian von Borries nicht. Aber den ideologischen Hintergrund thematisiert das 1939 gar nicht von Österreichern, sondern von Göbbels für das Winterhilfswerk ins Leben gerufene Wiener Neujahrskonzert von Borries auch. Er kontrastiert die Walzermusik mit der der Filmmusik zu Robin Hood von Erich Wolfgang Korngold und der österreichischen Erstaufführung der fünften Sinfonie von Erwin Schulhoff aus dem Jahre 1938. Dazu Christian von Borries:
    "Diese Stücke waren interessant, weil sie aus der Zeit sind, als Österreich mit den Deutschen gemeinsame Sache gemacht hat, eben den Anschluss. Und dann gab es eben diese Leute, die aus Österreich fliehen mussten. Für uns war es ein Glücksfall, dass es diese Komponisten gibt, die einerseits wie Korngold in die USA gehen konnten, um dann diese großartige Filmmusik zu schreiben. Und der andere Fall ist ein wesentlich tragischer, weil er eben ums Leben gekommen ist, während des Dritten Reichs im KZ. Und die sind nach dem Krieg vergessen worden, weshalb es eigentlich ein Skandal ist, dass diese wahnsinnige fünfte Sinfonie in Österreich nie aufgeführt wurde."
    Algorithmisches Sampling und Neuarrangement
    Dennoch auch bei Borries finden sich sicherlich verfremdet durch ein Computerprogramm - auch die traditionellen Neujahrskonzertnummern, zum Beispiel der Radetzkymarsch von Johann Strauß‘ Vater. Bis heute wird er in der Bearbeitung des Leiters der NSDAP-Kreismusikstelle Leipzig, Leopold Weniger, nach den Zugaben als Abschluss jedes Neujahrskonzerts gespielt. Als Videoeinspielungen sind dabei Helmut von Karajan zu sehen, auf dessen nationalsozialistische Vergangenheit ausdrücklich hingewiesen wird, aber auch Daniel Barenboim.
    Was macht österreichische Musik aus? Was ist musikalische Identität im Land der Musik. Diese Frage wird schließlich an einen über Algorithmen arbeitenden Computer gestellt, der mit unzähligen Informationen zur österreichischen Musik gespeist ist. Die Moderatorin dieser Veranstaltung, Nurcan Özdemir, erklärt: "Meine Damen und Herren, Sie sind Zeitzeugen, wenn zum ersten Mal in Österreich, im Land der Musik eine Musik erklingt, die von einer künstlichen Intelligenz programmiert wurde, quatsch komponiert wurde. Wir haben einen Roboter geschaffen, der die perfekte nationale Musik gelernt hat, sodass wir es nie wieder jemandem erklären müssen. Und wie das klingt, das hören wir uns jetzt mal an."
    Was ist das für eine Musik? Gespeist von unzähligen Eingaben. Die Kategorien gut und schlecht scheinen wirkungslos. Ist sie ernst oder ironisch. Fremd und doch seltsam vertraut. Eine Irritation.