Montag, 29. April 2024

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Land im Fieber

Zwölf Jahre nach dem Krieg mit Serbien steuert Bosnien-Herzegowina einer Krise entgegen. Die Verheißungen eines multi-ethnischen Einheitsstaates haben sich nicht erfüllt: Die Interessen der Serben, Kroaten und Bosniaken klaffen weit auseinander. Sollte es nun im Kosovo zu einer einseitigen Unabhängigkeitserklärung seitens der Kosovo-Albaner kommen, könnte auch in der bosnischen Teilrepublik der Ruf nach Unabhängigkeit laut werden. Andreas Meyer-Feist hat sich für uns in Bosnien-Herzegowina umgeschaut.

28.11.2007
    Wer an Bosnien denkt, denkt an Srebrenica: Die Stadt der Toten und der Trauer. Jedes Jahr findet hier eine bewegende Feier statt. Die Ermordeten sollen nicht vergessen werden - bis zu 8000 Bosniaken waren im Juli 1995 während des Bosnienkrieges massakriert worden. Verantwortlich war Ratko Mladic, der Armeeführer der Republika Srpska, der selbsternannten "serbischen Republik". Noch immer werden neue Massengräber in der Umgebung gefunden. Noch immer werden Opfer geborgen.

    Es war eines der schlimmsten Verbrechen in Europa seit Ende des Zweiten Weltkriegs. Das Trauma von Srebrenica prägt das fragile Staatsgebilde Bosnien-Herzegowina, das von Miroslav Lajcak verwaltet wird, dem Hohen Repräsentanten der internationalen Staatengemeinschaft in Sarajewo. Lajcak soll das Land zusammenhalten und stabilisieren:

    "Eine "Mission Impossible" gibt es nicht. Auch in Montenegro haben einige diese Mission so bezeichnet. Es hat sich gezeigt, dass es sich doch gelohnt hat. Ich bringe nach Bosnien-Herzegowina meine eigene Wahrnehmung der Lage auf dem Balkan mit. Und einen neuen Background. Ich bin der erste hohe Vertreter aus einem neuen EU-Mitgliedsland."

    Lajcak ist Slowake. Er will Bosnien an die EU heranführen. Die Voraussetzungen sind schwierig: Bosnien-Herzegowina besteht aus zwei Teilrepubliken, der Bosnisch-kroatischen Föderation und der Serbischen Republik. Die Viereinhalb-Millionen-Volk teilt sich auf in bosnische Muslime, Kroaten und Serben. Von einem Zusammengehörigkeitsgefühl ist nichts zu spüren. Im Gegenteil. Das Trauma des Bosnien-Krieges wirkt nach. Zwischen den Teilrepubliken herrscht Misstrauen, bis hin zur offenen Feindschaft.

    Dabei wünschen sich die jungen Erwachsenen in der Bosnisch-kroatischen Föderation nichts anderes als ihre Altersgenossen in der Serbischen Republik: Frieden, Aufschwung, Arbeitsplätze - am besten in der Europäischen Union:

    "Das wäre ein großer Schritt für Bosnien-Herzegowina. Aber die Umstände sind schwierig. Vielleicht in zehn Jahren. Aber ich glaube nicht einmal in zehn Jahren daran. Bosnien-Herzegowina ist geteilt und zerrissen."

    "Die Politik bestimmt das Leben und den Alltag aller Menschen, und zwar ständig. In zehn Jahren werden die Serben in ihrer Teilrepublik unter sich sein. Dann haben sie ihr Ziel erreicht. Dann wird kein Bosnier dort mehr wohnen."

    Nicht nur die serbischen Politiker sind für die Vertrauenskrise in Bosnien verantwortlich. Die EU-Kommission kritisiert die "hetzerische Rhetorik" der Politiker aller Seiten und fordert einen "Geist der Toleranz" als Voraussetzung für eine Beitrittsperspektive zur Europäischen Union. Clifford Bond, der ehemalige Botschafter der USA in Sarajewo, soll den Dialog zwischen den Volksgruppen fördern, der auch von der Europäischen Union lange Zeit vernachlässigt wurde:

    "Als ich herkam, lag vieles am Boden. Die Leute redeten nicht miteinander und arbeiteten nicht zusammen. Wir sind jetzt dabei, unsere Arbeit wieder transparent und berechenbar zu machen."

    Ein Problem ist der Teufelskreis aus politischer Instabilität und wirtschaftlichem Abschwung. Während Import- und Export-Geschäfte blühen, wird fast nichts produziert und nur wenig in neue Arbeitsplätze investiert. Dabei sind die Rahmenbedingungen nicht schlecht:
    "Die Leute bleiben nicht hier, wenn die wirtschaftliche Basis fehlt. Also müssen wir diese Basis schaffen. Bosnien-Herzegowina ist eine reiche Region, reich an natürlichen Ressourcen wie Holz und Wasser. Wir müssen diese Ressourcen entwickeln, wir müssen das Geschäft zum Laufen bringen!"

    Ob Bosnien-Herzegowina näher an die EU heranrückt, hängt aber nicht nur davon ab. Eine Schlüsselrolle für Bosniens Zukunft spielt Serbien und der serbische Konflikt mit der abtrünnigen Provinz Kosovo, glaubt die Politikwissenschaftlerin Sonja Biserko:

    "Sie wollen den Balkan-Konflikt endlich vom Tisch haben. Sie wollen die Region auf die EU vorbereiten und die alten Konflikte nicht in die EU hineintragen."

    Doch die alten Konflikte werden weiter getragen. Von den Alten zu den Jungen in Bosnien-Herzegowina. Die Gedenkfeiern am Ort des bosnischen Traumas in Srebrenica werden überlagert von politischen Forderungen für die Zukunft, die wenig mit Gemeinsamkeit, aber viel mit neuer Abgrenzung zu tun haben.

    "Srebrenica darf nicht länger zur serbischen Teilrepublik gehören. Es wird immer schwieriger für bosnische Muslime, hier zu leben. Meine Kinder müssen später in die serbische Schule - das geht nicht."

    Der Vorschlag, Srebrenica zu einer Gemeinschaftsangelegenheit der bosnischen Zentralregierung zu machen, ist gescheitert. Die Forderung der EU, die Trennungen in der Verwaltung zu überwinden, hin zu einem Gesamtstaat, wurden nicht erfüllt. Die Zusammenarbeit zwischen den getrennten Polizeibehörden wurde verbessert - aber eine gemeinsame bosnische Polizei können sich die beiden Teilrepubliken noch nicht vorstellen, auch wenn sie eine Polizeireform in Aussicht gestellt haben. Zwei verfeindete Republiken in einem Staat. Keine guten EU-Beitrittsperspektiven.