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Ein ganzes Land versinkt - die Folgen der Flutkatastrophe in Pakistan sind kaum abschätzbar. Doch nicht nur die Menschen leiden, auch das kulturelle Erbe ist schwer getroffen, sagt Markus Litz, Leiter des Goethe-Instituts in Pakistan.

Markus Litz im Gespräch mit Dina Netz |
    Dina Netz: 20 Millionen Menschen sind von den Überschwemmungen in Pakistan betroffen, hat Außenminister Guido Westerwelle heute geschätzt. Die Bundesregierung hat die Soforthilfe deshalb auf 25 Millionen Euro aufgestockt. Angesichts von 20 Millionen Flutopfern habe ich mich zuerst etwas unwohl gefühlt bei der Vorstellung, hier in "Kultur heute" über die kulturellen Auswirkungen der Flut zu sprechen. Andererseits berichten wir im Deutschlandfunk ja in den aktuellen Informationssendungen umfassend über die Lage in Pakistan.

    Markus Litz ist Leiter des Goethe-Instituts in Pakistan, das hat seinen Sitz in Karachi, und ich habe ihn in Indien erreicht und gefragt: Herr Litz, welche kulturellen Stätten in Pakistan hat die Flut beschädigt oder zerstört?

    Markus Litz: Es geht zunächst um die wichtigen Metropolen, die antiken Metropolen im Norden von Pakistan. Ich möchte vor allen Dingen erwähnen Taxila, was eine große, eine bedeutende Ansiedlung gewesen ist, die ungefähr 10.000 vor Christus entstanden ist. Im Süden des Landes ist es die alte Metropole Montando Dahro, die auch zum Weltkulturerbe gehört und die durch die Wassermassen des Indos beziehungsweise durch die Auswirkungen des Monsun ganz unmittelbar betroffen ist.

    Netz: Gibt es denn, Herr Litz, außer den Monumenten auch besondere Kultur- oder Naturlandschaften, die zerstört oder bedroht worden sind?

    Litz: Da möchte ich erwähnen die Wüste beziehungsweise die steppenähnliche Wüste Thar im Süden des Landes, also in der Region Sindh. Das ist auch die Region, wo unser Goethe-Institut zu finden ist. Wir sind im äußersten Süden der Region Sindh. Und im Ostteil, an der Grenze zu Indien, gibt es eine Wüste beziehungsweise eine Steppenlandschaft, die jetzt durch die Wassermassen betroffen ist, sehr stark betroffen ist. Das hat einerseits sogar einen positiven Effekt, weil nämlich jetzt quasi die Wüste Flora und Fauna haben wird, in nächster Zukunft. Aber andererseits sind die dort beheimateten Stämme auf der Flucht und bewegen sich in die großen Metropolen der Region Sindh. Das ist vor allen Dingen Heyderabad und die Stadt Karachi. Und das beeinträchtigt vor allen Dingen eben ja kunstgewerbliche Produktion in dieser Region des Landes. Die Textilien und überhaupt das Kunstgewerbe aus der Region Thar sind über die Landesgrenzen von Pakistan hinaus bekannt und beliebt und auch sehr geschätzte Artikel, die in der Touristikbranche vertrieben werden.

    Netz: Es gibt ja einen Strom von Flüchtlingen im Moment aus dem Norden in den Süden Pakistans, und die pakistanische Regierung versucht, dem entgegenzusteuern. Das hat vor allem kulturelle, ethnische Gründe. Erklären Sie das doch bitte mal, Herr Litz?

    Litz: Sie wissen, dass es seit dem Herbst letzten Jahres Kriegshandlungen in einem Landesteil gibt, nämlich in Waziristan, wo die Regierung vorgeht gegen militante islamistische Kräfte, und das hat zur Folge, dass es eine Vielzahl von sogenannten internally displaced people gibt, also Flüchtlinge aus Pakistan, die aus dem Nordteil in den Süden strömen. Hinzu kommen jetzt diese Millionen von Menschen, die aufgrund des Monsuns, der Überflutung des Indo-Deltas in den Süden strömen und da wie gesagt vor allen Dingen in die großen Metropolen Heyderabad und Karachi. Es schwirrt eine Zahl herum, dass die Regierung beabsichtigt, in nächster Zukunft zirka zehn Millionen Menschen anzusiedeln in diesen beiden genannten Metropolen, und das wird natürlich auch ganz erhebliche Auswirkungen haben auf das soziale Leben in diesen beiden Städten, und möglicherweise wird das auch zur Folge haben, dass die schon jetzt vorhandenen Elendsgürtel um die Städte weiter anwachsen und wuchern werden.

    Netz: Möglicherweise wird auch der Süden Pakistans noch stärker von den Überschwemmungen in Mitleidenschaft gezogen. Was bedeutet denn das für diese Konflikte, die Sie gerade geschildert haben, zwischen den Volksgruppen?

    Litz: Wir haben ohnehin in Karachi eine sehr brenzlige Situation. Es hat, wie Sie vielleicht wissen, Anfang August Ausschreitungen, massive, gewalttätig eskalierende Ausschreitungen zwischen verschiedenen Ethnien, aber auch zwischen verschiedenen politischen Parteien, die wiederum bestimmte ethnische Gruppen vertreten, gegeben und das hat dazu geführt, dass es in aller kürzester Zeit, nämlich innerhalb von drei, vier Tagen annähernd 100 Tote gegeben hat. Das ist auch für die Zukunft nicht auszuschließen, weil natürlich jetzt der Anteil von Menschen aus dem Norden und damit also der Pathanen oder der Paschtunen steigen wird, und die in Karachi regierenden Mohadjils. Das sind Odu sprechende beziehungsweise Hindi sprechende Pakistani. Die fühlen sich durch diese massive Präsenz bedroht. Und so entsteht ein Ungleichgewicht, so entsteht auch eine zunehmende eskalierende Spannung zwischen Ethnien, zwischen religiösen und zwischen tribalen Gruppen.

    Netz: Der Leiter des Goethe-Instituts in Karachi, Markus Litz, über die kulturellen Auswirkungen der Überschwemmungen.