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Land unter oder Neuland in Sicht

Die Piratenpartei konnte beachtliche Wahlergebnisse erzielen. Im Superwahljahr 2011 aber scheint die Piratenpartei viele Chancen zu verspielen – weil sie über sich selbst stolpert.

Von Philip Banse | 03.03.2011
    "Der Zustand der Partei - wir sind in einer Findungsphase, noch immer, das muss man so sagen."

    Findungsphase - die Worte des politischen Geschäftsführers der Piratenpartei, Christopher Lauer, sind durchaus wörtlich zu nehmen. Finden würden viele Piraten zunächst mal gerne ihren Partei-Vorsitzenden. Doch Jens Seipenbusch geht nicht ans Handy und beantwortet Mail-Anfragen von Journalisten nach drei Tagen mit einem knappen Verweis an die Pressestelle. Die Pressestelle der Partei wiederum kann den Piraten-Chef nicht auftreiben und schreibt, das sei ein "unhaltbarer Zustand", der "seit sehr langer Zeit von der gesamten Partei kritisiert" werde. Ob der 26jährige Student und de facto Piratenführer Christopher Lauer den Vorsitz deshalb ganz übernehmen will, weiß er noch nicht:

    "Was aber für mich ganz klar sein wird, ist, dass ich nicht noch mal mit einem Jens Seipenbusch in diesem Bundesvorstand arbeiten werde, weil das einfach keinen Sinn macht."

    Katerstimmung nach der Euphorie des Jahres 2009. Damals hatte die blutjunge Internet-Partei Achtungserfolge eingefahren: Bei der Bundestagswahl bekamen sie 2 Prozent, knapp 850.000 Menschen wollten die Piraten im Parlament sehen. Die Mitgliederzahl verzehnfachte sich und liegt heute bei gut 12.000 - fast ausschließlich Männern. Voran getrieben wurden die Piraten durch die Diskussion um Internet-Sperren und viele andere netzpolitische Fragen, auf die die etablierten Parteien keine Antworten hatten. Die Piraten waren eine Alternative. Das ist zwei Jahre her. Seitdem sind die Piraten vor allem mit sich selbst beschäftigt, kritisiert Aktivist Markus Beckedahl, dessen Blog Netzpolitik.org zum netzpolitischen Zentralorgan Deutschlands geworden ist.

    "Ich war von Anfang an skeptisch, als die Piraten sich eine Parteistruktur gegeben haben, weil ich der Meinung war, dass man erst mit Netzwerken und NGOs anfangen sollte, wenn man eine soziale Bewegung repräsentieren will. Denn mit einer Partei bekommt man sofort andere Probleme, nämlich Struktur-Diskussionen. Die Piraten diskutieren nur über Strukturen und Köpfe und dabei fehlen ihnen auch noch charismatische Köpfe, die ihre Themen eloquent nach außen vertreten können."

    "Ja, sehe ich genauso"

    sagt der politische Geschäftsführer der Piraten, Christopher Lauer. Es gebe schon charismatische Kandidaten, die hielten sich jedoch bedeckt - auch weil es der jungen Partei schwer zu vermitteln sei, dass sie eine smarte Front-Figur brauche.


    "2009 sind 10.000 Leute beigetreten. In so einem Verein, wo sich keiner kennt, ist die Formulierung eines Machtanspruchs für das eigene Vorankommen in der Partei äußerst schwierig, weil alle sagen: Was ist denn das für ein Vogel, das ist ja nur ein karrieregeiles Arschloch, der will die Partei als Sprungbrett benutzen. Aber wir könnten das beste Programm der Welt haben, wenn wir keine Leute haben, die glaubhaft vermitteln, dass wir ein Programm haben, dass das bewerkstelligen kann, dann ist auch das beste Programm nichts wert."

    Das Programm. Die Piraten waren lange eine Partei, mit einem Thema: Digitale Bürgerrechte. Auf ihrem letzten Bundesparteitag in Chemnitz haben sie beschlossen, das zu ändern.

    "Wir haben jetzt das Recht auf sichere Existenz und gesellschaftliche Teilhabe drin, wo wir uns dafür aussprechen, das Menschen nur weil sie da sind, vom Staat versorgt werden und sich eben nicht offenbaren müssen, wie das etwa jetzt bei Hartz IV geschieht, das ist die Grundlage für eine Sozialpolitik der Piraten und deswegen bietet die Piratenpartei schon mehr." *

    Zu Wirtschafts- und Außenpolitik haben die Piraten noch gar nichts zu sagen. Blogger Markus Beckedahl:

    "Sie gelten immer noch als eine Netzpolitik-Partei und sie haben natürlich das Problem, das mittlerweile alle anderen Parteien - inklusive der CSU - auf diesen Netzpolitik-Zug aufgesprungen sind, dass überall junge Politiker in den Parteien, in den Fraktionen sich um dieses Thema reißen. Das Thema ist auf einmal hip und viele Fragen sich: Wozu brauchen wir jetzt noch die Piratenpartei?"

    Die Piraten sagen: Nur weil sich alle um Netzpolitik kümmern, heißt das nicht, dass alle Parteien auch gute Netzpolitik machen. Es gibt aber noch etwas anderes, worauf viele Piraten stolz sind.

    Heide Hagen sitzt im Piraten-Vorstand des Berliner Landesverbandes. Der Berliner Landesverband habe sich - anders als die Bundespartei - gut strukturiert, und thematisch gut aufgestellt - vor allem Dank Liquid Feedback. Diese Software ist eine Erfindung der Piraten und soll die innerparteiliche Entscheidungsfindung revolutionieren, rational machen und vor allem transparent. Wer ein Anliegen hat, schreibt es in Liquid Feedback, dort wird es diskutiert und abgestimmt. Fühlen sich Piraten nicht genug informiert, können sie ihre Stimme bei Abstimmungen einem kompetenteren Piraten übertragen. Alle Beschlüsse und Diskussionen sind im Internet nachzulesen. Dieser transparente Politikstil ist für das Berliner Vorstandmitglied Heide Hagen der wahre Piratenschatz, den andere Parteien nicht haben:

    "Und bei uns kann jeder mitmachen, er muss nicht mal in der Partei sein, er kann sich an den Diskussionen beteiligen, kann sich einbringen und wenn er gute Konzepte entwickelt werden die aufgenommen."

    Im Herbst wird in Berlin ein neues Landesparlament gewählt.

    "Was wir wollen ist: Mehr als die FDP. Das werden wir wahrscheinlich schaffen. Ob das fünf Prozent werden, die andere Frage."

    * Das gesendete Manuskript weicht in dieser Passage aufgrund einer Autorenkorrektur von der Sendefassung ab.