Mittwoch, 24. April 2024

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Landart im Safiental
Mit Wanderschuhen zur Kunst

Vorbei an Wasserfällen, steilen Felswänden und idyllischen Bergweiden führt die erste Kunstwanderung im Schweizer Safiental. Zwischendurch stoßen die Wanderer auf Skulpturen und Installationen, die in der Naturumgebung ganz besonders wirken. Wer müde ist, kann sich in einem Freiluft-Bett ausruhen.

Von Susanne von Schenk | 09.10.2016
    Die Skulptur 'Une echappee belle' der Schweizerer Künstler Les Freres Chapuisat steht im Schweizer Safiental.
    Eine Skulpture auf der Landart Safiental vor einer spektakulären Kulisse. (dpa / picture-alliance / Gian Ehrenzeller)
    "Willkommen im Safiental bzw. auf der Art Safiental. Also was ist die Art Safiental? Das ist eine Ausstellung, die draußen stattfindet."
    Auf der Terrasse der Pension "Alpenblick" in Tenna hat sich bei schönstem Wetter eine kleine Gruppe um einen der rustikalen Holztische versammelt. Johannes Hedinger, Initiator der Art Safiental, beugt sich über eine Karte und erklärt, wohin im Laufe des Tages gewandert werden wird. Kunstwandern im Safiental – das ist eine Premiere, ebenso wie die Landart Ausstellung selbst: Sechs Großinstallationen aus China, Italien, Deutschland und der Schweiz verteilen sich über das 25 km lange, dünn besiedelte Tal.
    Wanderer ziehen Lose
    Die Musik kommt vom ehemaligen Schweinestall hinter dem Pension "Alpenblick". Sie soll akustisch auf die Tour einstimmen. Jeder Teilnehmer zieht zudem ein Los.
    "Wo immer du bist, lege dich auf den Boden und verweile. Oder: Verhalte dich wie ein Tourist. Oder: Finde Deine Geschwindigkeit."
    Vorbei an Tennas Kirche aus dem 15. Jahrhundert hinauf zum Skilift, dessen Sitze nun Riesenemoticons des Italieners Filippo Minelli zieren – eine kinetische Skulptur. 2010 entwickelt war der Lift übrigens weltweit der erste mit beweglichen Solarpanels.
    Landschaft und Objekte miteinander verknüpfen und so Natur wie auch die Skulpturen anders wahrnehmen – das ist die Idee der Kunstwanderung. Vorbei an Kuhweiden dauert der Aufstieg zum gut 2000 Meter hoch gelegenen Tennakreuz ungefähr eine Stunde. Die Sonne steht im Zenit, als oben ein aus Latten anarchisch zusammengeschraubter Holzturm sichtbar wird, geradezu surreal. Ein Hauch von Chaos in der ordnungsliebenden Schweiz.
    "Das ist der Stammtisch in luftiger Höhe. Die Frères Chapuisat machen seit Jahren Installationen, wo sie auch einen Stammtisch integrieren – das ist der momentan höchstgelegene Stammtisch. Das gehört zum Erlebnis, es sitzt sich sehr toll da oben."
    Käse-Imbiss am Fuße des Berges
    Von dort oben ist der Blick ins Tal und auf die benachbarten Berggipfel, die bis 3.000 m emporragen, noch besser. Wer dann durch das Lattengewirr den Weg wieder hinuntergefunden hat, den erwartet Jolanda Rechsteiner mit einem Imbiss.
    "Hier haben wir ein Picknick aus Safier-Produkten, alles selbst gemacht oder im Tal hergestellt. Verschiedene Käse, sicher ganz speziell der Alpenrosenkäse, selbst gemachte Kräuterpaste."
    Mit einem kleinen Bus geht die Fahrt von Tenna bis an das Talende: Z‘Hinderscht heißt es, weil dort hinten Schluss ist. Ein Wasserfall, sattgrüne Weiden, eine steile Felswand, hinter der Italien liegt und eine Alphütte, vor der eine Frau in der Sonne sitzt.
    Von der Alphütte geht es über einen Bach steil hinauf zu einem Wasserfall. Gleich daneben schmiegt sich eine hölzerne Konstruktion an den Hang. "Bergkanzel" hat Johannes Hedinger, nicht nur Kurator der Art Safiental, sondern selbst Landart Künstler, die Installation genannt.
    "Das ist einfach ein toller Ort, einerseits vom Gucken von unten, andererseits von oben her. Hier wollten wir eigentlich der Welt auch etwas zurückgeben. Wir können das allein sagen oder wir können Leute einladen, etwas zu sagen. Man kann das an die Welt richten, an die Tiere, an sich selber, man kann auch schweigen und die Aussicht genießen. Aber es ist zum Benutzen da."
    "Null Sterne Hotel"
    Der Tag verfliegt im Nu. Auf dem Rückweg vom Talende ein Hinweisschild: "Null Sterne Hotel". Vor spektakulärer Alpenkulisse steht auf einem Betonboden ein großes frisch bezogenes Doppelbett ohne Wände, aber mit Nachttischlampen und einem Butler für den Service. Wie ein Hotelzimmer, das zum Übernachten im Freien einlädt. Die Idee stammt von den Zwillingen Frank und Patrik Riklin aus St. Gallen, die damit auch den Klassifizierungs- und Luxuswahn der Schweizer Hotellerie aufs Korn nehmen, so Patrik Riklin.
    "Die Hotellerie Suisse hat plötzlich Angst gekriegt: 'Oh, Scheiße, jetzt kommt hier die Null'. Die Null ist ja bisher eine Nische, die niemand interessiert hat. Null gleich schlecht, Null ist nichts. Das war eigentlich unsere künstlerische Intervention, zu sagen, wir besetzen diese Null und laden diese Nische neu auf, in dem wir hinterfragen, was heißt eigentlich Luxus. Und Null Stern heißt eben nicht schlecht, sondern die Unabhängigkeit und Freiheit."
    Bei klarem Sternenhimmel nach der Landart Wanderung in dieses Bett zu sinken, wäre der krönende Abschluss des Tages. Aber mit bereits über 250 Anmeldungen landet man erst einmal auf einer Warteliste. Im nächsten Jahr möchten die Zwillinge ihre Betten in weiteren Tälern aufstellen.