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Landestheater Tübingen
Intendantenwechsel wirbelt Ensemble durcheinander

Umzug in eine andere Stadt, Trennung von Familie und Soziotop, womöglich gar Rauswurf und Arbeitslosigkeit: Wenn ein Intendant oder eine Intendantin geht, hat das oft massive Konsequenzen für das Ensemble. Auch am Tübinger Landestheater.

Von Oliver Ramme | 10.06.2014
    Simone Sterr vom Landestheater Tübingen steht am Freitag (18.03.2011) vor dem Logo des Theaters in Tübingen. Theateraufführungen auf Russisch oder Koproduktionen mit den Tübinger Partnerstädten: Das Landestheater Württemberg-Hohenzollern will sich in seinen Stücken noch stärker um einen internationalen Blickwinkel bemühen.
    Simone Sterrs Intendanz am Landestheater Tübingen endet im Sommer 2014. (Marc Herwig / dpa)
    Eine Handvoll Trauergäste auf der mit frischem Humus bedeckten Bühne. Die Gäste tragen futurische Kleider und höfische Perücken. Die Kostüme sind so schräg wie die schiefe Bühne. Schräg ist auch die gespielte Trauer. Keiner konnte die Tote leiden. Ein zynisches Stück über Abschiednehmen wird hier auf der Tübinger Bühne inszeniert. Das passt ein bisschen zur Realität des Tübinger Landestheaters. Das Ensemble löst sich demnächst auf.
    "Das hat damit zu tun, dass das Theater ein sogenannter Tendenzbetrieb ist. Dem Zuschauer möchte man alle paar Jahre neue Gesichter und eine neue Ausrichtung zeigen."
    Ralph Höhnle, Vorsitzender des Personalrats des Landestheaters, beschreibt einen normalen, aber doch schwerwiegenden Vorgang an den deutschen Bühnen –, an dem es nichts zu rütteln gibt. Alle paar Jahre, wenn ein Intendantenwechsel ansteht, wird das Ensemble auf den Kopf gestellt. Das heißt für die meisten Schauspieler, Dramaturgen oder Regisseure: Wenn ein neuer Intendant kommt, muss ich einen neuen Arbeitgeber finden! Das gilt auch für den Hausregisseur Ralf Siebelt - und der grummelt:
    "Dass da ein komplettes Ensemble gehen muss, weil ein neuer Intendant kommt, finde ich absurd. Das ist das weinende Auge, was mich darüber nachdenken lässt, wie schwachsinnig so ein Betrieb aufgestellt ist. Ich kenne keine andere Tätigkeit, in der ein Weggang eines Geschäftsführers bedingt, dass quasi die ganze Mannschaft rausfliegt."
    "Abgesehen davon, dass ich mich in einer unangemessenen Situation befinde, geht es mir sehr gut, danke."
    Arbeitsverträge sind quasi an den Intendanten gebunden. Das ist kein Geheimnis in der deutschen Bühnenlandschaft. Jeder Künstler, der sich ins Abenteuer öffentlichen Kulturbetrieb stürzt, weiß das.
    "Es fühlt sich merkwürdig an, wenn man das dann erlebt. Wieso wird man ausgesiebt und ist nicht dabei? Aber es ist so."
    Neue Herausforderungen oder Hadern mit dem Schicksal
    Schauspieler Karlheinz Schmidt ist seit neun Jahren im Tübinger Ensemble, hat Hauptrollen gespielt, ist bekannt. Bereits im letzten Sommer hat er erfahren, dass er vom neuen Intendanten nicht übernommen wird. Er hat sich wie seine Kollegen an unzähligen deutschen Bühnen beworben. Er sammelte nur Absagen. Niederschmetternd, trotzdem:
    "Nach neun Jahren durchpowern, bin ich gar nicht so unglücklich keinen Anschluss zu haben. Es gibt so viele Sachen, die liegengeblieben sind, die ich endlich mal in Angriff nehmen will. Und da ist meine Mutter seit geraumer Zeit pflegebedürftig und ich mich um sie kümmere."
    "Eine große Demokratin, die immer wieder aneckte."
    Neun Jahre war auch Simone Sterr in Tübingen - einst eine der jüngsten Intendantinnen des Landes. Normalerweise nehmen Intendanten Teile ihres Ensembles mit an die neue Wirkungsstätte. Eine Verbindung ähnlich einer Königin mit ihrem Bienenvolk.
    Sterr hat aber keine neue Wirkungsstätte. Aus privaten Gründen legt sie ein Jahr Pause ein. Entsprechend kann sie ihr Ensemble nur in die Arbeitslosigkeit mitnehmen.
    "Ich fühle mich nicht dafür verantwortlich, dass Familien auf der Straße stehen. Das ist auch nicht meine Schuld. Ich finde, dass ist eine patriarchale Idee, die ich so nicht unterschreiben kann. Ich kann auch nur Arbeitszusammenhänge herstellen, wenn sie passen für mich, und dann kann ich andere einladen mitzukommen."
    Die, die keinen Anschlussvertrag haben, fallen weich, können sich auf dem Arbeitsamt melden. Aber, wer tut das schon gerne?
    Und so ist die Wechsel-Stimmung in diesem Theater gemischt. Einige Schauspieler haben ein neues Engagement an einem anderen Ort gefunden - eine neue Herausforderung! Andere freuen sich auf eine Pause, während der ein oder die andere mit dem Schicksal hadert. Alle Jahre wieder auf den Bühnen dieser Republik.
    "Sie war meine Mutter und nun ist sie weg. Das ist ein echtes Weinen.!!"