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Landgrabbing in Sierra-Leone
Schweizer Unternehmen in der Kritik

Für die Produktion von Ethanol aus Zuckerrohr pachtete das Schweizer Unternehmen Addax vor acht Jahren mehr als 50.000 Hektar fruchtbarstes Land in Sierra Leone. Vor Ort sollten Arbeitsplätze entstehen, Straßen, Krankenhäuser, Schulen. Doch die Kritik am „Landraub“ wurde immer lauter.

Von Alexander Göbel | 26.10.2016
    Szene aus der Stadt Makeni, im Nordosten von Sierra Leone: Kinder pumpen sauberes Wasser aus einem Brunnen in Schüsseln und Kanister. Links daneben steht eine Frau in einem bunten Rock.
    Die Bevölkerung in den Dörfern, die ihr Land zur Verfügung stellte, hatte von Beginn an Angst um ihre Existenz. (dpa/ Thomas Schulze)
    Alusine Bangura kniet auf seinem Acker. Zwischen Daumen und Zeigefinger zerreibt er knochentrockene Erde. Früher hat er hier Reis angebaut und die kartoffelartigen Maniok-Wurzeln, jetzt wächst nichts mehr: "Die Erde ist nichts mehr wert für uns – denn wenn das Feld einmal so trocken ist, kann man nichts mehr machen.
    "Keine Landwirtschaft mehr. Null." Das liege am sinkenden Grundwasserspiegel und auch an den Wasser-Dränagen, sagt der Bauer. Die habe die Firma Addax Bioenergy hier damals überall anlegen lassen, damit das Zuckerrohr besser wächst: Der Rohstoff, aus dem Ethanol hergestellt werden sollte. Und er vermutet, dass es auch am ständigen Gebrauch des Unkrautvernichters Glyphosat auf den Plantagen liegen könnte. Alusine Bangura war einer von vielen Bauern, die rund um die Stadt Makeni auf den großen Investor gesetzt hatten - und heute arbeitslos und mit leeren Händen dastehen.
    Das vermeintliche Hilfsprojekt versprach wirtschaflichen Aufschwung
    Rückblick: 2008 pachtete die Schweizer Firma Addax Bioenergy, eine Tochter des Schweizer Energiekonzerns Addax and Oryx, mitten in Sierra Leone 54.000 Hektar Land – zunächst für 50 Jahre. Eine Fläche größer als Köln. Auf einem Teil dieser Fläche pflanzte Addax Zuckerrohr an. Die Firma wollte in Sierra Leone Bioethanol destillieren – für den Export nach Europa, wo zu jener Zeit die Nachfrage nach dem Biotreibstoff E10 immer größer wurde.
    2011 sagte Addax-Projektleiter Jorgen Sandstrom der ARD, seine Firma leiste einen großen Beitrag zur Entwicklung von Sierra Leone.
    "Ich glaube fest daran, dass solche großen Investitionen unsere die Landwirtschaft in Afrika nach vorne bringen. Ohne Profis, ohne große Player werden keine Märkte entstehen. Afrika braucht diese großen industriellen Investitionen."
    Immerhin versprach Addax Tausende Arbeitsplätze, Straßen, Schulen, Krankenhäuser, eine Raffinerie, ein kleines Kraftwerk, sogar einen Hafen. Die Regierung von Sierra Leone war begeistert, dass Addax aus der Biomasse Strom produzieren und ins staatliche Stromnetz einspeisen wollte.
    Auch deutsche Investoren waren beteiligten
    Die Regierung von Sierra Leone war begeistert, dass Addax aus der Biomasse Strom produzieren und ins staatliche Stromnetz einspeisen wollte. Verlockend für ein Land, das nach zehn Jahren Bürgerkrieg noch immer am Boden lag. Und offenbar auch überzeugend für die Weltbank und andere Entwicklungsbanken. Von ihnen hat Addax sich mehr als 140 Millionen Euro Kredite besorgt - die Hälfte des gesamten Investitionsvolumens. Unter den Geldgebern war auch die DEG, die Deutsche Entwicklungsgesellschaft, eine Tochter der staatseigenen KfW-Bank.
    Der sierra-leonische Aktivist Mohamed Conteh kritisierte den Ansatz der groß angelegten und privatisierten Landwirtschaft schon damals als "Landgrabbing" – "Landraub". Addax sei aufgetreten wie eine Hilfsorganisation, die Firma habe die Bäuerinnen und Bauern über den Tisch gezogen, damit sie ihr Land zur Verfügung stellen:
    "Diese Land-Geschäfte haben mit Machtverhältnissen zu tun. Die meisten Pachtverträge werden in Regionen abgeschlossen, die bettelarm sind. Dann kommen die hohen Regierungsbeamten und Firmenvertreter, also Leute, denen man vertraut, und die versprechen den Bauern das Blaue vom Himmel. Und wenn man diese Leute mal im Sack hat, kann man hier machen, was man will."
    Nach acht Jahren hinterlässt Addax nichts als trockene Erde
    Doch im Sommer 2015 war Schluss. Offiziell wegen der Ebola-Epidemie. Kritiker vermuten jedoch, Addax habe sich verspekuliert und sei nie profitabel gewesen – auch wegen des stark gesunkenen Weltmarktpreises für Bioethanol. Addax hat seine Investition beendet, seine Darlehen zurückgezahlt – aber nach Einschätzung von Nichtregierungsorganisationen Chaos hinterlassen. Die Produktion steht still, Felder liegen brach, der Fluss Rokel ist vom starken Einsatz von Pestiziden auf den Zuckerrohr-Plantagen messbar belastet.
    Von den insgesamt rund 3.000 Mitarbeitern sind die meisten entlassen, einige sind offiziell "freigestellt". Viele Familien haben kein Einkommen mehr. Und auch kein Land: Denn der Addax-Pachtvertrag wird nun ganz legal weitergereicht, an den nächsten Investor. Niemand weiß, ob es demnächst wieder Arbeit gibt – und wann. Gerade hat Addax seine Mehrheitsanteile verkauft: an Sunbird Bioenergy, einen britisch-chinesischen Konzern mit zweifelhaftem Ruf an der Börse. Sorgen macht sich auch Silva Lieberherr von der Schweizer Organisation Brot für Alle:
    "Wir hören, dass sie planen, das so genannte Outgrower-System einzuführen, das bedeutet, dass die Bäuerinnen und Bauern ihr Land als Mini-Unternehmer bewirtschaften und den Ertrag dann Sunbird verkaufen müssen – weil es keine anderen Abnehmer gibt -, und dass das Unternehmen dann die Preise drücken kann, und dass die Bäuerinnen und Bauern dann am Ende noch schlechter dastehen, als zuvor."Kritik:
    Regionale Kleinbauern werden von Konzernen wie Addax und Sunbird nicht integriert
    Die deutsche Entwicklungsbank DEG wolle nun an den neuen Groß-Investoren herantreten, so eine Sprecherin auf ARD-Anfrage. Es sei darauf zu achten, dass die lokale Bevölkerung am Erfolg der Investition angemessen teilhaben könne. Für die kanadische Autorin Joan Baxter, die Agrarinvestitionen in Afrika erforscht, liegt aber hier genau das Problem: Sie seien nicht geeignet, um tatsächlich für Entwicklung zu sorgen – im Gegenteil. Ihre Kritik: Konzernen wie Addax oder Sunbird gehe es darum Kapital zu parken.
    "So etwas passiert, wenn man die Kleinbauern aus der Gleichung herausnimmt. Wenn sie plötzlich keine Rolle mehr spielen. Es hat Ende 2007 angefangen, mit einem Sturm, einem perfekten Szenario sozusagen: Wir hatten gleichzeitig eine Finanzkrise, eine Lebensmittelkrise und, für jedermann sichtbar, dramatische Folgen des Klimawandels. Und ich bin überzeugt, dass sich da viele Geschäftsleute gedacht haben: Wir müssen unser Geld in Sicherheit bringen, die Investmentfonds, die Rentenfonds. Und wo wäre es besser aufgehoben, wo würde es mehr Profit bringen als auf afrikanischem Ackerland?"
    Auch für Silva Lieberherr kann es kein "Weiter so" geben. Für ihre Organisation Brot für Alle hat sie gemeinsam mit sierra-leonischen Partnern den Fall Addax intensiv begleitet und dokumentiert. Mit Blick auf ähnliche Fälle in Afrika und anderen Teilen der Welt erklärt sie: Landwirtschaft müsse ganz neu gedacht werden. Landreformen seien nötig, damit Menschen selbst über ihre Ressourcen entscheiden können. Der sierra-leonische Agrarwissenschaftler Momoh Lavahun ergänzt: Dafür fehle es noch immer am politischen Willen:
    "Wir müssen für die Kleinbauern nur einen Marktzugang schaffen. Damit sie ihren Reis auch verkaufen können. Ich habe hier noch nie einen Sack mit Reis aus Sierra Leone gesehen - unser Reis hier in Freetown kommt absurderweise aus Thailand, Indien oder China. Wir könnten das ändern! Aber da sind eben andere Mächte am Werk, die stärker sind."