
Kein gegeneinander Profilieren der Koalitionspartner

SPD führte wechselnde Koalitionen an
So sehr, dass Malu Dreyer ihren Parteifreunden die Ampel als Alternative zur großen Koalition auch im Bund empfiehlt. Wer glaubte, solch ein Bündnis sei noch nicht mal auf Landesebene wegen der verhärteten Fronten zwischen FDP und Grünen möglich, den belehrte die SPD-Politikerin in Rheinland-Pfalz eines Besseren. Es gelang ihr, die Fronten aufzuweichen – ohne dass das Mobiliar Schaden nahm. Malu Dreyer: "Ich kann mich jetzt nicht mehr daran erinnern, dass ich mal so in den Tisch hätte beißen müssen, dass man das heute noch sieht."
Das Rezept für die Stabilität der Koalition
Wertschätzung, gönnen können – das Rezept für die Stabilität der rheinland-pfälzischen Ampel. Für geräuschloses Regieren, das Bürger bekanntermaßen mehr schätzen als lauten Streit. War es zuweilen nicht sogar zu leise, muss sich Regierungschef Malu Dreyer fragen lassen.
"Ich fand es total gut, dass wir immer Wege gefunden haben, Probleme miteinander zu lösen und damit auch geschlossen nach außen aufzutreten und unsere Politik zugunsten der Menschen hier im Land zu machen. Also, das ist eigentlich auch das Verständnis, was ich als Demokratin habe."
Die Ruhe über fünf Jahre hinweg sicherte unter anderem eine strategische Aufgabenverteilung. Der Ökolandbau ging an die Grünen und ihr Umweltministerium, die Landwirtschaft an die FDP. Wegen Doppelstrukturen, unklarer Zuständigkeiten und konkurrierender Förderlinien würde CDU-Spitzenkandidat Christian Baldauf das sofort rückgängig machen, wenn er ans Ruder käme. Aber in der Ampel-Regierung hat dieser Ressortzuschnitt Konflikte minimiert.
"Wir haben aus Rheinland-Pfalz einen der führenden Smart-Farming-Standorte in Deutschland gemacht", rühmt sich Landesagrarminister Volker Wissing. Mit digitaler Technik könnten Umweltauswirkungen der konventionellen Landwirtschaft reduziert werden – Widerspruch seitens der Grünen bleibt da aus, selbst wenn sie an technische Lösungen fürs Gülle- und Nitrat-Problem kaum glauben.

Den Herausforderer kennen viele Bürger nicht
Dass die beiden kleineren Koalitionspartner jeweils zwei Ressorts bekamen, bejubelte Dreyers SPD anfangs nicht. Doch die Frontfrau hatte sich was dabei gedacht: selbst in Vorlage zu gehen fürs gute Miteinander. Wichtig ist ihr auch, dass qualifizierte Frauen zum Zug kommen. Drei von fünf SPD-geführten Ressorts besetzte sie weiblich. Und die Ministerpräsidentin selbst beginnt ihre Reden stets so: "Meine sehr verehrten Herren und Damen".
"Ohne mich, dieser Frauenwahn", empört sich in Mainz ein Passant über die rheinland-pfälzische Regierungschefin. "Die Frau sagt ja schlicht und ergreifend, du bist eine Frau, du bist ja sowieso besser. Das Einzige, was ich bei ihr gut finde, ist, dass sie sagt: Sehr geehrte Herren und Damen. Das finde ich gut, das ist nun wiederum konsequent gehandelt."
Bezeichnend, dass selbst dieser Kritiker zumindest eine gute Seite an Malu Dreyer findet. Was die Ministerpräsidentin sagt und tut, prägt sich politisch Interessierten ein. Dreyers Kontrahent Christian Baldauf hingegen kennen immer noch viele Rheinland-Pfälzer nicht, obwohl er als CDU-Fraktionschef Oppositionsführer im Land ist. Zufallsumfrage im pfälzischen Schifferstadt, keine 20 Kilometer südlich von Baldaufs Heimatort Frankenthal.
"Den Herrn Baldau, wie heißt der nochmal? Der Herr Baldau, also von den Plakaten her hab‘ ich den schon gesehen." In diesen Tagen ist der CDU-Spitzenkandidat für die Landtagswahl in Rheinland-Pfalz ausnahmsweise bundesweit medial präsent. In mehreren Nachrichtensendungen ist zu hören, dass Christian Baldauf die Geschäfte von zwei Bundestagsabgeordneten der Union mit Corona-Masken "höchst unanständig, beschämend und moralisch verwerflich" findet.
"Also mit der Not anderer Geschäfte zu machen, halte ich für unmöglich, das passt nicht in unsere Partei. Klar ist auch, wenn solche Menschen meinen, ihre Mandate für so etwas herzugeben, dann müssen sie gehen. Und das haben sie jetzt ja auch getan, und ich erwarte auch, dass die Gelder, die sie eingenommen haben, spenden. Das wäre nur recht", sagt der CDU-Spitzenkandidat dem Deutschlandfunk. Und mit Blick auf den eigenen Wahlkampf-Endspurt: "Nachdem das jetzt schnell und sauber auch mit klaren Forderungen erledigt wurde, gehe ich davon aus, dass es kein großer Schaden sein wird."

Die zerstrittene Landes-CDU geeint
Zurück nach Schifferstadt, zu der Spaziergängerin, die den Namen des CDU-Spitzenkandidaten vergessen hatte. "Ich glaube, dass es schon was ausmacht, ob einem die Person einfach sympathisch ist, die Frau Dreyer ist halt sehr bekannt."
In der Coronakrise taucht die Regierungschefin oft in bundesweiten Nachrichten und den Talkshows von Plasberg, Will, Lanz und Co. auf. "Sie ist halt eher jemand, wo man sagt, ja, fand ich gut, ist mir sympathisch, während man die anderen Kandidaten halt vielleicht nicht so wahrgenommen hat, weil das öffentliche Auftreten nicht so da ist." – "Ich bin auch sehr zufrieden mit der Frau Dreyer, sie ist einfach ein Sympathieträger", sagt ein Mann.
Eine Sympathieträgerin, das räumen auch diejenigen in der Landeshauptstadt Mainz ein, die keine Fans der Ampelkoalition und ihrer Chefin sind. Eine Straßenumfrage:
"Also, die verkauft sich sehr gut, ganz toll, aber inhaltlich hat‘s mir nicht gereicht." – "Sie war stets bemüht, würde ich mal sagen." – "Sie hat eine gute mediale Wirkung, sie ist besonnen." – "Sie verkauft sich besser als ihre Politik ist, denn sie hat die Defizite in der Bildung, in der digitalen Anbindung mit zu vertreten. Aber sie verkauft sich natürlich sehr gut."
Getrübte Harmonie in der Koalition
Die ehemalige Gymnasialleiterin und langjährige Ingelheimer FDP-Kommunalpolitikerin hielt sich nicht daran, dass die Sozialdemokraten in der Schulpolitik das Sagen haben sollten. Im Landtagsplenum erinnerte Lerch vor laufenden Kameras an ein teures, personalintensives Wahlversprechen der eigenen Partei. Die FDP hatte 2016 eine 105-prozentige Unterrichtsversorgung zugesagt. Eine Quote auf dem Papier, die dafür sorgt, dass real alle Schulstunden auch stattfinden können.
"Und es kann nicht sein, dass eine Mitbetreuung von Klassen als Unterricht definiert wird. Deshalb ist es wichtig, klar zu sagen, das ist Unterricht, und das ist zum Beispiel Aufsicht, um dann auch zum Schluss zu kommen, wir brauchen den Schlüssel von 100 oder 105 Prozent, um die Unterrichtsversorgung landesweit abzudecken." Was Bildungsgewerkschaften seit langem vergeblich fordern.
Parteifreunde legten es Lerch als Affront aus – und als Illoyalität gegenüber Bildungsministerin Stefanie Hubig von der SPD. Genauso Lerchs Kritik daran, dass die Schulaufsicht Vermerke über sexuelle Übergriffe von Lehrern zu früh aus den Personalakten tilge.
"Aber gerade diese Vorvergangenheit ist doch wichtig, um den Kollegen zu begleiten und ihm auch Hilfestellung zu geben, damit das nicht mehr passiert."
Damit ging die Mittsechzigerin in den Augen ihrer Parteifreunde zu weit. Sie warfen Lerch aus der FDP-Fraktion. Die Regierung muss seither mit einer Stimme Mehrheit auskommen. "Das kann disziplinieren", kommentierte Ministerpräsidentin Dreyer knapp.
Als FDP-Direktkandidatin nominiert vom Kreisverband Mainz-Bingen, hofft Helga Lerch auf ein zweistelliges Ergebnis. Ein Ziel, das ihre Partei landesweit nicht zu formulieren wagt, denn derzeit bewegen sich die Liberalen in den Umfragen bei sieben Prozent. Bei elf, zwölf Prozent rangieren die Grünen.
Warum es die Grünen schwer haben
"Wir wollen die Verdreifachung der Photovoltaik im Land, und wir zeigen auch wie wir dahin kommen, über eine Solarpflicht bei Neubauten und Dachsanierungen, über ein Solarförderprogramm."
So sprudelt Spiegel bei einer ihrer Videokonferenzen mit Parteichef Robert Habeck los. Die Liberalen in der Ampelkoalition wollen für diese grünen Wahlkampfideen nicht in Mithaftung genommen werden.

"In Rheinland-Pfalz leben wir in einem Land, das von ländlichen Räumen geprägt ist, und da ist es für viele Menschen auch ein Traum, sich ein eigenes Haus zu verwirklichen. Wenn sie aber das Gefühl haben, die Grünen bauen ein Stück mit, dann ist das schon sehr einschneidend. Es sollte schon auch eine freiheitliche Entscheidung sein, wie man den Garten gestaltet", sagt die FDP-Spitzenkandidatin in Anspielung auf das von den Grünen ebenfalls geforderte Verbot von sogenannten "Schotter-Gärten", also pflegleichten Steinwüsten.
Aber: "Die Blumen gehören für uns auch dazu", lacht Schmitt und deutet auf die Riesen-Plakatwand hinter sich, die ihr Porträt in einem bunten Blumenmeer zeigt.
In den vergangenen fünf Jahren schluckten die Grünen die Straßenbau-Politik des liberalen Verkehrsministers Volker Wissing erstaunlich gelassen. Rieben sich vielleicht im Hinterzimmer die Hände, weil der Etat auch dafür begrenzt war. Doch im Wahlkampf traut sich die grüne Spitzenkandidatin Anne Spiegel zu sagen: Im Radwegebau über Stadt- und Kreisgrenzen hinweg ist Baden-Württemberg mit Parteifreund Winfried Hermann als Verkehrsminister einfach besser.
Was nicht heißt, beeilt sich Anne Spiegel beim Ortstermin in der Pfalz zu versichern, dass die rheinland-pfälzischen Grünen noch vor der Wahl das Verkehrsressort für sich beanspruchen. Aber mit dem Durcheinander, das die Planung überregionaler Pendlerrouten für Radler behindert, will sie aufräumen. "Wir werden letztlich nur über einen Radverkehrsbeauftragten weiterkommen, jemand, der das zur Chefsache macht, der auch Ansprechperson für die Kommunen ist, um dieses Thema voranzutreiben."
Anne Spiegel ist selbst mit S-Bahn und Fahrrad aus Speyer nach Schifferstadt gekommen. Sie will dort besichtigen, wie eine Radroute nach angenehmem Auftakt auf einem grünen Wirtschaftsweg versackt.
Auch Schwarz-Grün nicht ausgeschlossen
Da ist Luft nach oben, glaubt die grüne Spitzenkandidatin. Bei aller Koalitionstreue, die Tür zur CDU lässt Spiegel offen. Spitzenkandidat Christian Baldauf, als zäher Rennradler bekannt, könnte hier in Schifferstadt durchaus aufkreuzen, sein Heimatort Frankenthal ist nah.
"Da haben wir keine Hemmungen, der Radweg soll durchaus bis nach Frankenthal gehen", witzelt Spiegel. Ein Radweg bis vor Baldaufs Haustür, warum nicht.
Der CDU-Spitzenkandidat muss sich allerdings derzeit schwer abstrampeln. Seine Beliebtheitswerte liegen unter 30 Prozent, während Malu Dreyer als Ministerpräsidentin von über der Hälfte der Rheinland-Pfälzer direkt gewählt werden würde, wenn das möglich wäre. Aufholjagd ohne Rückenwind aus Berlin – für Dreyers SPD war das bislang normal.