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Landwirtschaft in Litauen

Rund drei Millionen 700.000 Menschen leben in Litauen, der südlichsten der drei baltischen Republiken. Die Industrie Litauens hat in letzter Zeit für ein schnelles Wirtschaftswachstum gesorgt, doch rund ein Drittel der Menschen arbeitet nach wie vor in der Landwirtschaft. Und für sie ist die Europäische Union weit entfernt.

Regina König |
    Im vergangenen Jahrhundert gehörte Litauen lange Zeit zur Sowjetunion, aus früherer Vergangenheit ist der polnische Einfluss auf das Land ebenfalls stark.

    Wer die barocke Pracht der litauischen Hauptstadt hinter sich lässt, begibt sich auf eine Zeitreise. Nur wenige Kilometer außerhalb von Vilnius ist die Zeit stehen geblieben. Die Bauern pflügen ihre kleinen Äcker mit Hilfe von Pferden, sie säen Getreide mit der Hand; die Frauen kurbeln die schweren Wassereimer mühselig aus tiefen Ziehbrunnen. Niemand weiß, warum der kleine Flecken 30 Kilometer östlich der Hauptstadt "Kaimelys Eúropa" heißt, "Europadorf". 28 Menschen leben hier, die Höfe sind ärmlich, aber gepflegt. Man hat drei, vier Kühe, ein paar Hühner, einen Hund.
    Gemeindevorsteherin Bronislawa Balúkevic berichtet von den Problemen Europas, dem Dorf Europa, versteht sich:

    Wir haben viele Sorgen und Probleme hier in Europa. Die Kleinbauern bekommen zu wenig Geld für die Milch, und die Äcker, die sie bewirtschaften, gehören ihnen offiziell immer noch nicht. Die Bodenreform stagniert, und wer keine Eigentumsurkunde hat, wird keine Subventionen erhalten.

    Das "Dorf Europa" liegt in dem Teil Litauens, in dem sich die polnische Minderheit angesiedelt hat. Für seine Bewohner ist die Europäische Union so weit weg wie der Mars und für ihr Überleben im Alltag – bisher wenigstens – ebenso irrelevant. Bauer Romald Vaitkévic wusste zwar nicht so genau, worum es ging, als die Litauer im Mai über einen Beitritt ihres Landes zur EU abstimmten, aber der 70jährige hat das "Ja" auf dem Stimmzettel angekreuzt. Vielleicht wird es besser, wenn Litauen in der EU ist, sagt Bauer Vaitkévic. Wie es besser wird? Keine Ahnung!

    Der Jubel über die – für litauische Verhältnisse – hohe Wahlbeteiligung von 63 Prozent und über die überwältigende Mehrheit von über 90 Prozent für einen EU-Beitritt ließ schnell vergessen, dass fast eine Million der wahlberechtigten Litauer zu Hause geblieben war. Manche, weil sie aufs Feld mussten, viele, weil sie glauben, das kleine Litauen hätte in Brüssel ohnehin nichts zu melden. Und die unverbesserlichen früher-war-sowieso-alles-besser-Nostalgiker träumen von der schönen Zeit, als auf der Kolchose Denken wie Planen für den einzelnen Arbeiter überflüssig war, erklärt Pjotr Novak von der polnischen Botschaft, der sich im Osten Litauens um die polnische Minderheit im Land kümmert:

    Die Tradition der selbständigen Agrarbetriebe ist während der Sowjetischen Zeit ganz verloren. Die Leute wissen überhaupt nicht, wie man es macht, wovon man die Mittel für eine solche Produktion haben könnte. Gibt es keine vernünftigen Kredite, keine Mittel, keine Maschinen usw. usf. Es ist leider nicht selten, dass viele Leute glauben, dass in Sowjetzeiten war es besser organisiert.

    200.000 Litauer, viele, die in der Landwirtschaft tätig waren, haben ihre Heimat verlassen, um in Schweden, Deutschland oder Spanien zu arbeiten und mit ihrem Verdienst die Familie zu unterstützten. Und viele werden noch folgen, wenn eine weitere Anpassung an die westeuropäischen Märkte die Arbeitslosigkeit von jetzt 12 Prozent weiter erhöht. Vytautas Šunskis, Vorsitzender des Kleinbauerverbandes, hat für einen EU-Beitritt gestimmt, weil es seiner Ansicht nach für die Landbevölkerung nur besser werden kann. Aber Šunskis fürchtet auch die Folgen:

    Wir werden viele Probleme bekommen, wenn wir der EU beitreten. Wenn habgierige Unternehmer nur sehr geringe Löhne zahlen, werden viele Arbeitskräfte in den Westen ziehen, nach Deutschland. In der Folge gehen die Betriebe in Konkurs – nicht weil es an moderner Technologie mangelt, sondern an qualifizierten Mitarbeitern. Dann fehlen die Steuergelder für das Gesundheitswesen und die Bildung in der Staatskasse.

    Fast ein Drittel der litauischen Bevölkerung – rund 1,2 Millionen Menschen lebt in Dörfern; ein Fünftel der Arbeitnehmer arbeitet in der Landwirtschaft. Zwar wird das halbe Land landwirtschaftlich genutzt, für Getreide-, Zuckerrüben- und Leinenanbau, für Vieh- und Milchwirtschaft, aber der Ertrag ist deutlich zurückgegangen, und eine Konkurrenz für deutsche oder französische Bauern sind ihre litauischen Kollegen nicht. Jedenfalls eine ganze Weile nicht.