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Landwirtschaft
Insekten als Viehfutter

Bis zum Jahr 2050 soll der Fleisch- und Fischkonsum der Weltbevölkerung um 70 Prozent steigen. Dabei gibt es allerdings ein Problem: Eiweißreiches Futter aus Soja oder Fischmehl, um das Vieh in den Ställen oder Fische in Aquakultur zu mästen, ist heute schon knapp. Es gilt neue Quellen zu erschließen. Eine vielversprechende Option sind massenhaft produzierte Fliegenlarven, wie jetzt auf der Konferenz "Insects to feed the world" in den Niederlanden deutlich wurde.

Von Lucian Haas | 19.05.2014
    Eine Stubenfliege in Nahaufnahme
    Als besonders vielversprechend gelten zwei Arten: die gewöhnliche Stubenfliege (Bild) und die Soldatenfliege. (picture alliance / dpa/ Maximilian Schönherr)
    Für den Insektenforscher Arnold van Huis von der Universität Wageningen in den Niederlanden ist die Sache klar: Um die Ernährung der wachsenden Weltbevölkerung zu sichern, müssen neue Proteinquellen erschlossen werden.
    "Vor allem die Futterindustrie steht vor dem Problem, dass das Fischmehl infolge der Überfischung der Ozeane in Zukunft knapp wird. Es ist ein wichtiger Bestandteil im Hühner-, Schweine- und Fischfutter. Aber Fischmehl wird immer teurer. Deshalb sucht die Futterindustrie jetzt nach Alternativen. Und ich sehe Insekten als sehr gute Proteinquelle."
    Arnold van Huis ist mit dieser Einschätzung nicht allein. Weltweit wächst das Interesse am Einsatz von Insekten als Futterquelle in der Landwirtschaft. Anstelle von Fischmehl könnten getrocknete und vermahlene Larven beziehungsweise Maden von Fliegen treten. Als besonders vielversprechend gelten dabei zwei Arten: die gewöhnliche Stubenfliege und die Soldatenfliege.
    Win-win-Situation für Abfall- wie Landwirtschaft
    Arnold van Huis:
    "Die Soldatenfliege wird von einigen favorisiert, weil deren Larven auf allen möglichen organischen Abfälle gedeihen. Das macht sie sehr interessant. Denn auf der Welt wird ein Drittel der landwirtschaftlichen Produkte und unserer Nahrung ungenutzt weggeworfen. Wenn man jetzt Insekten auf diesen Abfällen heranzieht, wird daraus ein proteinreiches Produkt."
    Eine solche Kreislaufwirtschaft war einst in der Landwirtschaft normal. Dem Vieh wurden die Essensreste verfüttert. In Zukunft könnte dieses Konzept mit Insekten als Abfallverwertern, die dann ihrerseits verfüttert werden, neu aufleben. David Drew, Gründer des auf Fliegenlarvenzucht spezialisierten Unternehmens Agriprotein aus Südafrika, sieht darin eine Win-Win-Situation für die Abfall- wie für die Landwirtschaft – zum Beispiel für kleine Inselstaaten:
    "Man denke nur an Inseln wie die Bermudas oder Mauritius, mit denen wir schon im Gespräch sind. Sie setzen auf hochwertigen Tourismus, wo große Mengen an Essensabfällen anfallen, und sie müssen zugleich Tierfutter teuer importieren. Die Soldatenfliegenlarven könnten sich einfach durch all die Essensreste der Nobelrestaurants fressen und damit vor Ort ein wertvolles Futter generieren. Das bekommen die Tiere, die wiederum die Touristen ernähren, die am nächsten Tag mit dem Flugzeug ankommen."
    Massentierhaltung in einer völlig neuen Dimension
    Der Platzbedarf für eine Soldatenfliegenzucht ist vergleichbar gering, bei hoher Produktivität. Eine Generation der Larven braucht rund 20 Tage, um sich dick zu fressen und dabei um mehr als das 1000-fache an Gewicht zuzulegen. Getrocknet besteht ihr Körper zu mehr als 60 Prozent aus Protein und zehn Prozent Fett. Im Vergleich zum Anbau von Sojabohnen kann auf einem Hektar Fläche pro Jahr die 150-fache Menge an Protein aus Insekten gewonnen werden. Es ist Massentierhaltung in einer völlig neuen Dimension. David Drew:
    "Wir bezeichnen uns selbst als die größte Farm der Welt. Das gilt zwar nicht für die räumliche Größe, unsere kleine Fabrik misst 8500 Quadratmeter. Aber wir halten darin ständig rund 1,5 Milliarden Fliegenlarven. Und in unserer neuen Fabrik, die wir nächstes Jahr eröffnen, werden es 8,5 Milliarden Larven sein."
    David Drews Firma Agriprotein gilt als Vorreiter der jungen Branche der Insektenzucht für Futterzwecke. Kürzlich hat Agriprotein in einer Finanzierungsrunde elf Millionen Dollar an Venture-Kapital eingesammelt, um bis 2020 weltweit zehn weitere Insektenlarven-Mastanlagen zu bauen, auch in Europa. Bis dahin müsste die EU allerdings einige rechtliche Fragen rund um den Einsatz von Insektenmehl als Tierfutter klären.
    Arnold van Huis:
    "Das größte Problem ist derzeit die Gesetzgebung. In Europa gibt es Vorgaben, dass Tiere in Schlachthäusern geschlachtet werden müssen. Aber jeder weiß, dass ein Schlachthaus für Insektenlarven völlig hirnrissig ist. Dennoch muss man erst die Gesetze ändern."
    Eine andere EU-Richtlinie schreibt vor, dass Nutztiere in der Landwirtschaft keine anderen Tiere fressen dürfen – außer Fischmehl. Als diese Regel im Zuge der BSE-Krise aufgestellt wurde, hatte noch niemand an die Option des Verfütterns von vermahlenen Insekten gedacht. Mittlerweile arbeitet die EU-Kommission an der Novellierung entsprechender Richtlinien. Im Fischfutter für die Aquakultur dürfen Insekten bereits enthalten sein.