Dienstag, 23. April 2024

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Landwirtschaft
Manuskript: Präzision auf dem Acker

"Viel hilft viel. Mehr hilft mehr." Das war lange Zeit die Devise vieler Landwirte in Deutschland und auf der ganzen Welt. Seit geraumer Zeit entwickeln Landtechnikhersteller Methoden, die messen, wie Böden und Pflanzen beschaffen sind, um daraus präzise zu berechnen, wie viel Dünger denn nun wirklich gebraucht wird. "Precision Farming" nennt man diese Vorgehensweise.

Von Konstantin Zurawski | 03.11.2013
    Die Ähren wehen goldgelb im Wind und verleihen dem Acker ein elegantes, gleichförmiges Gewand. Doch sie verschleiern etwas. Denn darunter, dort, wo es dreckig und dunkel ist, im Boden, macht jeder Quadratmeter, was er will, bietet den Ähren ein Paradies zum Wachsen oder auch die Hölle. Klug ist der Bauer, der dies erkennt. Dumm dagegen ist der, der von Gleichgültigkeit getrieben die Disharmonie verleugnet. Die Ernte wird seine Strafe sein.

    Palme: "Geht das so oder wollen Sie noch eine Jacke mitnehmen, oder?"

    Zurawski: "Wie lange brauchen wir denn?"

    Palme: "Ja kommt drauf an, was Sie alles sehen wollen."

    Zurawski: "Alles."

    Palme: "Alles? Na denn."

    Zurawski: " Wie lange dauert es denn wohl, wenn wir uns alles angucken?""

    Palme: "Es kommt drauf an, was Ihr Schwerpunkt ist. Wir haben eine Getreideanlage, wir haben eine Maschinenhalle, wir haben eine Werkstatt. Wir können einmal zu den Heil- und Gewürzkräutern laufen. Das kommt jetzt einfach drauf an, was Sie interessiert. Wenn wir alles zusammen machen wollen – so ein einer Dreiviertel Stunde kriegen wir das schon hin."

    Das Gut Wilmersdorf, rund 80 Kilometer nordöstlich von Berlin, sieht so gar nicht nach einem Bauernhof aus einem Kinderbuch aus. Kein Vier-Seiten-Hof mit Kuhstall und Kornkammer, keine Hühner und Schweine, keine Hofeinfahrt, durch die der Traktor das Heu auf den Heuboden bringt. Vielmehr ist Gut Wilmersdorf ein riesiges Gelände mit einzelnen weit auseinander stehenden Gebäuden für Technik und Material und einem frisch renovierten Gutshaus. Der Rundgang dauert knapp eine Stunde. Und begleitet wird der Besuch auch nicht von einem Landwirt mit dreckiger Hose, der gerade die Kühe gefüttert hat, sondern von Stefan Palme, der dort her kommt, wo er so viele Stunden am Tag verbringt: Vom Computer.

    "Mein Name ist Stefan Palme, ich bin Agraringenieur und bewirtschafte seit 1996 das Gut Wilmersdorf in der Uckermark."

    Jetzt sitzt Stefan Palme in der Küche an einem massivem Holztisch. Es duftet nach frischen Kräutern, ein paar voll gepackte Säcke warten auf Abholung.

    Palme: "Und ja, es ist ein Biobetrieb, den ich zusammen mit meiner Frau bewirtschafte, auf 1100 Hektar. Wir bauen Getreide an und auch Heil- und Gewürzkräuter. Der Betrieb hat zehn Arbeitskräfte, und des Weiteren werden auf unserem Betrieb auch viele Feldversuche durchgeführt. Wir arbeiten viel mit Forschungseinrichtungen zusammen, Universitäten und wissenschaftlichen Instituten."

    Stefan Palme ist interessiert an neuen Techniken und Anbaumethoden. Als einer der wenigen Landwirte Deutschlands setzt er heute schon konsequent auf die sogenannte teilflächenspezifische Bewirtschaftung. Denn einzelne Äcker, Schläge, wie man korrekt sagt, sind nicht überall gleich. Sie unterscheiden sich teilweise innerhalb von 20 Metern. Links enthält der Boden etwas mehr Kalium, rechts etwas weniger. Vorne ist der Boden eher alkalisch, weiter hinten eher sauer. Und weil diese unterschiedlichen Eigenschaften großen Einfluss auf das Wachstum der Pflanzen haben und auch zum Beispiel darauf, wie viel Kalk und Dünger gestreut werden müssen, will Stefan Palme sie berücksichtigen. Die Karte eines Schlags, die er am Computer in seinem Büro zeigt, macht die Unterschiede im Feld deutlich.

    "Hier sind helle und dunkle Flächen, und helle Flächen weisen eine hohe elektrische Leitfähigkeit aus. Das sind bei uns in der Regel dann diese Lehmkuppen aus diesem Geschiebemergelmaterial. Und in der Regel auch diese Senken. Diese dunklen Flächen, das sind eben die Senken, die eher humoses, leichteres Material haben."

    Zurawski: "Quadratisch ist das ja überhaupt nicht."

    Palme: "Nein, das ist wie so ein Patchwork. Also völlig - schwer vergleichbar - ein Klecksmuster."

    Stefan Palme ist mit seiner teilflächenspezifischen Bewirtschaftung Teil einer Entwicklung, die in der Landwirtschaft seit längerem zu beobachten ist, aber nur langsam vorankommt: Die Landwirte wollen und müssen wieder mehr wissen über die Äcker, die sie bearbeiten. Nicht zuletzt, um Dünger zu sparen, der tendenziell teurer und knapper wird.

    "Man muss sich das vor Augen führen, dass ein Landwirt um 1900 seinen Acker sehr genau beobachtet und auch sehr differenziert wahrgenommen hat. Und genau wusste, wo Stellen sind, die Probleme haben mit Nässe, oder Probleme haben mit Unkraut. Oder Probleme haben, weil sie nicht genügend Nährstoffe haben. Die Beobachtung - nicht weil er sozusagen klüger ist, als der heutige Landwirt - sondern weil davon die Produktion abhängig ist."

    Frank Uekötter ist Umwelt- und Landwirtschaftshistoriker am Rachel-Carson-Center der Universität München:

    "Was wir im Grund genommen gesehen haben im 20. Jahrhundert ist eine Ablösung dieses Wissens durch, ja eine Kombination von mechanischer Bodenbearbeitung und chemischer Düngung. Das ist sozusagen wissensmäßig einfacher. Es nimmt aber sozusagen auf die Besonderheiten eines Ackers sehr wenig Rücksicht und es erfordert einen sehr hohen Ressourceneinsatz."

    Beispiel Stickstoffdünger. Er ist einer der am häufigsten eingesetzten Dünger in der Landwirtschaft. Der Verbrauch in Deutschland stieg rasant, erreichte in der Saison 1987/88 seinen Höhepunkt. Deutsche Landwirte verteilten im Durchschnitt 134 Kilogramm Stickstoffdünger auf jedem Hektar Ackerland. Fünfmal so viel wie im Jahr 1950. Dass die Landwirte so viel davon verwendet haben, ist erklärbar. Denn es ist vor allem der Dünger, der über das Pflanzenwachstum entscheidet. Umwelthistoriker Frank Uekötter:

    "Und deswegen gab‘s sozusagen lange Zeit eine Tendenz zu sagen, sozusagen, 'Viel hilft viel' und 'Mehr hilft mehr'. Und damit sozusagen so einen systematischen Trend zur Überdüngung, der ja oft auch so eine Art Angstdüngung gewesen ist."

    Mit der Angstdüngung soll jetzt Schluss sein, meinen Wissenschaft, Landtechnikhersteller, Umweltschützer und auch einige Landwirte. Sie sollen nicht mehr pauschal auf einen 20 Hektar großen Schlag überall dieselbe Menge Stickstoffdünger verteilen, der das Grundwasser belastet. Sie sollen nicht mehr überall dieselbe Menge Grunddünger aufbringen, der unter anderem aus den knappen Stoffen Phosphor und Kali besteht. Und sie sollen nicht mehr überall und großflächig Unkrautvernichtungsmittel aufspritzen, obwohl nur an ein paar Stellen Unkraut wächst. Eine solche Landwirtschaft wäre nicht mehr pauschal, sondern präzise, sie heißt deshalb auch: Precision Farming.

    "Also der Mensch hat ja immer eine sehr subjektive Wahrnehmung von seiner Umwelt. Und Ziel von Precision Farming ist es auch, diese subjektive Wahrnehmung mit messbaren Einheiten zu untersetzen","

    sagt Hermann Leithold, Produktmanager bei Agricon in Ostrau bei Leipzig, ein Unternehmen, das Technik und Dienstleistungen rund um Precision Farming anbietet,

    ""zum Beispiel in der Stickstoffdüngung. Nicht nur diese Pflanzen sehen besser aus als diese anderen. Sondern dass man direkt einen Wert für die Stickstoffaufnahme messen kann und danach dann eine Düngergabe ableitet. Das ist auch ein Teil von Precision Farming, der sogar darüber hinausgeht was früher die Betriebsleiter über ihre Flächen wussten."

    Hermann Leithold von Agricon vertreibt zur Präzisierung der Stickstoffdüngung einen Stickstoff-Sensor. Ein erster Stickstoff-Sensor wurde schon vor 14 Jahren vorgestellt. Heute gibt es etliche Versionen, die immer weiter optimiert werden. Fünf Prozent der Ackerflächen in Deutschland werden mittlerweile mithilfe eines Stickstoffsensors gedüngt. Tendenz steigend.

    Westrup: "Kommen Sie ruhig rein!"

    Zurawski: "Ach geht schon los!"

    Westrup: "Das ist kein Superkomfortsitz."

    Ein Landwirt, der einen Stickstoffsensor im Einsatz hat, ist Dirk Westrup. In Bissendorf bei Osnabrück bewirtschaftet er einen Milchvieh-, Biogas- und Ackerbaubetrieb mit 610 Milchkühen und 700 Hektar Ackerfläche. Heute, Ende April steht eine Stickstoffdüngergabe auf einem Weizenfeld an.

    Zurawski: "Wo fahren wir jetzt hin?"

    Westrup: "Wir fahren - Moment ich muss mal grad gucken ob ich den Schlüssel habe, ja - wir fahren zur Schelenburg, tanken dort flüssigen Dünger und dann spritzen wir das auf das Feld. Also wir düngen die Feldflächen mit dem Flüssigdünger. Das ist Ammoniumnitratharnstofflösung AHL, hat 28 Prozent Stickstoff, bezogen aufs Gewicht, und 36 bezogen auf das Volumen."

    Es geht zur Schelenburg, einer gut erhaltenen Wasserburg aus dem 11. Jahrhundert. Dirk Westrup hat auf dem Gelände Gebäude gemietet, in einem davon lagern drei LKW-Ladungen Flüssigdünger.

    Zurawski: "Und der Sensor wird jetzt aber noch nicht benutzt."

    Westrup: "Doch, gleich auf dem Feld dann ja. Aber momentan ist er natürlich noch außer Funktion auf der Straßenfahrt. Das ist die blaue Banane, die da oben auf dem Dach drauf ist. Gucken wir uns gleich an beim Tanken. Haben wir nebenbei genug Zeit für."

    Der Tank der Düngerspritze ist voll mit Ammoniumnitratharnstofflösung, einem synthetisch hergestellten Dünger. Es geht weiter zum Feld. Der Weizen ist noch grün, rund 30 Zentimeter hoch, eigentlich wäre er zu dieser Zeit schon höher, doch der kalte Frühling hat das Wachstum gebremst. Der Stickstoffsensor auf dem Dach des Traktors wird den Weizen gleich bei der Überfahrt abtasten. Er analysiert dazu das vom Weizen reflektierte Licht. Das sichtbare Licht erlaubt Rückschluss auf den Chlorophyllgehalt, das infrarote Licht auf die Biomasse. Beides zusammen kann der Sensor in den Stickstoffgehalt des Weizens umrechnen.

    Westrup: "In den Bereichen wo die Pflanzen sehr gut versorgt sind - da düngt er weniger. Weil eine weitere Steigerung der Stickstoffversorgung dort keinen Mehrgewinn und mehr Ertrag bringen würde, sondern möglicherweise sogar das Grundwasser eben auch schädigen könnte. In Bereichen wo die Pflanzen schwach versorgt sind, da düngt er dann etwas mehr."

    Dirk Westrup klappt per Knopfdruck im Traktor das Metallgestänge der Düngerspritze aus, auf eine Arbeitsbreite von 24 Metern. Es geht los. Erst einmal um den Schlag herum, dann Bahn für Bahn hin und her.

    "Jetzt sieht man eigentlich ganz schön, dass er regelt hier. Hier wieder eine höhere Stickstoffaufnahme und dann geht er mit der Stickstoffdüngung derzeit runter auf 43, 44. Und wir werden sehen, dass je weiter wir nach oben kommen, umso besser ist der Boden. Und umso weniger muss er dort düngen dann."

    Nach dem Düngen zeigt der Sensor eine Auswertung an. Zwischen 35 und 60 Kilogramm Stickstoffdünger pro Hektar hat die Düngerspritze ausgebracht. Als Sollmenge hatte Dirk Westrup 50 Kilogramm eingestellt. Hätte er diese Menge ohne Sensor überall auf dem Feld verteilt, hätten manche Flächen 15 Kilo zu viel, andere 10 Kilo zu wenig Dünger erhalten. Dirk Westrup weiß nicht genau, ob sich der Stickstoffsensor finanziell schon gelohnt hat. Er könne das auch gar nicht berechnen, weil er keine Vergleichsflächen angelegt hat, auf denen er ohne Sensor düngt. Das Precision-Farming-Unternehmen Agricon hat dazu einmal Untersuchungen durchgeführt. Hermann Leithold:

    "Über die kompletten Versuchsreihen konnten Ertragssteigerungen beim Stickstoffbereich allein zwischen sechs bis acht Prozent im Schnitt erreicht werden. Und gleichzeitig eine Einsparung von Düngemitteln zwischen zehn und 15 Prozent."

    Weniger Stickstoffdünger auf dem Feld, das nützt nicht nur der Umwelt direkt – es spart auch Energie. So werden pro erzeugtem Kilogramm Stickstoff umgerechnet etwa ein Liter Dieselkraftstoff benötigt. Bringt der Landwirt in einer Saison 170 Kilogramm Stickstoff aufs Feld, wurden zur Produktion rund 170 Diesel verbraucht. Zum Vergleich: Um den Dünger auf dem Feld zu verteilen, braucht der Traktor nur vier Liter Diesel. Das größte Potenzial, auf dem Acker Energie einzusparen, liegt beim Dünger.

    Stefan Palme darf in seinem Bio-Betrieb in der Uckermark zwar keinen synthetischen Dünger einsetzen, aber auch er kennt Möglichkeiten, das Wachstum seiner Pflanzen zu beeinflussen. Er kann Hülsenfrüchte säen, die auf natürlichem Wege Stickstoff in den Boden bringen. Er darf Kalk zur Regulierung des pH-Wertes des Bodens streuen, ebenso Phosphor, Kalium, Magnesium, Schwefel und andere natürlich vorkommende Mineralien. Stefan Palme nutzt diese Möglichkeiten. Und er setzt dabei konsequent auf die teilflächenspezifische Bewirtschaftung. Er will genau wissen, wo der Boden welche Eigenschaften hat, wo er zum Beispiel mehr und wo weniger Kalk streuen muss.

    "Also die herkömmliche Methode der Bewirtschaftung, die von vielleicht 99 Prozent der Betriebe zur Zeit durchgeführt wird, ist, dass man eine Fläche in relativ willkürliche Raster aufteilt, beispielsweise Fünf-Hektar-Raster. Das ist das, was die Düngeverordnung vorgibt. Und dort werden dann in regelmäßigen Abständen Bodenuntersuchungen durchgeführt. Das funktioniert ganz gut bei Böden, die relativ homogen sind. Aber wenn Sie dann in Ecken kommen, wie beispielsweise die Mecklenburgische Seenplatte oder auch in unserer Ecke, stellen Sie fest, dass diese Fünf-Hektar-Raster nicht der Heterogenität der Böden gerecht werden."

    Deshalb hat Stefan Palme die Strategie für seinen Betrieb geändert. Er teilt seine Flächen nicht in fünf Hektar große Teilflächen auf, schon gar nicht willkürlich. Er hat alle seine Flächen in mühevoller Kleinarbeit genauestens analysiert. Er hat die elektrische Leitfähigkeit des Bodens gemessen, die Rückschlüsse auf die Bodenart zulässt. Stefan Palme hält außerdem nach, wo welche Erträge erzielt wurden. In seinem Mähdrescher ist dazu ein GPS-Sensor im Einsatz, der die Ernteerträge aufzeichnet. Und dann gibt es noch die Bodenanalyse. Ein Dienstleister geht regelmäßig über die Felder und nimmt Bodenproben, die im Labor analysiert werden. Palme:

    "Also wir haben wirklich extrem unterschiedliche Böden, und man kann sich das ungefähr vorstellen, wenn man von oben draufguckt auf so eine Karte, dann hat das so ein bisschen was, wie Farbkleckse, die ineinander laufen. Also wenn man auf einem Aquarellpapier verschiedene Farbtupfer übereinander bringt und die ineinander zerfließen lässt, dann kann man sich ungefähr vorstellen, sieht das so aus."

    Stefan Palme führt über sein Betriebsgelände. Traktorlärm ist das dominierende Geräusch. Denn ein Mechaniker dreht mit einem von Palmes Schleppern seine Runden über den Hof. Er will herausfinden, warum die beiden Anhänger immer bremsen, sobald der Traktor einen Gang wechselt. Ein Fehler, für den gerade niemand eine Erklärung hat. Palme:

    "Und es ist bei uns mittlerweile so, dass 70 Prozent aller Probleme mit den Maschinen mit Elektronik zu tun haben."

    Auf dem Gut Wilmersdorf ist genug Platz, damit der Mechaniker hier seine Testrunden drehen kann. Allein das Betriebsgelände umfasst 11 Hektar – so viel haben andere Betriebe an Ackerfläche. Palme:

    "Das Blöde ist auch, wir brauchen die Maschine jetzt unbedingt für die Ernte zum Abfahren. Und jetzt fährt der schon seit zwei Stunden auf dem Hof rum und versucht das Problem in den Griff zu kriegen."

    Zurawski: "Und sie brauchen die Maschine heute?"

    Palme: "Ja ja, jetzt schon eigentlich."

    Die meisten Lagerhallen sind leer, weil die Geräte alle im Einsatz sind, draußen auf den Feldern. Ein Gerät, das gerade nicht gebraucht wird, ist ein Düngerstreuer. Seine Geschwindigkeit lässt sich regeln, sodass mal mehr, mal weniger Dünger ausgebracht werden kann. Gesteuert wird der Antrieb von einem Computer. Palme:

    "Auf diesem Computer ist diese sogenannte Applikationskarte hinterlegt, die je nach Stellung oder je nach Position des Schleppers auf dem jeweiligen Schlag sagt, an dieser Stelle möchte ich jetzt gerne 3400 Kilo Kalk haben. Und die Software, die diese 3400 Kilo feststellt, gibt das dann an das Terminal des Düngerstreuers weiter. Und das stellt entsprechend dann die Geschwindigkeit des Laufbandes so ein."

    Es ist gut möglich, dass der Computer dem Düngerstreuer 50 Meter weiter auf dem Acker mitteilt, nur noch 2000 Kilogramm Kalk pro Hektar zu verteilen. Die Daten liest er aus den Teilflächenkarten, die Stefan Palme so mühsam erstellt hat. Er sagt: Die Arbeit lohnt sich.

    "Also wir haben einen Mehraufwand ausgerechnet von 18 Euro pro Hektar und Jahr und gehen davon aus, dass wir zwischen 75 und 100 Euro pro Hektar und Jahr am Ende mehr realisieren können durch das Verfahren."

    Die Landwirte Westrup und Palme nutzen moderne GPS-Systeme, Sensoren und regelbare Landtechnik, um Informationen über ihre Böden und Pflanzen zu erlangen und sie gezielt zu bearbeiten. Beide sagen: Wir sparen Dünger, steigern unsere Erträge oder – im besten Fall – beides. Beide sagen aber auch: Das ist alles ganz schön kompliziert. So lässt Dirk Westrup seine Felder mit dem Stickstoffsensor nicht von Auszubildenden düngen.

    "Das sind zum Teil Managemententscheidungen, die dann auch nicht jedem beliebigen Mitarbeiter dann gleich auch zugemutet werden können."

    Ein weiteres Problem sei die Anfälligkeit, sagt Stefan Palme. Wie beim PKW enthalte die Technik viel Elektronik , die oft kaputt gehe und die man selbst nicht mehr reparieren könne.

    "Und dadurch begeben wir uns immer mehr in die Abhängigkeit von diesen Maschinen und von entsprechend diesen Dienstleistern und das macht uns zunehmende Probleme."

    Wahlsdorf, 50 Kilometer südlich von Berlin. Weit und breit kein Baum, stattdessen Felder so weit das Auge reicht. Es ist windig. Zum Mittelpunkt eines Maisfeldes führt ein Weg, den man besser nur mit einem Jeep befährt. Genau hier, in der Mitte des Feldes, haben sich heute Wissenschaftler und Unternehmer aus verschiedenen Ländern getroffen. Hier ist nämlich auch das Zentrum der Kreisberegnungsanlage, die das Feld bewässert und gerade ganz langsam ihre Runde dreht. Einen ganzen Tag braucht sie, bis sie sich einmal im Kreis gedreht hat. Die Anlage wird von einer Pumpe mit Wasser versorgt. Die Besucher sind alle am Projekt Optifert beteiligt. Optifert steht für "Optimized Fertilization", was so viel heißt wie "Optimierte Düngung". Das Ziel: Auch dann noch düngen können, wenn die Pflanzen schon hoch gewachsen sind, und das möglichst präzise. Normalerweise geht das mit Traktor und Düngerspritze nur am Anfang, wenn die Pflanzen noch klein sind. Das aber ist nicht immer effizient, sagt Stefan Scholz, Geschäftsführer des Beregnungstechnik-Unternehmens Hydro Air, das an Optifert beteiligt ist.

    "Und wenn das jetzt halt nicht gerade ganz ungünstig ist, es vielleicht sehr, sehr viel regnet, kann ich den Dünger auch voll nutzen. Aber es bleibt halt immer trotzdem noch risikobehaftet. Und ich bin nicht in der Lage, das wirklich auf den Punkt zu bringen."

    Optifert will jetzt also genau so viel düngen wie die Pflanzen brauchen – und nicht nur Stickstoff, auch andere Nährstoffe, die dem Boden entzogen werden, etwa Kalium, Magnesium und Phosphor. Dafür hat die Technische Universität Wien zusammen mit der Universität Bremen einen Sensor entwickelt. Er ermöglicht eine umfassende Bodenanalyse einfach und direkt auf dem Feld, für nahezu alle Nährstoffe. Andere Techniken verarbeiten sie dann vollautomatisch: Ein Mischsystem stellt den perfekt auf den Boden abgestimmten Dünger her, der wird zusammen mit Wasser in flüssiger Form an die Beregnungsanlage weitergeleitet, die den Dünger auf dem Acker verteilt. Stefan Scholz, Experte für die Beregnungstechnik:

    "Und dann geht es eigentlich darum, das was ich sozusagen, dadurch, dass ich's eben genau auf den Punkt bringen kann, dann auch die Einsparungen zu erzielen. Was letzten Endes das Ganze auch finanzieren soll. Die Einsparung an Dünger, die ich habe und eventuell dadurch dann eben entweder auch was Mehrertrag zu haben. Aber idealerweise würde es dann schon reichen, wenn ich dann die Einsparung am Dünger habe."

    Optifert funktioniert nur, wenn ein Feld bewässert wird, wenn also eine Bewässerungsanlage verfügbar ist. Das ist in Deutschland nicht sehr häufig der Fall, nur bei vier Prozent aller Felder. In Italien dagegen wird fast jeder zweite Acker künstlich mit Wasser versorgt. Und in Ägypten ist es so gut wie jeder. Der Landwirt im Jahr 1890 ging noch zu Fuß übers Feld, schaute sich den Boden und einzelne Pflanzen an. Dann kam die pauschale Bewirtschaftung, die bis heute anhält und die teilweise ganze Äcker wie eine homogene Fläche behandelt. Jetzt erlangen die Landwirte ihr Wissen zurück – und noch mehr: Denn moderne Sensoren können Informationen sammeln, die der Mensch mit bloßem Auge nicht erfassen kann. Der nächste Schritt heißt: Analyse jeder einzelnen Pflanze, die auf einem Acker wächst, Analyse jedes Quadratmeter Bodens. Wie? Mit Robotern.

    "Das hier ist der Bonirob. Ist ein autonomer Feldroboter. Wurde gemeinsam entwickelt von den Amazonen-Werken, von Bosch in Stuttgart und von der Hochschule Osnabrück."

    Arno Ruckelshausen, Professor an der Hochschule Osnabrück, leitet das Projekt Bonirob. Bonirob ist ein Kasten auf vier Rädern, etwas kleiner als ein zweisitziger PKW, mit schlanken, starren Beinen, an denen die Räder aufgehängt sind, damit er im Feld auch über Pflanzen hinweg fahren kann.

    "Bonirob kann jetzt losfahren."

    Bonirob kann autonom fahren, komplett ohne externe Steuerung. Für die kurze Fahrt nach draußen, wird er aber ferngesteuert.

    "Das ist natürlich auch spannend jetzt. Also die Energieversorgung im Roboter ist gegeben, aber der Akku von der Fernbedienung war leer. Das ist wie im richtigen Leben."

    Nach kurzem Boxenstopp bewegt sich Bonirob wieder. Elektrisch angetrieben fährt der Roboter fast lautlos aus der Garage auf eine Wiese des Hochschulgeländes. Bonirob ist erst einmal nur eine Antriebsplattform. In ihr können verschiedene Module verbaut werden, die Forscher nennen sie wie beim Smartphone "Apps". Zurzeit eingebaut ist die Boden-Penetrometer-App.

    "Und wir machen jetzt einfach exemplarisch hier einfach mal eine Messung."

    Der wissenschaftliche Mitarbeiter Christian Scholz bedient das Modul zur Bestimmung der Bodendichte.

    "Wenn die Nadel den Boden berührt, ab einem bestimmten Bereich, zeichnet der Graph auf und würde 80 Zentimeter in die Tiefe fahren. Da hier allerdings ziemlich viele Steine sind, haben wir eine Schranke eingebaut. Für 450 Newton, dass er dann wieder nach oben fährt, um sich gegen Zerstörung zu schützen."

    Der Stab, den die Penetrometer-App in den Boden geführt hat, ist nicht weit gekommen. Auf einem richtigen Acker würde das besser funktionieren. Landwirte können mit einem Boden-Penetrometer zum Beispiel verdichteten Ackerboden finden, den sie gezielt auflockern. Eine andere App für Bonirob heißt: Spray-App. Sie besteht aus Kameras, die den Boden erfassen, und Sprühdüsen, die dann gezielt Unkrautbekämpfungsmittel verteilen. Ein weiteres Modul soll mit der entsprechenden Mechanik ausgestattet, sogar Unkraut jäten, ganz ohne Chemie. Bei allen Apps zeigt sich der Vorteil, dass Bonirob viel kleiner als ein Traktor ist. Damit kann der Roboter das Unkraut bekämpfen ohne die Nutzpflanze zu treffen. Arno Ruckelshausen:

    "Ökologisch werde ich durch solche Systeme drastische Vorteile haben. Weil ich sehr differenziert bis hin zur einzelnen Pflanze umgehen kann und das Wissen des Landwirtes sozusagen um die einzelne Pflanze wieder einbringen kann. Ich kann mich um die einzelne Pflanze kümmern, wäre an sich unwirtschaftlich, und durch die Automatisierung der Robotik, Roboterschwärme, kann ich es wirtschaftlich machen."

    Bonirob ist nicht weit davon entfernt, in der Praxis dem Landwirt nützliche Dienste zu leisten. Doch gibt es bisher nur ein Exemplar. Damit tatsächlich einmal 30 Roboter oder mehr gleichzeitig im Feld unterwegs sind, müssen noch einige Fragen geklärt werden. Wie kommunizieren sie miteinander? Arbeiten sie komplett autonom oder werden sie ferngesteuert? Wer haftet? Trotz dieser noch ungeklärten Fragen geht Arno Ruckelshausen davon aus, dass in Zukunft Roboter auf Äckern keine Seltenheit sein werden.

    "Also die Robotiklösungen in der Landwirtschaft werden in Zukunft eine drastisch höhere Rolle spielen als noch heute. Die Anfänge haben wir ja schon. Wir haben Sensorsysteme, wir haben Informatikkomponenten, Elektronik drin. Und es ist nur logisch, dieses Wissen und die technischen Möglichkeiten mit den Aktoren direkt zu verbinden, Sensor-Aktor-Systeme. Und das sind letzten Endes, ja, Robotiklösungen."

    Die Wissenschaft entwickelt Technik, die präzises Bewirtschaften der Felder möglich macht. Die Landtechnikhersteller verkaufen manche Produkte und Dienstleistungen heute schon, ihr Interesse ist groß, Precision Farming weiter auszubauen. Der Gesellschaft nützt diese Technik, weil sie den Einsatz von Dünger, Pflanzenschutzmitteln und Herbiziden reduziert. Und die Landwirte? Hermann Leithold von Agricon sagt: Die handeln so, wie sie handeln müssen.

    "Der Landwirt ist nicht nur Landwirt, er ist auch Unternehmer. Er muss den Betrieb führen, er muss Gewinne erwirtschaften. Das heißt, er ist daran interessiert, seine Kosten so gering wie möglich zu halten. Und seine Erträge - also seinen Gewinn zu maximieren."

    Das ist ein Problem von Precision Farming. Sensoren sind teuer, Düngerstreuer, die den Dünger variabel ausbringen können, und exakte Bodenanalysen ebenso, noch dazu ist die Technik fehleranfällig und komplex. Nicht nur deshalb schrecken viele Landwirte vor den Investitionen zurück. Landwirt Stefan Palme:

    "Also das Interesse bei den Landwirten ist zwar schon da, aber wenn es konkret wird, merkt man dann doch, dass man da sich auf eine sehr komplizierte Angelegenheit einlassen muss. Und die Entwicklung ist doch sehr, sehr träge, würde ich sagen."

    Wissenschaftler, Unternehmer und einige Landwirte sind überzeugt davon, dass Wissen über die Böden und Pflanzen ökonomisch und ökologisch sinnvoll ist. Doch eine Lösung für alle Probleme ist es nicht. Umwelthistoriker Frank Uekötter

    "Landwirtschaft ist sozusagen ein Leben mit Kompromissen und die kann man besser machen, die kann man schlechter machen. Aber eine Patentlösung sozusagen, ein Ende aller Sorgen, das ist es nicht."