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Landwirtschaft ohne Landarbeiter

Als "grüne Wüste" wird Paraguay oft bezeichnet, denn auf weiten Landflächen wird nichts als Soja angebaut. Dazu werden ganze Wälder abgeholzt, Kleinbauern vertrieben, die Umwelt verseucht. Solche "Kollateralschäden" nimmt die Regierung in Kauf, denn der Export der Bohne sorgt für massive Deviseneinnahmen.

Von Peter B. Schumann | 02.05.2009
    Eine Soja-Plantage in San Pedro, einer Region nördlich der Hauptstadt Asunción. Bis zum Horizont ziehen sich die grünen Anbauflächen. Kein Baum, kein Strauch unterbricht das platte Land: Alles musste dem Soja weichen. Noch sind die Pflanzen kaum zehn Zentimeter hoch: Zeit, sie mit Düngemitteln und Pestiziden zu besprühen. Das besorgen spezielle Traktoren mit riesigen Auslegern. Tagelang durchziehen ihre Fahrer die endlosen Felder. Die Chemikalien sollen Schädlinge vernichten oder dem ausgelaugten Boden die Nährstoffe wieder zuführen, die ihm durch den rücksichtslosen Soja-Anbau entzogen wurden.

    "Jede Monokultur schadet dem Boden und dem Ökosystem, egal ob es sich um Soja, Mais oder Getreide handelt."

    So Reto Sonderegger, ein Biobauer schweizerischen Ursprungs.

    "Ich habe gelernt, dass Soja nur alle sechs Jahre auf derselben Parzelle angebaut werden darf. Aber in Paraguay, Brasilien und Argentinien wird es jährlich ausgesät, manchmal sogar für zwei Ernten pro Jahr. Zuerst machen sie den Wald platt und pflanzen Soja zwei bis drei Jahre lang mit gutem Gewinn. Dann müssen sie Chemikalien einsetzen. Die treiben zwar die Kosten in die Höhe, bringen aber noch immer kurzfristigen Gewinn, das Einzige, was diese Leute interessiert."
    Es sind vor allem Brasilianer, aber auch Argentinier und sogar Deutsche, die es nach Paraguay treibt. Hier können sie billig Land kaufen, dürfen genverändertes Soja verwenden, was in ihren Ländern verboten ist, und müssen dafür kaum Steuern bezahlen. So wurde Paraguay der sechstgrößte Soja-Produzent der Welt – mit verheerenden sozialen Folgen.

    "Gerade das genveränderte Soja erfordert nur wenige Arbeitskräfte."

    So Reto Sonderegger.

    "Wer Spitzentechnologie einsetzt, kann mit zwei Arbeitern 1000 Hektar pro Jahr versorgen. Diese grüne Wüste ist eine Landwirtschaft ohne Landarbeiter. Tausende von paraguayischen Familien mussten ihre kleinen Parzellen aufgeben, weil sie keine Arbeit mehr fanden. Oder weil brasilianische Unternehmer sie mit Drohungen oder mit Gewalt von ihrem Land vertrieben."

    Der Staat schaut solchen Willkürakten meist tatenlos zu, denn Polizei und Justiz werden von den ausländischen Großgrundbesitzern bestochen. Die Auswirkungen auf die Gesundheit der Landbevölkerung sind nicht weniger dramatisch.

    "Ein großes Problem ist der wahllose Einsatz von Giftstoffen beim Soja-Anbau. Sie wirbeln durch die Luft auf das angrenzende Bauernland und versengen oft die für den eigenen Bedarf angebauten Pflanzen wie Maniok oder Mais, so dass die Menschen nichts mehr zu essen haben. Viele werden auch krank, weil die Soja-Leute ihre Maschinen im nächsten Flusslauf waschen und so das Wasser verseuchen. Es gibt aber keine anderen Wasserquellen für die Bevölkerung. Viele Menschen sind deshalb an Krebs erkrankt."

    Vor zwei Wochen zogen Hunderte von Pestizidopfern durch das Zentrum von Asunción, um auf ihre Situation aufmerksam zu machen. "Wir wollen doch nur unser Recht" – sagt dieser Mann, "damit den vielen Menschen, die leiden müssen, endlich geholfen wird. Die Behörden sollen nur mal hinsehen, wie es um uns steht, damit es wenigstens den Kindern von morgen etwas besser geht."

    Inzwischen hat die Regierung wieder einmal ein paar Maßnahmen zur Verbesserung der medizinischen Versorgung zugesagt. Sie dürften jedoch an der Zahl jener, die den Giftstoffen der Soja-Unternehmer zum Opfer fallen, wenig ändern.

    "Allein in der Region Itaipú gab es im vergangenen Jahr 32 Tote, im ganzen Land nahezu 250."

    So Tomás Zayas, der Sprecher einer Kleinbauern-Vereinigung.

    "In Paraguay existieren genügend Bestimmungen, welche die Verwendung dieser Gifte regeln und die Umwelt schützen. Aber das sind tote Paragraphen, denn niemand beachtet sie. Wir von den sozialen Bewegungen haben immer wieder gefordert, sie zu einem Gesetz zusammenzufassen. Doch das Parlament befindet sich in den Händen von Kräften, die daran kein Interesse haben."

    Eigentlich hatte der neue Präsident Fernando Lugo eine grundlegende Veränderung der Verhältnisse in Paraguay versprochen. In einem Interview des Deutschlandfunk hatte er kurz vor den Wahlen 2008 gesagt:

    "Auf unseren Reisen durch das Land haben wir überall erfahren, dass die Voraussetzung für ein anderes Paraguay eine umfassende Landreform sein muss. Denn hier herrscht eine geradezu skandalöse Verteilung von Grund und Boden, und es gibt noch nicht einmal ein staatliches Grundbuch, weshalb manche Ländereien zwei oder drei Besitztitel haben. Wir müssen als erstes die Frage des Besitzes klären, um dann einen Sozialpakt zwischen allen von einer Landreform betroffenen Sektoren herzustellen."

    Doch bei diesen schönen Worten ist es bis heute – neun Monate nach Lugos Amtsantritt – geblieben. Einen Grund hierfür bieten die politischen Machtverhältnisse. Die schwache Regierungsallianz des Präsidenten verfügt nicht über die Mehrheit im Parlament, sein wichtigster Partner, die Liberale Partei, vertritt die Interessen der Großgrundbesitzer. Und der Landwirtschaftsminister stammt aus einer der reichsten Familien.

    "Es wurde zwar anfangs tatsächlich von Landreform gesprochen."

    So Tomás Zayas.

    "Aber leider haben gewisse Wirtschaftskreise ihre große politische Macht ausgespielt. Einige Parlamentsabgeordnete haben sogar Kampagnen gegen die Landreform angezettelt. Der gegenwärtige Direktor des Instituts für Agrarreform hat immerhin eine Klage beim Generalstaatsanwalt eingereicht. Darin geht es um sieben Millionen Hektar Land, die frühere Regierungen in betrügerischer Absicht bestimmten Personen übertragen haben."

    Es ist zu befürchten, dass diese Klage von den Mühlen der Justiz zermahlen wird, denn das paraguayische Rechtswesen ist für seine Korruption berüchtigt. Auch daran konnte Präsident Lugo bisher nichts ändern. Seine wichtigste Basis, die sozialen Bewegungen, werden allmählich ungeduldig. Sie haben 2008 den christlichen Hoffnungsträger in der Erwartung gewählt, dass er wenigstens die schlimmsten sozialen Probleme anpacken würde. Stattdessen gibt es inzwischen wieder Tote, wenn Kleinbauern um ihre Rechte streiten.

    "Der Compañero Bienvenido wurde nach einer Straßenräumung ermordet."

    So Tomás Zayas.

    "Die Polizei war bereits abgezogen, alles war friedlich. Doch Stunden später kam sie wieder zurück. Und bei diesen Zusammenstößen wurde er erschossen. Wir haben Anzeige erstattet, aber angeblich konnte kein Schuldiger ermittelt werden. Bei einer zweiten Konfrontation wurde ein weiterer Campesino durch den zivilen Trupp eines Großgrundbesitzers ermordet. Die Kriminalisierung der sozialen Kämpfe hat zugenommen."