Maja Haderlap liebt Gedichte, als Leserin wie als Autorin. 1983, mit Anfang 20, hat die Bauerntochter aus dem äußersten Süden Kärntens als Lyrikerin debütiert, mit einem Gedichtband in slowenischer Sprache.
"Das Spannende für mich ist, was man mit dieser kleinen Form alles sagen kann. Gedichte sind, obwohl sie eine kleine Form sind, offen auch für große Geschichten, man kann viel über die Dauer der Zeit erzählen - ich sage bewusst "erzählen", weil das möglich ist -, man kann sie aber auch ganz anders schreiben: Gedichte leben auch vom Augenblick, geben Eindrücke, Stimmungen wieder, bringen manchmal Dinge zum Schwingen, manchmal nicht. Sie sind eine für mich herausfordernde Kunstform."
"... alles trifft ein mit dem wort, in dem
ich mich weite, verzweige. alles
verlässt mich, was ungesagt blieb,
was nicht deutlich geworden ist
in der sprache, vergeht."
ich mich weite, verzweige. alles
verlässt mich, was ungesagt blieb,
was nicht deutlich geworden ist
in der sprache, vergeht."
"Was nicht deutlich geworden ist in der Sprache, vergeht ..." Es ist der Gestus des Bannens, des Festhaltens von Erfahrungen, Beobachtungen, Erinnerungen, es ist das konzentrierte Bemühen um ein Fixieren des Flüchtigen, das Haderlaps Gedichte bestimmt. In den ersten Poemen des Bands rühmt die Autorin die Schönheiten Istriens und der adriatischen Küste, aber auch der herbe Reiz der Karstlandschaft im Hinterland Triests wird von Haderlap in harten und spröden, aber ungemein einprägsamen Versen besungen.
"Der nördliche Teil der Adria war immer wichtig für mich, weil ich ihn als Teil meines kulturellen Raumes empfunden habe, und insoweit bin ich immer in diesen Orten unterwegs gewesen, ich bin über die Berge gefahren und habe sie besucht. Die Orte, die ich in meinen Gedichten beschreibe, sind allerdings auch Wunschorte oder imaginierte Orte, also ich beschreibe diese Orte nicht, man erkennt sie nicht, wenn man hinkommt, es gibt keine Orientierungshilfen, aber es sind kulturelle, innere geistige Orte, auch politische Orte, die immer wieder auftauchen."
So heißt es in dem Gedicht "trieste trst triest":
"haben die möwen deinen fluchtpunkt erkannt,
stadt aus papier, von worten gebannte stadt,
der man aus allen himmelsrichtungen zurief,
wann sie sich um welchen namen zu scharen
habe. stadt, die hinter den vorgeschobenen
palazzi nach rückwärts zieht. immer sahen
deine herrschaftshäuser aus wie kasernen,
führten soldatenfriedhöfe und kriegerdenkmäler
über die dörfer zu dir. schnürte die grenze
deinen stählernen kragen...
... in deiner bucht
traf meine sprache aufs gleißende meer,
fiel aus dem kinderbett an die küste, war
noch zu hause, blieb nicht mehr allein.
hier probte ich das küssen mit blick auf
die adria, meine hände frierend in einen
männermantel vergraben. zwischen den zähnen
die zunge und sonstwo. die möwen im aufwind."
stadt aus papier, von worten gebannte stadt,
der man aus allen himmelsrichtungen zurief,
wann sie sich um welchen namen zu scharen
habe. stadt, die hinter den vorgeschobenen
palazzi nach rückwärts zieht. immer sahen
deine herrschaftshäuser aus wie kasernen,
führten soldatenfriedhöfe und kriegerdenkmäler
über die dörfer zu dir. schnürte die grenze
deinen stählernen kragen...
... in deiner bucht
traf meine sprache aufs gleißende meer,
fiel aus dem kinderbett an die küste, war
noch zu hause, blieb nicht mehr allein.
hier probte ich das küssen mit blick auf
die adria, meine hände frierend in einen
männermantel vergraben. zwischen den zähnen
die zunge und sonstwo. die möwen im aufwind."
Ob sie die hantige Schönheit Triests beschreibt oder die aufreizende Schläfrigkeit eines kroatischen Sommernachmittags, ob sie die Melancholie des nahenden Herbsts heraufbeschwört oder sich in farbkräftigen, präzise rhythmisierten Versen mit Leimkraut, Fingerhirse, Hundskamille auseinandersetzt: Die Natur spielt eine zentrale Rolle in der Lyrik Maja Haderlaps.
"Ich bin eine Beobachterin der Natur, spüre eine große Faszination darin, dass sie mir sehr fremd ist, dass sie mich aber gleichzeitig bestimmt."
Maja Haderlap hat, auch geprägt durch ihre Kindheit in den Kärtner Bergen, ein realistisches, kein bukolisch-idealisierendes Verhältnis zur Natur.
"Die Natur ist nicht nur Kulisse, sie ist sozusagen die Raumgeberin. Es ist ja wichtig, wie ich mich als Person in der Natur empfinde. Ich bin oft zu Fuß unterwegs, das heißt, ich wandere nicht ständig mit dem Rucksack, aber das Gehen ist für mich wichtig, Gehen in der Natur, auf Wiesen, in Wäldern, das Gehen generiert auch einen eigenen Rhythmus, ich denke und wünsche mir, dass dieser langsame Rhythmus auch in manchen Gedichten zum Tragen kommt."
"ein wiesenhang überschwemmt
meine augen mit erde, kieselsteinen
und gras, mit den blumen rosa,
gelbweiß und blau. ich habe die
namen aller gewächse vergessen,
die mich durchströmen und könnte
kein zeugnis ablegen, sie nicht
bekunden für irgendwann. später,
viel später, wenn die wiesenfluten
verebben, könnten sich wörter
wie lučca, smetlika, veronika
auf den blüten niederlassen
oder unerwartet auftauchen,
wie gedanken, die lange zuvor
aus der bahn geraten sind.
werde ich sie erkennen oder ins
schweigen zurückbuchstabieren?
wird sich die wiese an mich erinnern,
werden die blumen meinen namen wissen?
ich werde ins hohle stürzen.
die wiese wird mich ersetzen."
meine augen mit erde, kieselsteinen
und gras, mit den blumen rosa,
gelbweiß und blau. ich habe die
namen aller gewächse vergessen,
die mich durchströmen und könnte
kein zeugnis ablegen, sie nicht
bekunden für irgendwann. später,
viel später, wenn die wiesenfluten
verebben, könnten sich wörter
wie lučca, smetlika, veronika
auf den blüten niederlassen
oder unerwartet auftauchen,
wie gedanken, die lange zuvor
aus der bahn geraten sind.
werde ich sie erkennen oder ins
schweigen zurückbuchstabieren?
wird sich die wiese an mich erinnern,
werden die blumen meinen namen wissen?
ich werde ins hohle stürzen.
die wiese wird mich ersetzen."
"Natürlich ist die Natur eine Schule der Vergänglichkeit, wir sind ja auch Teil dieser Natur, und wir kämpfen gegen die Vergänglichkeit und damit gegen die Natur an. Das sind jetzt große Worte, aber wir können uns an diesen Dingen nicht vorbeischwindeln."
Bei all ihrer betörenden Schönheit, es sind keine Idyllen, die Maja Haderlap in ihren Gedichten zeichnet. Auch das Harte, das Schmerzhafte, das Grausame hat seinen Platz in den Versen der 53-jährigen Kärntnerin. In dem fünfteiligen Gedichtzyklus "Das unsichtbare Mädchen" zum Beispiel - einer Entwicklungsgeschichte in Gedichtform - thematisiert Haderlap das Thema "sexueller Kindesmissbrauch", auf diskrete, aber zugleich auch schonungslose Art und Weise:
"wer bin ich, fragt das mädchen den höflichen
mann, der sie aufmerksam betrachtet. komm,
sagt der mann, ich werde dir einen körper
machen. und legt seine hand auf ihre schmächtigen
schultern, legt seine hand auf ihre dürre brust,
drängt seine finger in den verdeckten schoß,
wo das mädchen eine bewegung spürt,
die im leeren verharrt. wie soll ich je
diese hand abstreifen, die mich beschämt,
denkt nun das mädchen. werden sich immer
alte hände zwischen mich und meinen leib
drängen? wie verlassen wird er noch sein
und wie lange allein, bis ich ihn wieder erhalte?"
mann, der sie aufmerksam betrachtet. komm,
sagt der mann, ich werde dir einen körper
machen. und legt seine hand auf ihre schmächtigen
schultern, legt seine hand auf ihre dürre brust,
drängt seine finger in den verdeckten schoß,
wo das mädchen eine bewegung spürt,
die im leeren verharrt. wie soll ich je
diese hand abstreifen, die mich beschämt,
denkt nun das mädchen. werden sich immer
alte hände zwischen mich und meinen leib
drängen? wie verlassen wird er noch sein
und wie lange allein, bis ich ihn wieder erhalte?"
Zwei bedeutende Lyrikerinnen, zwei Lyrikerinnen von europäischem Format hat das kleine, literarisch fruchtbare Land Kärnten bisher hervorgebracht: Christine Lavant und Ingeborg Bachmann. In Hinkunft wird man Maja Haderlap wohl in einem Atemzug mit ihren beiden Kolleginnen nennen müssen.
Maja Haderlap: "Langer Transit", Gedichte, Wallstein-Verlag, Göttingen, 88 Seiten, 20,50 Euro
