Archiv


Langer Weg zum Kopf

Biologie. - Experten der Wirbeltierforschung aus 53 Ländern treffen sich in dieser Woche an der Universität Jena zum 6. Internationalen Kongress über die Morphologie der Vertebraten. Der illustre Forscherzirkel widmet sich der vergleichenden Analyse der Baupläne von verschiedenen Wirbeltierarten. Dabei stehen vor allem die Zusammenhänge zwischen einer bestimmten Funktion und der von der Natur darauf gegebene Lösung im Vordergrund, etwa die Anpassung der Bewegung an einen besonderen Lebensraum. Doch auch warum unser Kopf so aussieht, wie er aussieht, können die Morphologen erklären.

    Wenn 700 Koryphäen auf dem Gebiet der Knochen, Organe und Zellen aus aller Welt zusammen kommen, treten die Details der tierischen Baupläne in den Hintergrund. Auf dem Kongress der Wirbeltierforscher vom 21. bis 26 Juli in Jena geht es um das große Zusammenspiel aller Einzelteile eines Organismus, das erst bei optimalem Funktionieren ein Überleben in der Evolution erlaubt. Nicht unwesentlicher Bestandteil dabei ist sicherlich der Kopf eines Lebewesens, und genau dieser Körper-Ausstülpung widmen sich zahlreiche Morphologen besonders. Dabei bildet ein kleines Häufchen unterschiedlicher Zellen den Schlüssel für die Entstehung des zentralen Nervensystems, der schützenden Knochen sowie aller anderen Komponenten des prominenten Körperteils.

    "Beim noch kopflosen Embryo wandern die Zellen der so genannten Neuralleiste in regelrechten Strömen aus und legen zunächst den Grundstein, um den sich dann Zellen des ursprünglichen Darmtraktes, so genanntes Entoderm, sowie Ektodermgewebe, aus dem die erste Körperbedeckung besteht, gruppieren", erklärt Martin Fischer von der Universität Jena. Ein Zusammentreffen verschiedener Gewebetypen mit Folgen: Durch die gegenseitige Interaktion angestoßen, entwickeln sich dann beispielsweise aus den Vorläuferzellen der Haut feinere Strukturen wie Zähne oder auch Knorpel. Daher sei die Kenntnis dieser ersten Zellen entscheidend für das Verständnis, wie sich ein Kopf aus dem Körper bildet. "Diese Details haben weitreichende Bedeutung auch für die Medizin, denn Fehler bei diesen ersten Prozessen ziehen gravierende Missbildungen nach sich. Daher untersuchen wir intensiv, wie Umwelteinflüsse oder chemische Substanzen auf diese Vorgänge einwirken können", berichtet James Hanken von der Harvard Universität in Cambridge.

    Doch nicht der Mensch, sondern vielmehr Schildkröten sind das Hauptthema des diesjährigen Treffens. Seit Jahrmillionen kriechen und schwimmen sie bereits über die Erde, kommen dabei monatelang ohne Sauerstoff aus und überleben uns überdies um Jahrzehnte. "Seeschildkröten können ihren Stoffwechsel bei Sauerstoffmangel komplett umstellen und reduzieren, bis schließlich nur noch ein Kreislauf zwischen Herz und Gehirn übrig bleibt", schildert Jeanette Wyneken von der Florida Atlantic University. Aus dieser enormen Anpassung versucht auch der Mensch zu lernen: Forschergruppen untersuchen, ob die chemischen Tricks der Schildkröten auch den Menschen vor Schlaganfällen und Infarkten schützen könnten.

    [Quelle: Sabine Goldhahn]