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Langwieriger Kernkraft-Ausstieg

Ein Atomkraftwerk abzureißen ist teuer und gefährlich und es dauert Jahre, wenn nicht Jahrzehnte. Früher oder später steht der Abriss allen 17 Reaktoren bevor, die in Deutschland heute noch in Betrieb sind. Ein zukunftsträchtiges Geschäft also, unabhängig davon, ob es beim Atomausstieg bleibt oder nicht. Der Informationskreises Kernenergie hat sich auf einer Veranstaltung mit dem Abriss von Kernkraftwerken auseinander gesetzt.

Von Markus Rimmele |
    Genau 441 Kernkraftwerke sind derzeit weltweit in Betrieb, 441 Anlagen, die alle irgendwann einmal abgeschaltet und beseitigt werden müssen. Da reicht es nicht, einfach die Brennelemente zu entfernen und dann die Abrissbirne einzusetzen. Kernkraftwerke, wenn sie einmal in Betrieb waren, sind hartnäckig.

    Es gibt grundsätzlich zwei Wege, mit einer Anlage nach ihrer Stilllegung zu verfahren: Zum einen den direkten Rückbau. Der dauert zehn bis zwölf Jahre und führt schließlich zur grünen Wiese, das heißt bis auf ein Zwischenlager mit den kontaminierten Bauteilen verschwindet das Kraftwerk komplett. Die zweite Möglichkeit ist der so genannte sichere Einschluss. Bernd Güthoff vom Energiekonzern Eon:

    " Das heißt, im Grunde wird die Anlage wartungsfrei hingestellt, also alle Brennelemente entsorgt, es werden alle Flüssigkeiten aus der Anlage gebracht, es wird die Anlage trocken konserviert. Es werden Messeinrichtungen installiert, so dass man also während der Einlagerungszeit sehen kann: Wie verhält sich die Anlage durch die Feuchtigkeit, Temperatur und so weiter? Und so bleibt die Anlage wohl überwacht, aber eben nicht zurückgebaut stehen, bis dann in dreißig oder fünfzig Jahren, je nachdem, was das Ziel ist, der Rückbau beginnt und letztendlich dann die grüne Wiese hergestellt wird. "

    Beide Verfahren werden in Deutschland angewendet. Eon zum Beispiel baut derzeit das Kraftwerk in Stade komplett zurück. Das 1983 abgeschaltete AKW in Lingen hingegen befindet sich im sicheren Einschluss. Es hat Vorteile, die Anlagen für ein paar Jahrzehnte stehen zu lassen. So ist nach 30-50 Jahren die Radioaktivität im früheren Kontrollbereich bereits beträchtlich abgeklungen, der Rückbau wird einfacher.

    In Deutschland kommt hinzu, dass die Endlagerfrage noch nicht gelöst ist, bei einem direkten Rückbau also teure Zwischenlager eingerichtet werden müssen. Und schließlich rechnen die Kraftwerksbetreiber für die Zukunft mit moderneren Rückbauverfahren, so dass es sich lohnen könnte, zu warten.

    Der Abriss eines Atomkraftwerks ist aufwändig. Bevor die Betonhülle verschwindet, gilt es, alle eventuell radioaktiv kontaminierten Bauteile zu reinigen:

    " Um sie zu reinigen, muss man natürlich an die Oberflächen kommen. Und wenn man das Beispiel Rohrleitungen sich ansieht, dann muss man letztendlich in die Rohrleitungen hinein und dort Stahlkies strahlen oder auch chemisch reinigen. Und um es mechanisch bearbeiten zu können, muss eine Rohrleitung halt nicht nur klein geschnitten werden, sondern sie muss auch lang aufgeschnitten werden, so dass Halbschalen entstehen oder Viertelschalen entstehen, die dann von außen mechanisch gereinigt werden können. Das betrifft eben halt nicht nur Rohrleitungen, sondern auch Behälter oder Armaturen oder Pumpen und so weiter. "

    Die Anlage wird klein geschnitten, und das ist teuer. Die Stilllegung eines Kernkraftwerks, so Güthoff, kostet mit Nachbetrieb, Rückbau und Endlagerung bis zu einer Milliarde Euro – und ist personalintensiv. In der Anlage in Würgassen etwa sind derzeit 400 Leute mit dem Abriss beschäftigt.

    Doch vielleicht wird der Druck zum Rückbau für die deutschen Kernkraftwerksbetreiber ja bald geringer. Die Union überlegt, im Falle eines Wahlsieges, die Restlaufzeiten für die Kraftwerke zu verlängern. Dieter Marx vom Deutschen Atomforum will sich dazu nicht konkret äußern. Gegen eine Änderung der Ausstiegsvereinbarung mit der rot-grünen Bundesregierung aber hätte er wohl nichts einzuwenden:

    " Die Vereinbarung wurde immer irrtümlich oder fälschlicherweise als Atomkonsens bezeichnet. Das ist im Grunde nicht zutreffend. Es ist eine Vereinbarung über die Laufzeiten der Kernkraftwerke. Das heißt, es war kein Konsens, sondern in der Präambel der Vereinbarung steht, dass man den Ausstieg aus der Kernenergie für falsch hält. Und wenn es jetzt von Seiten der Union eine andere Energiepolitik gibt, dann muss man der folgen, und wenn eine neue Politik kommt, muss man sich dieser beugen. Und das ist klar: Primat der Politik gilt auch dann. "

    Doch selbst bei längeren Laufzeiten in Deutschland ist der Abriss von Kernkraftwerken ein aktuelles Thema. Denn irgendwo auf der Welt wird gerade immer ein Kraftwerk stillgelegt. Und es sind nicht zuletzt deutsche Firmen, die auch im Ausland den Rückbau durchführen – und damit Geld verdienen.