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Las Vegas am Straßenrand

Europas Herz schlägt in den urbanen Wohlstands- und Entwicklungszentren. Versorgt werden sie über die großen Verkehrsadern. 24 Stunden pulsiert das Leben auf den Straßen. Dort ist alles im Fluss. Dort gibt es nur wenige Ruhezonen. In Form von Tankstellen und Rastplätzen, die rechts und links der Straßen liegen. Mit Zapfanlagen für Diesel und Bier - und Parkplätzen für Trucks und Trucker, Last und Laster: Las Vegas an der polnischen Landstraße.

Von Ernst-Ludwig von Aster und Wojtek Mroz |
    Dimitrij klettert aus der Fahrerkabine des großen weißen Kühltrucks. Drei Metallstufen sind es bis zum Boden. Da wartet Nikolai, sein Partner. Unruhig steht er im dunklen Jogginganzug neben dem Wagen. An den Füssen Filzpantoffeln, dezent orange - grün gemustert

    "Wir sind schon eine Woche unterwegs, wir fahren in Richtung Holland und danach zurück"

    "Nur noch 50 Kilometer sind es bis zur deutschen Grenze, da können wir hier eine Pause machen", sagt Nikolai. Etwas essen, einkaufen. Seit einer Woche sind sie unterwegs. Losgefahren in Wolgograd. Richtung Rotterdam."

    " 40 Mal im Jahr sind wir mindestens hier, sagt Dimitrijj und lächelt. Nikolai nickt. Ihre Ladungen wechseln, die Ziele auch. Doch auf den Strecken zwischen Ost und West liegt meistens eine Konstante. Ein festes Ziel. Ein Ruhepunkt: Las Vegas."

    Lukasz Zimny patrouilliert zwischen den Lkw. Turnschuhe, graue Jogginghose, blaues Fleece, darüber die Warnweste. Grosse Hände, breite Schulter, kurze Haare, breites Grinsen. Lukasz grüßt mal hier auf Russisch, da auf Polnisch.

    "Zu uns nach Las Vegas kommen Leute aus vielen Ländern. Vor allem aus Osteuropa. Aus Polen, Litauen, Lettland, der Ukraine, aus Russland, aus Tschechien, Deutschland, der Slowakei, sogar aus Kasachstan, aus Hinterrussland."

    Ganz Europa in Las Vegas. 70 Kilometer vor der deutsch-polnischen Grenze. Der exotischste Trucker-Parkplatz zwischen Berlin und Poznan.
    "Die Palmen sehen echt aus. Sie werden von den Gästen bewundert. Die Leute gucken sogar, ob die Kokosnüsse echt sind."

    Das große Leucht-Schild "Las Vegas": eingerahmt von zwei Kunstpalmen. Jede gut 5 Meter hoch. Vor dem rot-weißen Metallbau, der sich parallel zur Strasse entlang zieht: Kunstpalmen. Hinter dem Gebäude: Kunstpalmen. An allen hängen Kokosnüsse. Die sind grün gestrichen....

    "Am Anfang gab es nur die Bar, dann kam der Parkplatz. Und die Waschanlage. Das ist nicht lange her. Vor vier Jahren hat das angefangen. Und es läuft weiter."

    Lukasz ist in dem Einfamilienhaus aufgewachsen, das heute an der Einfahrt nach Las Vegas steht. Seine Eltern verkauften ein Stück Land. Dann donnerten die Lkw an seinem Zimmer vorbei, vor dem Fenster wuchsen die Kunstpalmen. Aus dem großen sandigen Platz vor seiner Haustür wurde Las Vegas.

    "Hier ist es nicht einfach, Arbeit zu finden. Und als die Chefs sagten, hier gibt es einen Job, habe ich sofort zugestimmt. Ich kenne hier alle Leute."

    Heute ist Lukasz 20 Jahre alt. Und Geschäftsführer von Las Vegas. Dem Trucker-Treff vor seiner Haustür. Der immer grösser wird.

    "Hier können wir in den Supermarkt gehen. Oder in die Bar. Hier ist dann noch das WC. Kommen sie, gehen wir in die Bar, da ist eine sehr gute Atmosphäre: Musik, Fernseher, wir servieren hier sehr viel Essen, allein 500 Kilogram Fleisch pro Tag"

    Trucker drängen sich um die Vierertische. Russisch-polnisches Wortwirrwarr liegt in der Luft. An der Verbindungstür zur Küche beugen sich zwei Bedienungen über einen großen blauen Koffer. Betrachten eine Nike-Sportjacke nach der anderen. Verschwinden kurz zur Anprobe. 10 Euro pro Stück kassiert der baltische Lkw-Fahrer für die gefälschten Markenartikel. Extra-Gewinn in Las Vegas.

    "Die Fahrer erzählen oft, dass der Druck zu nimmt - dass die Chefs sagen: schneller, schneller. Aber die Fahrer sagen: Hier müssen wir anhalten, hier müssen wir einkaufen. Hier gefällt es uns."

    In Las Vegas. Da, wo das große Schnitzel mit Pommes, Salat und Suppe10 Zlothy, umgerechnet 2,50 Euro kostet, und auf die Fahrer alles wartet, was das Herz begehrt:

    "Hier haben wir auch einen Night Club. Da drüben, dieses gelbe Gebäude. Die Fahrer gehen oft dorthin. Aber wir haben hier auch unsere "Platz-Girls", die kommen hier auf den Parkplatz, um ein bisschen was zu verdienen."

    24 Stunden läuft hier das Geschäft. Rund um die Uhr klingeln die Kassen im Neonlicht. Nur die Lichtverhältnisse auf dem Parkplatz ändern sich.

    Lukasz muss zur Waschanlage. Ganz hinten rechts auf dem Parkplatz. Da wartet ein Lieferant. Mit Rohren für die Lkw-Werkstatt, die gerade im Bau ist. So wie ein Ersatzteil-Lager.

    "Es wird noch größer werden. Vor allem der Parkplatz wird vergrößert. Jetzt haben wir Platz für 300 Lkw. In der Zukunft haben wir Platz für mehr als 1.000 bis 2.000."

    Neue Palmen sind schon bestellt. Las Vegas wird weiterwachsen. Direkt vor seiner Haustür. Lukasz aber wird nicht hier bleiben. Er will auf die Strasse.

    "Ich möchte später auch als Trucker arbeiten, ich werde den Lkw-Führerschein machen."