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Laserblitze und Nanoshuttles

Preisverleihung. - Heute wird in München mit 100.000 Euro dotierte Philip-Morris-Forschungspreis verliehen. In diesem Jahr teilen sich vier Wissenschaftler die Auszeichnung. Zwei von ihnen haben einiges gemeinsam: Sie arbeiten an der renommierten ETH Zürich, haben beide Physik studiert und sie sind Frauen: Ursula Keller und Viola Vogel. Frank Grotelüschen hat sie in ihren Labors in Zürich besucht.

Von Frank Grotelüschen |
    " Hier sollten wir vielleicht eine Jacke anziehen, wegen dem Schmutz, den wir hier reinschleppen. Also gehen wir da rein. Wir müssen darauf achten, dass wir nicht zuviel Dreck reinschleppen, weil wir Hochleistungslaser haben und Verstärker."

    Ein Labor an der ETH Zürich. Ursula Keller hat ihren hellblauen Schutzkittel übergestreift und geht auf einen wuchtigen Tisch zu. Darauf stehen mehrere Laser, Hunderte von Blenden und Spiegeln - und ein Pott aus Edelstahl.

    " Wir haben diese Experimentierkammer auf dem Abfall gesehen und haben gefunden: Okay, dann rüsten wir die ein bisschen um und können sie benutzen. Das wird ein bisschen billiger."

    Vom Abfall muss Ursula Keller vorerst wohl nichts mehr holen. Sie erhält den Philip-Morris-Forschungspreis - und ein Preisgeld von 25.000 Euro. Keller befasst sich mit Laserblitzen - und zwar ziemlich kurzen Blitzen.

    " Kurz heißt bei uns piko, femto und atto. Das ist jedes Mal schneller. So eine Pikosekunde ist 10 hoch -12, ein Millionstel von einem Millionstel einer Sekunde. Femto ist dann noch einmal 1000 Mal schneller. Und eine Atto ist noch einmal 1000 Mal schneller."

    Grundlagenforscher nutzen solche ultrakurzen Blitze, um ultraschnelle Prozesse auszumessen - chemische Reaktionen etwa. Und Mediziner operieren mit den Laserblitzen das Auge.

    " Mit kurzen Pulsen kann man Gewebe mit viel weniger Energie schneiden. Das heißt es wird viel weniger erwärmt, es wird weniger Material zerstört. Das ist viel schonender und man kann sehr viel präziser schneiden."

    Früher - in den 70er und 80er Jahren - war die Herstellung von kurzen Lichtpulsen ein ziemlicher Akt. Man brauchte komplexe, wartungsintensive Anlagen, Farbstofflaser genannt. Die mussten gehütet und gehätschelt werden wie ein Baby.

    " Das waren ganz klar Forschungsinstrumente. Die Leute haben am Morgen den Laser eingeschaltet, gebabysittet und am Abend noch die Experimente gemacht."

    Doch Anfang der 90er trat Ursula Keller auf den Plan. Damals arbeitete sie in Amerika bei den renommierten Bell Labs. Ein Laser, so erklärt sie, ist ein Lichtverstärker. Im Prinzip besteht er aus zwei Spiegeln, dazwischen ein Verstärkungsmaterial.

    " Das Licht, das aus dem Verstärkungsmaterial kommt, wird an dem Spiegel reflektiert, kommt wieder zurück, geht wieder durch das Verstärkungsmaterial durch, wird an einem anderen Spiegel wieder reflektiert. So geht das hin und her, immer den gleichen Weg."

    Einer der Spiegel ist durchlässig. Aus ihm tritt der Laserstrahl heraus. Ursula Keller ersetzte den Spiegel durch einen Halbleiterchip, gesprenkelt mit nanometerkleinen Pünktchen. Dieser Chip wirkt als extrem schneller Schalter - bildlich gesprochen als Schleuse, die das Licht nur in winzigsten Portiönchen passieren lässt - in Form von ultrakurzen Blitzen.

    " Ich habe einfach das erste Mal demonstriert, dass das geht. 1993 ging ich von den Bell Labs weg. Damals wurde es eigentlich nicht so richtig erkannt. Die waren gar nicht interessiert, auf dem Gebiet weiterzuarbeiten. Und heute ist das ziemlich akzeptiert überall, dass das der richtige Weg ist."

    Heute steckt Kellers Erfindung in manchem Laser. Und die Schweizerin arbeitet schon am nächsten Ding: einem Laserchip für kurze Blitze, klein wie ein Fingernagel und nur ein paar Euro teuer. Er könnte als Taktgeber in PCs eingebaut werden und die Rechner deutlich schneller machen.

    " Ich könnte mir schon vorstellen, dass das der Weg sein wird, einen kurz gepulsten Laser in jeden Haushalt zu bringen. Ich bin jetzt erst 45, habe noch 20 Jahre an einer Hochschule vor mir."

    Ähnlich geht es Viola Vogel, der zweiten Philip-Morris-Preisträgerin aus Zürich. Auch sie ist Mitte 40, und ihr Labor findet sich nur zwei Häuser weiter - im futuristischen Neubau der Hochschule, den sie im letzen Sommer bezogen hat:

    " Wir sind hier in unserem Großraumlabor. Ich habe Gott sei Dank rechtzeitig zugesagt, sodass ich die ganzen Wände aus dem Gebäude noch rausreißen konnte."

    16 Jahre lang hatte Vogel in den USA geforscht. Im letzten Jahr zog es die Deutsche zurück nach Europa. Als Professorin für biologisch orientierte Materialien arbeitet sie an der Nanotechnologie - an Strukturen also, die gerade mal Millionstel Millimeter messen. Viola Vogel:

    " Wenn man eines von unseren Haaren nimmt und 10.000 Mal den Durchmesser teilt, kommt man runter auf die Nanoskala. Wir versuchen, auf dieser Nanoskala Materialien und neue Instrumente zu entwerfen und zu bauen."

    Viola Vogel lässt sich von einem Konstruktionsprinzip leiten, das sie in der Natur aufgestöbert hat:

    " Wir versuchen, auf der Nanoskala ein Transportsystem aufzubauen, das getrieben wird von biologischen Motoren. Wir versuchen, ein Eisenbahnsystem zu bauen, das Cargo entlang gelegter Gleise transportieren kann und zuverlässig ein- und ausladen kann."

    Kinesine, so heißen diese Biomotoren, sind kleine Eiweißmoleküle. Sie finden sich zigtausendfach in jeder Körperzelle und befördern gleich einer Lok lebenswichtige Nahrungsstoffe. Eine Lok fährt selbstredend auf Schienen. Das Schienennetz der Zelle besteht aus langen Fasern, den Mikrotubuli. Wie Spinnfäden erstrecken sie sich von einem Zellende zum anderen. An diesen Schienen kann sich das Kinesinmolekül entlang hangeln.

    Aus den Mikrotubuli und dem Kinesin formt Vogel den künstlichen Nanoshuttle. Dabei greift sie zu einem Trick, indem sie Motor und Schiene miteinander vertauscht: Statt dass sich die Kinesin-Motoren auf den Mikrotubuli-Schienen bewegen, verschraubt Vogel das Kinesin auf eine Glasplatte, in die feine Kanäle eingebrannt sind. Die Mikrotubuli gleiten dann ähnlich wie ein Fließband über die Motoren hinweg - ähnlich einem Wassereimer, der von einer Hand zur anderen weitergereicht wird.

    " Zusätzlich können wir natürlich versuchen, unsere Gleise sichtbar zu machen, sodass man sieht, wie diese kleinen Würmchen den Gleisen folgen."

    Spezialmikroskope machen das Nanospektakel sichtbar. Die Mikrotubuli sind mit Farbstoffen markiert. Wie winzige Glühwürmchen kriechen sie über den Bildschirm. Was wie ein nettes Forscherspielchen anmutet, könnte in Zukunft handfeste Anwendungen haben. Schon lange träumen Visionäre von einer Nanowerkbank, die winzigste Maschinchen zusammenmontiert - Medizinroboter etwa, die durch die Blutbahn patrouillieren und Blutgerinnsel unschädlich machen.

    " In der Nanotechnologie können wir im Moment Einzelteile recht gut herstellen - auch wenn das noch sehr simple Einzelteile sind. Aber im nächsten Schritt würde man diese Einzelteile gern zusammensetzen. Das können wir im Moment noch nicht."

    Der Nanoshuttle könnte in einer Nanofabrik die Rolle des Förderbands übernehmen, das die Einzelkomponenten zur Werkbank hin- und das fertige Maschinchen von ihr wegtransportiert. Nur: Bis solche Visionen Wirklichkeit werden, muss Vogels Team noch einige Probleme lösen. Wie kann man alle Waggons in dieselbe Richtung laufen lassen? Und:

    " Wir können noch nicht gezielt an bestimmten Orten Cargo aufnehmen und wieder abladen. Im Moment basiert das noch auf Zufallstreffern. Im Moment versuchen wir, neue Chemie zu entwickeln, um gezielt Cargo auf- und entladen zu können."

    Erst wenn Vogel und ihr Team diese grundlegenden Probleme gelöst haben, ist an technische Anwendungen überhaupt zu denken. Will heißen: Er steckt noch in den Kinderschuhen, der Nanoshuttle.
    Professor Viola Vogel, ETH Zürich, Trägerin des Philip-Morris-Forschungspreis 2005
    Die Biophysikerin Viola Vogel, ETH Zürich, Trägerin des Philip Morris Forschungspreises 2005 (ETH Zürich)