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Laster mit späten Folgen

Medizin. - Es beginnt mit Husten, später kommen Auswurf und Atemnot hinzu. Die chronische Atemwegsverengung – kurz COPD – gilt nach Einschätzung der WHO als dritthäufigste Todesursache weitweit. Eine neue Studie dazu kommt zu dramatischen Schlüssen.

Von Michael Engel |
    Unter Anfeuerung der Assistentin wird beim Lungenfunktionstest das Atemvolumen erfasst. 750 zufällig ausgewählte Personen aus der Region Hannover haben diese Messung im Dienste der Forschung machen lassen und zudem einen umfangreichen Fragebogen ausgefüllt, besonders mit Blick auf die Rauchgewohnheiten. Ergebnis: 13,3 Prozent der über 40-jährigen litten unter COPD – einer Verengung der Atemwege – erkennbar am reduzierten Atemvolumen. Professor Tobias Welte, Direktor der Abteilung Pneumologie der Medizinischen Hochschule Hannover, ist wegen dieser hohen Zahl überrascht:

    "Wenn Sie in ältere Daten der Weltgesundheitsorganisation für Deutschland hineinschauen, dann wird hier von zwei bis vier Prozent Erkrankten ausgegangen. Dies ist von der Deutschen Lungenstiftung im Weißbuch Lunge schon auf acht Prozent hochgerechnet worden. Aber wir haben feststellen müssen, dass wir die Erkrankung deutlich unterschätzt haben, und das insgesamt doch ein wesentlich höherer Prozentsatz der über 40-Jährigen aktuell erkrankt ist."

    Hochgerechnet auf Deutschland sind rund fünf Millionen Menschen erkrankt. Wobei jeder Zweite in der Studie überhaupt nichts davon wusste, denn die Erkrankung beginnt schleichend. Je höher der Zigarettenkonsum, desto höher ist der Anteil der COPD-Betroffenen. Das heißt: Inhalatives Rauchen gilt eindeutig als Risikofaktor Nummer eins. Wobei, und das ist das Tückische daran, Latenzzeiten von 20 bis 30 Jahren erkennbar werden. Selbst mehrere Jahrzehnte nachdem das Rauchen aufgegeben wurde, können die für eine Raucherlunge typischen Zeichen wie Atemnot und lebensbedrohlicher Abbau der Lungenfunktion entstehen. Als vordringliche gesundheitspolitische Konsequenz legt Welte den Aufbau eines Früherkennungssystems nahe:

    "Wir brauchen Screening-Untersuchungen im niedergelassenen, allgemeinärztlichen Bereich, wir brauchen aber auch eine Verbesserung der Geräteentwicklung, um beispielsweise Screening in Apotheken oder in anderen Bereichen des öffentlichen Gesundheitswesens durchführen zu können."

    Wichtigste Forderung: Verpflichtende Lungenfunktionstests für über 40-jährige. Im internationalen Vergleich liegt Deutschland zusammen mit Island am hinteren, also guten Ende des Rankings. Die höchsten Erkrankungszahlen werden aus den USA, der Türkei und Österreich gemeldet. Obwohl hauptsächlich die aktiven und ehemaligen Raucher von COPD betroffen sind, löst die Studie eine ganze Reihe von Fragen aus: Warum entwickelt nur 20 Prozent der Raucher eine Lungenerkrankung, 80 Prozent dagegen bleiben unversehrt? Und warum haben 25 Prozent der COPD-Patienten nie eine Zigarette geraucht? Professor Jens Hohlfeld – Leiter der Abteilung Klinische Atemwegsforschung des Fraunhofer Instituts für Toxikologie und Experimentelle Medizin – kurz ITEM:

    "Das weckt Forschergeist. Es gibt natürlich zum Beispiel am Arbeitsplatz Stäube, die verantwortlich sein können. Es gibt die Feinstaubdiskussion, die Sie kennen. Wir wissen, dass auch wenn in den letzten Jahren die Feinstaubbelastung, wenn man es massenmäßig bestimmt, zurückgegangen ist, dass sich die Komposition der Feinstäube deutlich geändert hat. Und es gibt Überlegungen, dass das mitverantwortlich ist für einen ganz anderen Grad der Atemwegsentzündungen. Und an dieser Stelle gibt es sicherlich auch Ansätze, die Umweltbelastung in Hinblick auf die COPD weiter zu untersuchen."

    Möglicherweise, so der Wissenschaftler, bleiben die meisten Raucher vor COPD verschont, weil sie bestimmte Erbanlagen aufweisen, von denen die Atemforscher noch keine Kenntnis haben. Hohlfeld spricht von "Rauchergenen", die es zu erforschen gilt. Sorge bereitet den Wissenschaftlern das seit Jahren sinkende Alter der Erstraucher. Schon Zehnjährige greifen heute zur Zigarette. Und es sind die Mädchen, die zunehmend Spaß am Rauchen haben. In der Gruppe der Teens rauchen mittlerweile doppelt so viele Mädchen wie Jungen.