Donnerstag, 09. Mai 2024

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Latein für alle? Über die Renaissance einer toten Sprache

Lückert: Latein und Griechisch - die Grundfeiler des altsprachlichen, klassischen Gymnasiums, aber auch die Basis einer europäischen Allgemeinbildung - spielen im modernen Europa fast keine Rolle mehr - möchte man glauben, höchstens vielleicht noch in den wenigen altsprachlichen Gymnasien, die es noch gibt, an den Universitäten. Auf jeden Fall sind diese alten Sprachen eine Sache für Spezialisten geworden. Nun ist auch das zuweilen aufkommende Wehklagen um diesen potenziellen Verlust keine Neuigkeit, und auch das Projekt eines emeritierten Kirchengeschichtlers aus Augsburg betrachtet man mit fast mitleidig mit modernen Augen. Walter Brandmüller gründete nämlich das Projekt "Ad fontes" - eine Europäische Initiative zur Förderung der alten Sprachen. Aber in Zeiten in denen sich Europa als Währungs- und Handelsgemeinschaft formiert- fragen wir natürlich auch nach den geistigen Grundlagen, die eine solche Union hat, und deshalb die Frage an Reinhard Bode vom Bundesvorstand des deutschen Altphilologenverbands: Müssen Latein und Griechisch für die Bildung einer europäischen Identität neu entdeckt werden?

Moderation: Katja Lückert | 06.02.2004
    Bode: Ja, ob sie neu entdeckt werden müssen, das wäre zu fragen, wenn man nachschaut, wie viele Schüler in Wirklichkeit in Deutschland Latein lernen. Mit Griechisch sieht das natürlich nicht ganz so gut aus, aber in Latein sind das in manchen Bundesländern noch 20 Prozent der Schüler. Da muss man, glaube ich, nicht so viel entdecken. Dennoch wird da etwas neu entdeckt, denn die Sprache wird wieder zunehmend attraktiv. Ja, und ich glaube auch diejenigen, die sich mit der Bildungspolitik beschäftigen, die hätten da vor allem was zu entdecken. Latein ist ja diejenige Wurzel, aus der die europäischen Nationalkulturen hervor wachsen. Wenn wir vielleicht einmal einen Blick nach Amerika wagen und sehen, dass im Vergleich zu Nordamerika Europa ein Kontinent der Vielsprachigkeit ist, dann verstehen sich diese Nationalkulturen dennoch, weil sie sich auf die gleiche Wurzel, nämlich auf die klassische Antike zurückführen lassen. Alle diese Nationalkulturen sind in der Auseinandersetzung mit der klassischen Antike hervorgegangen, und eine kulturelle Identität Europas hängt in der Tat daran. Vielleicht darf ich einen Aspekt noch anfügen, der auch im Vergleich mit Amerika sehr deutlich wird. Wenn Europa vielsprachig ist und wenn sich dennoch die einzelnen Nationalkulturen miteinander verständigen können, dann hat das mit einer Kulturtechnik zu tun, die wohl nirgendwo sonst so wichtig ist, wie in Europa - mit der des Übersetzens. Das Übersetzen, das heißt: das möglichst genaue und wortgetreue Übertragen einer sprachlichen Äußerung aus einer Sprache in eine andere, hat wahrscheinlich am Gymnasium nur noch so richtig seinen Mittelpunkt im Unterricht in den alten Sprachen in Latein und in Griechisch. Die neueren Fremdsprachen haben sich ja davon weitgehend verabschiedet, da der kommunikative Aspekt sehr viel wichtiger ist.

    Lückert: Wir reden da immer wieder über die gebildeten Schichten, denn wenn wir auf die Masse der Bevölkerung schauen, sind wir natürlich froh, wenn überhaupt Englisch und Französisch verstanden wird. Was will Ad fontes zum Beispiel und was kann ein solches Projekt leisten?

    Bode: Es kann vor allem leisten, dass in der Tat da, wo die Aufmerksamkeit für Griechisch und Latein zurückgegangen ist, wieder mehr zugehört wird. Dass Latein zunächst einmal nicht aus dem Bildungskanon heraus gedrängt wird, da es ja allerhand Begehrlichkeiten gibt, neuere Unterrichtsinhalte in den Schulunterricht zu integrieren und hier auch vielleicht mehr in der Öffentlichkeit zu wirken, damit der Lateinlehrer, der in seiner Schule für das Fach Latein nicht mehr so ganz alleine ist und sich in einem Rechtfertigungsdruck befindet, der der Sache einfach nicht angemessen ist, der auch den Tatsachen in Deutschland zumindest nicht angemessen ist. Da ist denke ich was zu leisten, wenn wir denn diese Öffentlichkeit leisten, die Ad fontes anstrebt.

    Lückert: In Weimar gab es in dieser Woche zum elften Mal den Wettbewerb mit dem Titel "Lebendige Antike". Haben Sie denn in den neuen Bundesländern vergleichsweise mehr Zuspruch?

    Bode: In kann in dem Fall wahrscheinlich nur für Thüringen als Beispiel sprechen. Was die Quote, also die Zahl der Schüler, die Latein wählen im Vergleich zur Gesamtschülerzahl des Landes, betrifft, da hat sich Thüringen auf Platz sieben im Bundesvergleich hochgearbeitet, hat also schon eine ganze Reihe alter Bundesländer zurückgelassen. Ob es in den neuen Bundesländern leichter ist, das wage ich eigentlich zu bezweifeln, weil wir noch immer einen ganz erheblichen Mangel an Fachlehrern haben.

    Lückert: Soll das heißen, es gibt keine Lateinlehrer?

    Bode: Es gibt bundesweit deutlich zu wenig Lateinlehrer. Man kann nur ermutigen, dieses Fach zu studieren.