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Lauern auf die Supernova

Astronomie. - Neutrinos sind geheimnisvolle Elementarteilchen: Myriaden rasen in jeder Sekunde völlig ungehindert durch die Erde - die meisten kommen von der Sonne, aber auch aus den Tiefen des Alls erreichen uns Neutrinos. Nur ganz wenige verfangen sich in den aufwendigen Detektoren. Neutrinos sind also im Wortsinne nahezu ''unfassbar'' - dennoch wollen Physiker und Astronomen mit Neutrinos den Kosmos beobachten und diskutieren darüber in dieser Woche in Venedig auf dem internationalen Workshop ''Neutrino-Teleskope''.

    Von Dirk Lorenzen

    Wenn ein sehr massereicher Stern als Supernova explodiert, leuchtet er für einige Tage heller als ganze Galaxien. Ein eindrucksvolles Spektakel - doch Neutrino-Physiker wie Petr Vogel vom California Institute of Technology in Pasadena und Teilnehmer des internationalen Workshops ''Neutrino-Teleskope'' können über den Lichtausbruch nur milde lächeln:

    Das Licht ist nur ein ganz kleiner Anteil der Gesamtenergie. Bei einer Supernova werden 99 Prozent der Energie in Form von Neutrinos frei! Zu einer Supernova kommt es, wenn einem Riesenstern der Brennstoff ausgeht. Dann stürzt zunächst der aus Eisen und Nickel bestehende Kern des Sterns in sich zusammen und bildet einen sehr dichten und sehr kleinen Neutronenstern. Der ist sehr heiß und muss viel Energie abstrahlen - dafür sind Neutrinos ganz entscheidend!

    Mit den Detektoren unter anderem in Japan, Kanada und Italien liegen die Physiker weltweit auf der Lauer - und harren der Neutrinos, die da von Supernovae kommen.

    Wir hoffen, mit dem Neutrino-Signal, das nur etwa zehn Sekunden andauern wird, etwas darüber zu lernen, wie Supernovae ablaufen, wie die Bedingungen im Innern des kollabierenden Sternes sind und wie die Supernova dann abklingt. Die meisten mathematischen Modelle schaffen es nicht, den Stern explodieren zu lassen. Wir rätseln noch, ob nur die mathematische Beschreibung ungenau ist oder ob wir bisher einen wichtigen physikalischen Prozess übersehen haben.

    Der Neutrino-Schwall einer Supernova huscht gerade mal für ein paar Sekunden durch die Messgeräte. Die Forscher hoffen, jede Supernova mitzubekommen, die irgendwo in unserer Milchstraße explodiert. Supernovae aus fernen Galaxien sind mit Neutrinos nicht nachzuweisen - dazu sind die Detektoren zu unempfindlich. Dass Neutrinos bei Supernovae tatsächlich eine überragende Rolle spielen, ist nicht mehr bloße Theorie, sondern experimentell belegt: Von der berühmten Supernova 1987A in einer Begleitgalaxie unserer Milchstraße wurde immerhin ein gutes Dutzend Neutrinos nachgewiesen. Heute sind die Detektoren viel besser - die Physiker rechnen bei einer Supernova mit einigen tausend registrierten Neutrinos.

    Das Neutrino-Signal wird vermutlich vor dem Lichtblitz die Erde erreichen. Das Licht einer Supernova kommt nicht aus dem Zentrum, sondern aus der Hülle des Sterns. Das Licht ist daher einige Stunden verzögert. Künftig könnte man sogar die optischen Astronomen vorwarnen.

    Supernova-Neutrinos haben zwei entscheidende Vorteile gegenüber dem Licht: Nur sie kommen wirklich vom Zentrum des Geschehens und bergen damit einzigartige Informationen über die Explosion. Zum anderen: Ereignet sich eine Supernova hinter dichten Staubwolken, ist sie von der Erde aus nicht zu sehen - aber die Neutrinos erreichen trotzdem die Detektoren. Denn Staub stoppt Licht, nicht aber Neutrinos. Die nächste Supernova findet wohl "mit Ansagen" statt - ohnehin wäre mal wieder eine Sternexplosion fällig, meint Petr Vogel.

    Es kann morgen passieren, aber auch erst in 30 Jahren. Niemand kann das vorhersagen. Vermutlich gibt es etwa alle 30 bis 50 Jahre eine Supernova irgendwo in unserer Milchstraße. Wir sind uns ziemlich sicher, dass es in den letzten 20 Jahren keine gegeben hat. Das hätten die Neutrino-Detektoren bemerken müssen. Wir alle hoffen jetzt, dass es schnell genug passiert, dass wir es noch mitbekommen.