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Laues Lüftchen vom trägen Stern

Astronomie. - Astronomen blicken oft Millionen Lichtjahre weit hinaus in den Kosmos. Doch auch unsere eigene Sonne birgt noch viele Geheimnisse. Jetzt staunen die Forscher darüber, dass die Sonne sich seit geraumer Zeit extrem ruhig verhält.

Von Dirk Lorenzen |
    Der Sonnenwind bläst so schwach wie nie, seit die Messungen im Weltraum vor 50 Jahren begonnen haben. Richard Marsden, Projektleiter der Sonnensonde Ulysses der Europäischen Raumfahrtagentur Esa, staunt über die Daten, die Ulysses noch kurz vor dem Missionsende zur Erde funkt. Denn an sich sollte die Sonne längst aus dem Minimum ihrer Aktivität erwacht sein. Tatsächlich aber schwächelt der Sonnenwind – ein Strom geladener Teilchen, der mit einigen 100 Kilometern pro Sekunde von der Sonne weg durch den Weltraum rast.

    "Der Druck des Sonnenwinds hat langsam immer weiter abgenommen. Er ist nur noch etwa drei Viertel so stark wie üblich. Die Teilchen des Sonnenwinds werden erst weit jenseits der Planeten vom lose verteilten Gas in der Milchstraße abgebremst. Der Sonnenwind pustet eine große Blase in den Weltraum um uns herum. Wir leben noch weit innerhalb dieser Blase, die die Sonne umgibt. Wenn jetzt der Sonnenwind etwas schwächer bläst, dann wird diese Blase etwas kleiner."

    Für die Erde hat das laue Sonnenlüftchen eher positive Auswirkungen. Denn starker Sonnenwind kann Satelliten in der Umlaufbahn beschädigen, Menschen an Bord von Flugzeugen nahe der Pole erhöhter Strahlung aussetzen und als Folge intensiver Polarlichter sogar zu Stromausfällen führen. Aufgrund des schwächeren Sonnenwinds dringen jetzt allerdings vermehrt Teilchen der kosmischen Strahlung ins Innere des Planetensystems vor. Das sind Teilchen, die nicht von der Sonne, sondern aus den Tiefen des Kosmos kommen. Aber das Erdmagnetfeld schützt uns weiterhin vor diesen sehr energiereichen Teilchen. Allenfalls Astronauten auf einem Flug zum Mars wären derzeit einem etwas höheren Strahlenrisiko ausgesetzt. Richard Marsden und seine Kollegen rätseln, warum die Sonne momentan so träge ist.

    "Das Magnetfeld der Sonne ist derzeit ebenfalls deutlich schwächer als üblich, etwa um 20 Prozent. Da gibt es sicher einen Zusammenhang mit dem Sonnenwind. Auch wenn wir den Sonnenwind und das Magnetfeld noch nie so schwach gesehen haben, muss man immer bedenken, dass wir erst seit 50 Jahren gute Daten haben. Vielleicht gehört all dies zu den ganz normalen Schwankungen der Sonnenaktivität, die es nach den Modellen über Hunderte von Jahren geben soll. Mit dem Begriff "so niedrig wie noch nie" müssen wir bei der Sonne sehr vorsichtig sein."

    Was sind schon 50 Jahre Messdaten bei einem Stern, der seit viereinhalb Milliarden Jahren existiert. Die aktuelle Verwirrung um die Sonne zeigt aber, dass der Stern vor unserer Haustür für die Astronomen in vielem noch immer ein großes Rätsel ist. Der etwa elfjährige Zyklus mit viel und wenig Sonnenflecken, entsprechend mit hoher und niedriger Aktivität, ist gut bekannt – so dachte man. Aber nun dauert das aktuelle Minimum schon deutlich länger als erwartet.

    "Da geht etwas Merkwürdiges oder zumindest Ungewöhnliches im Magnetfeld vor. Bisher war das Sonnenmagnetfeld im Minimum der Aktivität immer sehr simpel aufgebaut: Wie ein ganz normaler Stabmagnet, der genau in der Rotationsachse der Sonne steht. Wir sehen jetzt aber, dass das Magnetfeld trotz des so langen Sonnenminimums immer noch nicht symmetrisch zur Rotationsachse ist, sondern etwas schief steht."

    Wie genau das Magnetfeld im Innern der brodelnden Sonne entsteht, warum es mal schwächer und mal stärker ist, verstehen die Forscher bis heute nicht. Jetzt gibt es erste Zeichen, dass die Sonne aus dem "Winterschlaf" wieder erwacht. Vor einiger Zeit zeigte sich der erste Fleck einer neu beginnenden Aktivitätsphase.

    Aber ein Sonnenfleck mache noch keinen Sonnenzyklus, mahnt Richard Marsden. So warten er und seine Kollegen gespannt, welche Überraschungen der Stern von nebenan noch so bereit hält.