Für Crystal geht es, wie Tausenden anderer, um die Existenz. Die einst erfolgreiche Autoverkäuferin ist dabei, im Zuge der Wirtschaftskrise und der Spekulationsblase alles zu verlieren: Wohnung, Tochter, Job - und ihre Würde. Freilich, von Würde ist schon lange nicht mehr die Rede. Auf der Suche nach einer zumindest vorübergehenden Bleibe kapert sie sich, wie viele Amerikaner, denen die Wohnung gepfändet wurde, ein leerstehendes Haus und nistet sich dort ein. So stöckelt sie, immer noch im Outfit der ehemaligen Verkäuferin des Jahres, in und durch die Welt des Asozialen. Die illegale Hausbesetzerin will vor der Fürsorgerin die bürgerliche Hausbesitzerin spielen. Mit dem einen Ziel: das Sorgerecht für ihre Tochter Betty wieder zugesprochen zu bekommen.
Crystals Spagat zwischen sozialem Abschuss und einem erhofften Verkaufsabschluss wird zum Hochseilakt ohne doppelten Boden. Doch zugleich öffnen sich plötzlich jede Menge "doppelter Böden": Im Haus, wenn der dubiose Erstbewohner Gary buchstäblich aus dem Boden kriecht und sie zugleich observiert, malträtiert und zwischendurch doch mit ihr kollaboriert. Im Job, wenn König Kunde, der etwas schmierige Motivations-Guru Charlie, sie an der Leine des Verkaufs-Abschluss-Versprechens ins Bett zieht und sie zwar sich verkauft, aber noch lange kein Auto.
Schließlich, wenn sie's mit dessen Gattin zu tun bekommt. Hier wird die recht anspruchslose, etwas krude und an jede Menge Privat-Sender-taugliche Soaps erinnernde Story wirklich etwas doppelbödig: Die mal schüchterne, mal keifende, zuweilen übermotiviert professionell Girly-like quietschende Crystal entfaltet bei dieser Konfrontation eine ungeahnte Raffinesse und macht einen Deal daraus: geschickt frisiert sie den belanglosen one-night-stand zur großen Liebe um und droht die Ehe zu zerstören - oder für die Summe von 10.000 sang- und klanglos noch heute von der Bildfläche zu verschwinden. Notwehr einer verzweifelten Mutter - oder raffiniertes Kalkül? Nicht zu vergessen: Bei all dem geht es immer um Betty, Crystals fünfjährige Tochter. Und jeder Regisseur muss entscheiden, ob Betty nur ein Vorwand ist und dafür herhalten muss, dass Crystal nicht den Boden unter den Füßen verliert, oder ob sie wirklich im emotionalen Zentrum des Stückes steht.
Der Regisseur Robert Teufel muss sich wohl für die erste Variante entschieden haben. Sonst wäre es kaum zu erklären, dass selbst Crystal nur eindimensional, aus Posen zusammengesetzt gezeichnet ist. Nie ist in dieser Inszenierung die verletzte Frau, die durch bürokratische Willkür von ihrem Kind getrennte Mutter hinter den Maskierungen auch nur zu ahnen. Das mag beabsichtigt sein, hat aber einen hohen Preis: Man interessiert sich schlicht nicht für diese Figur. Ganz zu schweigen von dem ebenfalls eindimensionalen, unauratischen Möchtegern-Guru, der sich in Mannheim statt seine Schönredereien, wie im Text vorgesehen, vorm Spiegel zu üben, mit seinen Umdenk-Floskeln ans Publikum wendet. Unscharf bleiben auch die Gefühlslagen des abgerissenen Aussteiger-Typs und Mit-Hausbesetzers. Wenn er ausrastet, wird einfach Randale draus, von dröhnendem Sound begleitet.
Erst recht müssen die Autohaus-Chefin und die Fürsorgerin wie Automaten agieren. Das hat für wenige Momente gewiss komische Züge. Etwa wenn die auf knallharte Skepsis getrimmte Fürsorgerin blicklos über zerstörtes Mobiliar einschließlich des als störend empfundenen und brutal mit einem Kantholz niedergestreckten Gary schreitet und endlich zufriedengestellt zu sein scheint. Doch das bleiben leider Einzelbilder in einer eher unentschiedenen Regie, die sehr angestrengt um Unterhaltsamkeit bemüht ist. Was der Aufführung an Doppelbödigkeit und Subtext fehlt, wird mit kübelweise roter Farbe zugekleistert. Das meiste davon bekommt Crystal über den Kopf geschüttelt.