Asli Erdogan: "I had been in a meeting with 800 intellectuals and writers. President of Germany was the host."
Angefangen hatte alles mit ihrer Einladung auf Schloss Bellevue. Unter 800 Ehrengästen aus dem Ausland war Asli Erdogan, die unlängst zu einer der 50 wichtigsten Autoren der Zukunft gekürt worden war. Die Zukunft der Moderne sollte besprochen werden. Nach Empfang und Podiumsdiskussion wünschte ihr der Bundespräsident in Berlin viel Glück, und weil Horst Köhler ein sensibler Beobachter ist und Asli Erdogan ihm von ihrem Wirbelproblem erzählte, "Alles Gute zur Genesung ihres Nackens auch." Begeistert berichtete die junge Autorin von diesem herzlichen Empfang per SMS und fand zurückgekehrt in Istanbul ihre persönliche SMS als anzügliche Schlagzeile in der türkischen Boulevardblatt Hürriyet zurechtgedreht zitiert.
"Why did president of Germany hug in the neck?"
"Warum umhalst der deutsche Bundespräsident Asli Erdogan?" Dürfen die das, war ihre erste fassungslose Frage, woher hat Hürriyet den Text der SMS?
Szenenwechsel. Trabzon in der Schwarzmeerprovinz. Als Nebenkläger vertritt der Menschenrechtler und Kolumnist des englischen Today’s Smaan Orhan Kemal Dschengis im Prozess um die Christenmorde von Malatya den ermordeten Deutschen Tilmann G. In der Kanzlei bespricht er seine Prozessstrategie. Wenige Tage später kann der Rechtsanwalt die Details seiner Beweisanträge in der Zeitung nachlesen. Als er Anzeige gegen die Betreiber der augenscheinlich in seiner Kanzlei installierten Wanzen erstatten will, lacht der Staatsanwalt ihn aus. "Hier wird doch jeder abgehört.”
"Abgehört wird sogar der Ministerpräsident, das hat er selbst gesagt."
Der Sprecher des griechisch-orthodoxen Patriarchen von Istanbul, Pater Dositheos, wiegelt ab, nach der Zypern-Krise hat er schon schlimmere Zeiten erlebt.
"Die Minderheiten in der Türkei haben nicht jetzt, ich spreche nicht von jetzt. Jetzt sind liberale Zeiten. In der Vergangenheit, in den 60er-, 70er-Jahren, haben immer mit dieser Angst gelebt. Deswegen konnten sie damals als Minderheitsmitglied, Armenier oder Grieche, vielleicht sogar als Jude und so weiter immer mit einer gedämpften Stimme im Bus oder im Schiff sprechen, damit sie das Gefühl haben, niemand kann verstehen, was sie sagen. Das Gefühl, beobachtet oder abgehört oder kontrolliert zu werden, existierte in den Minderheiten in der Vergangenheit."
Es ist ein harter Kampf um die Macht, der im verborgenen tobt sagt Mario Levi. Er fühlt sich in einer Orwellschen Situation.
"Die Leute werde immer paranoischer. Dieses Gefühl führt dazu, dass die Selbstzensur zu nimmt. Wir leben in einer paradoxen Situation, in wir unsere Sicherheit als extrem gefährdet erleben. Wenn ich unsere Gegenwart mit der Repression vergangener Jahrzehnte vergleiche, so befinden wir uns heute in einer paradoxen Situation. Derzeit gestalte ich in dem staatlichen Radiosender DRT, dort kann ich Dinge sagen, die mich in den 70ern völlig unmöglich gewesen wären. Damals ein Gedicht von Nazim Hikmet im Rundfunk zu verlesen, hätte mich schnurstracks ins Gefängnis gebracht. Auf der anderen Seite der Paradoxie ist zu beobachten, wie der Ultranationalismus an Macht gewinnt. Es sind dies keine Rechtsradikalen Nationalisten, es ist ein Ultranationalismus von links."
In diesem Kontext werden die Schlapphüte aller Fraktionen aktiviert. Die Regierung Erdogan arbeitet an einer Vorlage, die das Abhorchen einschränken wird, horcht aber selbst im Vorfeld des Jahrhundertverfahrens Egenekon, das die AKP von Tayib Erdogan gegen das Netzwerk von Putschisten und ultranationalistischen Verschwörern anstrengen will, ihre Gegner ab, also das Militär und die Opposition, zugleich belauscht der Militärgeheimdienst Regierungsfunktionäre und beispielsweise den Obersten Staatsanwalt von Istanbul. Die Netzwerker vom Tiefen Staat bespitzeln die Intima aller ihrer Feinde und der Geheimdienst der Gendarmerie hat Richter am Obersten Berufungsgericht in Ankara verwanzt. Wer also welchen Lauschangriff angeordnet hat, weiß derzeit keiner ganz genau. Und Asli Erdogan, die Hürriyet mit dem verdrehten Text ihrer privaten SMS kompromittiert worden ist. Sie klagt über die Verwahrlosung der Sitten am Bosporus:
"Vor fünf Jahren wäre kein Journalist auf die Idee gekommen, eine private SMS ins Blatt zu heben. Es ist eindeutig gegen jede Ethik. Doch heute, da jeder hierzulande abgehört wird, kümmern solche Dinge keinen mehr. Seit der Staat begonnen hat, seine Bürger zu bespitzeln, Telefone abzuhorchen, alle SMS – so heißt es – werden aufgezeichnet, sind wir zu einer Gesellschaft unter permanenter Überwachung mutiert."
Angefangen hatte alles mit ihrer Einladung auf Schloss Bellevue. Unter 800 Ehrengästen aus dem Ausland war Asli Erdogan, die unlängst zu einer der 50 wichtigsten Autoren der Zukunft gekürt worden war. Die Zukunft der Moderne sollte besprochen werden. Nach Empfang und Podiumsdiskussion wünschte ihr der Bundespräsident in Berlin viel Glück, und weil Horst Köhler ein sensibler Beobachter ist und Asli Erdogan ihm von ihrem Wirbelproblem erzählte, "Alles Gute zur Genesung ihres Nackens auch." Begeistert berichtete die junge Autorin von diesem herzlichen Empfang per SMS und fand zurückgekehrt in Istanbul ihre persönliche SMS als anzügliche Schlagzeile in der türkischen Boulevardblatt Hürriyet zurechtgedreht zitiert.
"Why did president of Germany hug in the neck?"
"Warum umhalst der deutsche Bundespräsident Asli Erdogan?" Dürfen die das, war ihre erste fassungslose Frage, woher hat Hürriyet den Text der SMS?
Szenenwechsel. Trabzon in der Schwarzmeerprovinz. Als Nebenkläger vertritt der Menschenrechtler und Kolumnist des englischen Today’s Smaan Orhan Kemal Dschengis im Prozess um die Christenmorde von Malatya den ermordeten Deutschen Tilmann G. In der Kanzlei bespricht er seine Prozessstrategie. Wenige Tage später kann der Rechtsanwalt die Details seiner Beweisanträge in der Zeitung nachlesen. Als er Anzeige gegen die Betreiber der augenscheinlich in seiner Kanzlei installierten Wanzen erstatten will, lacht der Staatsanwalt ihn aus. "Hier wird doch jeder abgehört.”
"Abgehört wird sogar der Ministerpräsident, das hat er selbst gesagt."
Der Sprecher des griechisch-orthodoxen Patriarchen von Istanbul, Pater Dositheos, wiegelt ab, nach der Zypern-Krise hat er schon schlimmere Zeiten erlebt.
"Die Minderheiten in der Türkei haben nicht jetzt, ich spreche nicht von jetzt. Jetzt sind liberale Zeiten. In der Vergangenheit, in den 60er-, 70er-Jahren, haben immer mit dieser Angst gelebt. Deswegen konnten sie damals als Minderheitsmitglied, Armenier oder Grieche, vielleicht sogar als Jude und so weiter immer mit einer gedämpften Stimme im Bus oder im Schiff sprechen, damit sie das Gefühl haben, niemand kann verstehen, was sie sagen. Das Gefühl, beobachtet oder abgehört oder kontrolliert zu werden, existierte in den Minderheiten in der Vergangenheit."
Es ist ein harter Kampf um die Macht, der im verborgenen tobt sagt Mario Levi. Er fühlt sich in einer Orwellschen Situation.
"Die Leute werde immer paranoischer. Dieses Gefühl führt dazu, dass die Selbstzensur zu nimmt. Wir leben in einer paradoxen Situation, in wir unsere Sicherheit als extrem gefährdet erleben. Wenn ich unsere Gegenwart mit der Repression vergangener Jahrzehnte vergleiche, so befinden wir uns heute in einer paradoxen Situation. Derzeit gestalte ich in dem staatlichen Radiosender DRT, dort kann ich Dinge sagen, die mich in den 70ern völlig unmöglich gewesen wären. Damals ein Gedicht von Nazim Hikmet im Rundfunk zu verlesen, hätte mich schnurstracks ins Gefängnis gebracht. Auf der anderen Seite der Paradoxie ist zu beobachten, wie der Ultranationalismus an Macht gewinnt. Es sind dies keine Rechtsradikalen Nationalisten, es ist ein Ultranationalismus von links."
In diesem Kontext werden die Schlapphüte aller Fraktionen aktiviert. Die Regierung Erdogan arbeitet an einer Vorlage, die das Abhorchen einschränken wird, horcht aber selbst im Vorfeld des Jahrhundertverfahrens Egenekon, das die AKP von Tayib Erdogan gegen das Netzwerk von Putschisten und ultranationalistischen Verschwörern anstrengen will, ihre Gegner ab, also das Militär und die Opposition, zugleich belauscht der Militärgeheimdienst Regierungsfunktionäre und beispielsweise den Obersten Staatsanwalt von Istanbul. Die Netzwerker vom Tiefen Staat bespitzeln die Intima aller ihrer Feinde und der Geheimdienst der Gendarmerie hat Richter am Obersten Berufungsgericht in Ankara verwanzt. Wer also welchen Lauschangriff angeordnet hat, weiß derzeit keiner ganz genau. Und Asli Erdogan, die Hürriyet mit dem verdrehten Text ihrer privaten SMS kompromittiert worden ist. Sie klagt über die Verwahrlosung der Sitten am Bosporus:
"Vor fünf Jahren wäre kein Journalist auf die Idee gekommen, eine private SMS ins Blatt zu heben. Es ist eindeutig gegen jede Ethik. Doch heute, da jeder hierzulande abgehört wird, kümmern solche Dinge keinen mehr. Seit der Staat begonnen hat, seine Bürger zu bespitzeln, Telefone abzuhorchen, alle SMS – so heißt es – werden aufgezeichnet, sind wir zu einer Gesellschaft unter permanenter Überwachung mutiert."