Archiv


Lauschangriff auf Wirbelstürme

Meteorologie. - Wirbelstürme zählen zu den verheerendsten Naturkatastrophen überhaupt. 1970 starben in Bangladesh 500.000 Menschen durch einen Sturm, 1992 richtete Hurrikan Andrew in Florida Schäden in Höhe von 25 Milliarden Dollar an. Die Katastrophe lässt sich mildern, wenn das betroffene Gebiet rechtzeitig evakuiert wird. Dazu aber muss man möglichst genau wissen, wie stark der anrückende Wirbelsturm ist. US-Forscher arbeiten an einer neuen Methode, um die Windstärke von Stürmen aus sicherer Entfernung zu messen - und zwar vom Meeresgrund aus.

    Von Frank Grotelüschen Es gibt Methoden, wie man die Zerstörungskraft eines Hurrikans messen kann. Aber sie sind ziemlich teuer - Spezialflugzeuge, die direkt in den Sturm hineinfliegen und die Windgeschwindigkeit erfassen. So etwas können sich Entwicklungsländer nicht leisten. Wir entwickeln eine Methode, mit der sich die Stärke eines Wirbelsturms billiger und außerdem sehr genau messen lässt.

    Von unerwarteter Stelle aus möchte Nick Makris dem Hurrikan ins Auge blicken: Er will Unterwassermikrofone am Meeresgrund verankern und mit ihnen einen Lauschangriff auf Wirbelstürme starten. Die Hydrophone sollen die Geschwindigkeit messen, mit der ein Sturm übers Wasser fegt. Möglich macht's eine besondere Eigenschaft des Wassers, erklärt Makris. Er arbeitet in Boston, am renommierten MIT.

    Im Wasser pflanzen sich Schallwellen sehr gut fort, im Extremfall von einem Ende des Ozeans bis zum anderen. Das lässt sich zum Beispiel bei den Walen beobachten: Walgesänge vor Neufundland oder Grönland werden noch von Sensoren in Bermuda registriert.

    Auch Wirbelstürme machen unter Wasser Lärm, und zwar wenn sie über die Meeresoberfläche fegen und die Wogen aufrühren wie ein Quirl. Allerdings - und das macht die Sache kompliziert - sind Hurrikans längst nicht die einzigen Krachmacher im Ozean.

    Der Ozean ist ein lauter Ort, so Makris. Man hört Geräusche in sämtlichen Tonhöhen. Der unterste Frequenzbereich, so bis 200 Hertz, wird von Schiffsgeräuschen dominiert. Alle Schiffe im Umkreis von Hunderten von Kilometern tragen zu einem diffusen Grummeln bei. Der Bereich bis 1000 Hertz ist von natürlichen Klangquellen beherrscht, vom Wind und von den Wellen. Und noch höhere Frequenzen kommen vom Regen, der aufs Meer fällt.

    Wie nun wollen die Forscher den Sound des Sturms von den vielen anderen Unterwassergeräuschen unterscheiden?

    Ein Hurrikan ist lauter als alle anderen Quellen, lauter noch als ein vorbeifahrender Öltanker, sagt Makris. Außerdem hebt er alle Frequenzen gleichmäßig an, man kann ihn also an seinem Frequenzspektrum erkennen. Das wichtigste aber ist, dass wir mit den Hydrophonen auch Richtungsmessungen machen können. Damit können wir den Sturm von einem Schiff unterscheiden: Das Schiffsgeräusch nämlich bewegt sich anders als ein Sturm entlang einer deutlichen Spur.

    Mehrere Hydrophone, verteilt über den Meeresgrund, erlauben eine Ortspeilung, ähnlich wie mehrere Funksender eine Funkpeilung ermöglichen. Mit einem regelrechten Netz also an Unterwasser-Mikrofonen wollen die Forscher die Zugrichtung des Sturms verfolgen und seine Geschwindigkeit messen - und zwar aus einer Entfernung von bis zu 600 Kilometern. Noch aber steckt das System in der Erprobung.

    Unsere ersten Messungen finden im Golf von Mexiko statt, sagt Makris. Dort montieren wir unsere Hydrophone an die Pontons von Ölplattformen. Der Golf ist als eine stürmische Gegend bekannt. Wir brauchen also nur zu warten, bis der nächste Hurrikan an einer der Plattformen vorbeikommt.

    Grundsätzlich gilt: Je lauter der Unterwasserkrach, desto stärker der Sturm. Doch wie der genaue mathematische Zusammenhang zwischen Lautstärke und Windgeschwindigkeit aussieht, das wissen die Fachleute noch nicht. Bislang gibt's nur Messdaten von Stürmen mit Geschwindigkeiten bis zu 70 Kilometern pro Stunde. Ein ausgewachsener Hurrikan aber erreicht 200 Stundenkilometer. Im Laufe eines Jahres, so hofft Makris, könnte er die fehlenden Daten gesammelt haben. Und wenn das klappt, könnten die stürmischen Unterwasserlauscher aus Boston in zwei bis drei Jahren einsatzbereit sein.