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Laut, schmutzig und ein bisschen gefährlich

Vor 25 Jahren ins Leben gerufen, zählt das South-By-Southwest-Festival in Austin heute zu einer der wichtigsten Musikveranstaltungen der USA. Schon seit einiger Zeit aber dreht sich dort nicht mehr alles um Musik. Die Veranstaltung erobert neue Themen.

Von Martin Böttcher | 13.03.2012
    Auf Austins 6th Street ist die Welt wieder in Ordnung: Hier, wo sich Kneipe an Kneipe reiht, dröhnt wieder Musik aus den Bars, tauchen wie aus dem Nichts die angetrunkenen, tätowierten, vergnügungssüchtigen Massen auf, ist das "South-By-Southwest"-Festival all das, was es die letzten fünf Tage nicht war: Laut und schmutzig und ein bisschen gefährlich. Endlich!, scheinen die Barbesitzer und Rausschmeißer zu seufzen – die Woche davor nämlich bevölkerte eine ganz andere Klientel die Stadt: Auch die ein bisschen aufgeregt, aber seriöser, ruhiger und fast jeder mit einem Tablet-Computer in der Hand – so wie Philipp Eibach aus Berlin:

    "Musik ist digital geworden, seitdem ist Musik nicht mehr knapp. Es braucht neue Modelle, damit umzugehen und die sind natürlich nur im Internet zu sehen, in dem, was man daraus macht. Aus dem Service, den man kreiert. Es geht nicht mehr so sehr um den Inhalt selbst, sondern um das Paket, wie man den Inhalt anbietet, wie man es mit den heutigen Möglichkeiten machbar macht, den Inhalt zu erleben."

    Philipp Eibach ist Chef – CEO! – und Gründer von "WahWah.FM". Der Name sagt es schon: Eine Art Radio. Auf dem iPhone. Eine App, die es anderen erlaubt, die Musik zu hören, die ich auch höre. Gleichzeitig, egal ob sie neben mir laufen oder auf einem anderen Kontinent leben. Auf die Idee kam Philipp Eibach in der U-Bahn, als er sich fragte, was wohl die neben ihm Sitzenden gerade über ihren MP3-Player hörten. Jetzt ist er in Austin und sucht möglichst bekannte Bands, die über "WahWah.FM" auf eine neue Art Kontakt zu ihren Fans aufnehmen wollen.

    "South-By-Southwest Music" und "South-By-Southwest Interactive" heißen die beiden wichtigsten Teile des Festivals in Texas, das seit 25 Jahren existiert. Über 2000 Bands werden im Rahmen des "Music"-Parts an den folgenden sechs Tagen auftreten, auf der angeschlossenen Messe und den anberaumten Diskussionen treffen so ziemlich alle Vertreter der internationalen Musikindustrie aufeinander und machen Geschäfte. Einst nur als kleiner Ableger gestartet, ist das "Interactive" mittlerweile ebenfalls riesig.

    "Ich war vor zwei Jahren das erste Mal hier. Und da ist mir aufgefallen, dass die ganzen Interactive-Leute relativ autark agiert haben und dass die Musikleute irgendwann dann später kamen in der Woche und gar nicht wussten, dass da irgendwas anderes war und dann halt ihr Ding durchgezogen haben wie sie es immer gemacht haben: Sind zu den Konzerten gegangen, haben sich den Kopf vollgedröhnt und was weiß ich alles."

    Boris Loehe ist ein vielgefragter Mann in Austin. Aber nicht unbedingt bei der Musik-, sondern der TV-Branche! "Mufin" heißt seine Firma. Vereinfacht gesagt kann Mufin nicht nur wie der Musikerkennungsdienst Shazam die Titel von unbekannten Songs herausfinden, sondern mittlerweile auch Fernsehserien erkennen und uns mehr über sie sagen – beziehungsweise den Fernsehmachern mehr über uns, die Zuschauer, verraten. Ein sogenannter TV-Fingerprint. Was das mit Musik zu tun hat? Eigentlich nichts. Musik, so sagt Loehe, spielt im Interactive-Bereich nämlich gar keine große Rolle mehr:

    "Meiner Meinung nach liegt es bei den Musikinvolvierten zu sagen: Wir wollen da rein! Also die müssten sich mehr präsentieren und mal aufwachen! Denn die Welt dreht sich ja weiter! Musik ist halt für diese Leute im Interactive-Bereich im Zweifelsfall nur Content. Und ob sie nun was mit diesem Content machen oder jenem, das spielt keine Rolle."

    Daniel Mieves – ja, noch ein Mann – sieht das ganz anders. Er hält die SXSW mit ihrer Zweiteilung für das beste, was seiner Firma Aupeo passieren kann. Aupeo ist ein Internetradio, das einem dabei helfen soll, die Musik zu finden, die einem wirklich gefällt – weil die Songs nach bestimmten Kriterien wie Stimmung und Geschwindigkeit kategorisiert werden. Erste Aupeo-Radios sind seit kurzem bei BMW und Mini im Auto zu finden.

    "Weshalb wir auf dieser Messe sind, ist wirklich Inspiration, Sachen, die bei anderen wirklich sehr, sehr gut funktioniert haben. Was macht den Unterschied zwischen einer guten Idee und einem Produkt, das dem Nutzer einen echten Mehrwert bietet? Wo sind da die Dinge, die funktioniert haben und welche kann man sich anschauen?"

    Eine ganze Reihe von deutschen Firmen sowohl aus dem Musik- als auch aus dem Technology-Bereich sind in diesem Jahr in Austin vertreten. Beide Gruppen plagt die gleiche Sorge: Geld. Aber mit unterschiedlichen Vorzeichen: Die Musikindustrie verdient nicht mehr genug, viele der Start-Ups noch nicht genug. Schon allein deshalb werden sie sich auch nächstes Jahr wieder in Austin treffen, die Tablet-Träger und die Tätowierten.