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''Le Balcon''

Eine Amerikanerin in Paris: alias Bonaventura Braunstein als Irma - ein bisschen ‚la douce‘, ein bißchen Evita-Revival und etwas Spatz von Paris, wenn sie am Ende quirlig Kusshändchen werfend und tänzelnd die alten Kunden und neuen Machthaber in den Morgen entlassen hat - und vor allem sehr geschäftstüchtige, postrevolutionär zur Königin avancierte Chefin des stilvoll gestylten Luxus-Weltklasse-Puffs "Le Balcon". Das heftig umjubelte Finale eines Musicals - kaum glaublich ein Werk des in den Wonnen der Erniedrigung schwelgenden heiligen Monsters, des skandalumwitterten poête maudit, des Dicherprovokaterus Jean Genet. Ist es ja auch nicht.

Von Cornelie Ueding |
    In Peter Eötvös von Françoise Morvan getexteter, auf zehn Szenen komprimierter Genet-Adaption, dem im vergangenen Sommer von der Regie verspielten Auftragswerk für das Musikfestival 2002 in Aix-en-Provence, das jetzt in Freiburg, von Gerd Heinz inszeniert, wohl erstmals "richtig" über die Bühne ging - in Peter Eötvös Musik dominieren Parodie und Ironie. Von der archaisch-subversiven Kraft des Originals aus den 50iger Jahren ist kaum mehr etwas zu spüren. Sein kompositorisches Verfahren hat strukturelle Ähnlichkeiten mit den Rollenspielen von Genets Figuren. Die Partitur aus schrillen Salonorchesterfetzen, Weill-Fragmenten, Big-Band- und Opernreminiszenzen wirkt wie eine sich immer wieder selbst ins Wort, in die musikalische Sprache fallende, in immer neuen ironischen Brechungen funkelnde musikalische Entsprechung zu den Allmachts- und Erniedrigungsräuschen der Spießer, die sich in Irmas der Wirklichkeit entrücktem Spiegelkabinett der Sehnsüchte auf Zeit und gegen Geld zu Kardinal, Richter, General einkleiden und ihre Wunschidentitäten ausleben, während draußen die zu musikalischem Geschützdonner herabgestimmte Revolution tobt.

    Die ändert sowieso nichts: Das Spiel geht weiter. Während der - reale - Polizeipräsident sich zur Bestätigung seiner Macht und seiner in die Phantasie greifenden Bedeutung endlich auch als Bild inkarniert sieht, erleben die bisherigen Amt-und-Würden-Rollenspieler einen Schock. Die Revolution nämlich spült die Bordell-Patienten-Kunden aufs Politpodest. Das Volk realisiert die neue Täuschung nicht. Die Revolution ist zu Ende. Die Show geht weiter. Das Bordell als Welttheater - ein gutes Bild, das heute freilich niemanden mehr schockiert.

    Vor Jean Genet in Eötvös-Verkleidung braucht erst recht keiner mehr Angst zu haben - an die Stelle des chocs ist die freundliche Lust des Wiedererkennens getreten. Die Metapher lullt das kritische Denken so gekonnt ein, dass selbst das, was man üblicherweise gerne mit der Floskel von "überraschender Aktualität" eher begräbt als beschreibt, zum "amuse gueule "verkommt: Politiker, Doubles, eingebettete Journaille, der gleitende Übergang vom Zuhälter zum Landesfürsten, von der Puffmutter zur Präsidentengattin - wen könnten solche Erkenntnisse heutzutage noch ernsthaft überraschen, erschrecken. Alles nix als Theater!

    Das mögen sich auch Gerd Heinz und seine Bühnenbildnerin Stefanie Seitz gedacht haben, als sie dem gefällig veredelten Ge-nett-Stück ein aufs delikateste stilisiertes Äußeres gaben statt dem Werk einen doppelten Boden einzuziehen und das Ganze ins Ritualhaft-Mystische zu vergrößern oder es politisch-polemisch zu schärfen: Gerade die Glätte ist die Provokation, die schönen Bilder vom schönen Schein einer knatschbunten Kulissen- und Musik-Kulissen-Welt. Der Skandal der erfundenen Bilder! Sehr bewusst und sehr klug - man denke nur an das nicht darstellbare, nirgends abgebildete Grauen des Irak-Kriegs, an die Doubles, Nichtidentitäten in Bilderinszenierungen, die ganz gezielt ohne die wirklich entscheidenden Bilder auskommen - sehr bewusst bleiben auch auf der Freiburger Bühne Wirklichkeit und Wirklichkeitsbezüge ausgesperrt. Nichts als Kunst und Künstlichkeit. Auch das Polittheater. Die Figuren: Lebensspieler im Bewusstsein ihrer Nicht-Identität, lustvoll-ironische Kommentatoren ihrer eigenen Inszenierungen. Die inszenierte Glätte der neuen Harmlosigkeit erweist sich als scharfe Megasatire auf unseren Wirklicheitsschwund durch Abstumpfung, Übersättigung Bildüberflutung. Freilich: diese Wahrheit war dem bei jeder antiheroisch brummig-zerquetschten Trompete gucksenden Freiburger Publikum nicht nur zumutbar, sondern so hochwillkommen, dass sich eine neue Befürchtung einstellt - daß nämlich jegliche subtile kritische Giftbeimischung frohgemut und folgenlos geschluckt wird.

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