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Le Corbusier und der Duce

Der Schweizer Architekt Le Corbusier plante die gesamte Pariser Innenstadt abzureißen - und dafür 18 gigantische Hochhäuser für die strahlend neue Welt zu errichten. Er war Mitglied der "Syndikalistischen Aktion", die Kontakte zu Mussolini pflegte. Jetzt hat sich ein Kongress in Rom den heiklen Zusammenhängen von Le Corbusier und dem Mussolini-Faschismus gewidmet.

Von Thomas Migge | 17.12.2007
    "Wir müssen uns diesem Thema nähern, ohne in ideologische Rhetorik zu verfallen. Die Sache war ja in Wirklichkeit ganz anders, als man gemeinhin immer annahm. Corbusier war gar kein entschiedener Antifaschist wie andere Architekten und Künstler. Das muss klar gesagt werden. Ich finde es ausgezeichnet, das dieses Thema endlich diskutiert wird."

    Der römische Architekt Massimiliano Fuksas nahm mit großem Interesse an dem Kongress zum Thema "Italien und Le Corbusier" teil. Zum ersten Mal überhaupt wurden die Hintergründe einer Italienreise des bedeutenden Schweizer Baumeisters wie auch sein Verhältnis zum italienischen Staat in jenen Jahren thematisiert. Von besonderem Interesse waren während dieser Veranstaltung die Beziehungen Le Corbusiers zur Architektur des Faschismus. Massimiliano Fuksas:

    "Mussolini sah bereits den zukünftigen Autoverkehr in unseren Städten voraus. Aus seinem Bedürfnis heraus, einen neuen faschistischen Menschen zu schaffen, entschied er sich auch, Städte bauen zu lassen, nicht nur für den Verkehr der Zukunft, sondern auch für Menschen, die die Natur suchen. Das beste Beispiel für diese faschistische Idealstadt ist das römische Viertel EUR. Ein Thema, das noch nicht ausreichend reflektiert wurde."

    EUR sollte zur Weltausstellung 1942 eröffnet werden, wurde aber erst in den 50er Jahren fertiggstellt. Wie andere von Mussolini in Auftrag gegebene neue urbane Zentren, etwa die Kleinstadt Latina, fasziniert EUR noch heute mit seinen vielen Parks und Grünflächen, mit flachen Gebäuden und breiten Straßen. Ein Stadtteil, der noch heute von vielen Architekten als Ort idealen Wohnens gewürdigt wird.

    Le Corbusier beschäftigt sich während einer Italienreise 1934 mit den Prinzipien der faschistischen Architektur, die dem Schweizer alles andere als fremd waren, erklärt Marida Talamona, Organisatorin des Le-Corbusier-Kongresses:

    "Er hat sich nie profaschistisch geäußert und hatte auch keine Sympathien für den Duce. Doch Le Corbusier war fasziniert von den vom deutschen Bauhaus inspirierten Ideen der faschistische Architektur. Das Haus der Partei in Como beispielsweise ist die konsequente Umsetzung der Architekturideen des Bauhaus im Faschismus. In EUR wurden städtebauliche Prinzipien des modernen Bauens realisiert, so wie sie sich Le Corbusier erträumte. Er traf sich mit vielen Architekten des Regimes."

    Die Reise von Le Corbusier durch Italien ist in einem Tagebuch festgehalten, das in den letzten Jahren rekonstruiert und jetzt in Rom zum ersten Mal überhaupt der Öffentlichkeit präsentiert wurde. Darin wird deutlich, wie sehr er sich für die faschistische Architektur interessierte - die, und das wurde während der Veranstaltung hervorgehoben, sich vom nationalsozialistischen Bauen wesentlich unterschied.

    Anstatt neoklassizistische Bauten zu errichten, planten die Architekten des Duce zukunftsweisende Bauprojekte, in denen die Prinzipien des Bauhaus und der römischen Klassik zusammenflossen. EUR ist das beste Beispiel dafür. Wie Le Corbusier entwarfen auch die Italiener jener Zeit ideale Städtebauprojekte mit einer klaren Trennung von Funktionszonen. So erinnern bestimmte Zweckbauten des Faschismus verblüffend an Corbusiers Unité d'Habitation in Marsaille aus den Jahren 1947 bis 1952. Dazu der Kunsthistoriker Germano Manfredini:

    "Le Corbusier schuf eine ganz neue Form des Bauens. Da er die architektonischen Ideen des Faschismus teilte, schickte er Mussolini 1931 ein Architektur-Manifest, in dem er ihn aufforderte, sein Bauprojekt für den neuen Palast der Nationen in Genf zu unterstützen. Doch der Duce reagierte nicht."

    Als Le Corbusier 1934 nach Rom kam, wurde an Architekturfakultäten und in Intellektuellenkreisen heftig über den neuen Baustil des Regimes gestritten. Der Schweizer berichtet in seinem Tagebuch ausführlich darüber. Traditionalisten und Bauhausgegner beklagten, dass der neue faschistische Stil zu modern sei für Italien. Die Modernisierer hingegen, darunter Pio Piacentini, sprachen sich für eine Architektur aus, die sich von nutzlosen Schmuck- und Zierelemente befreien sollte.

    Das Tagebuch berichtet auch von einem geplanten Treffen zwischen Le Corbusier und Mussolini. Er wollte unbedingt für den Duce bauen. Ein italienischer Freund sollte dieses Treffen organisieren. Es sollte zwischen dem 27. und 29. Juni stattfinden. Doch der Duce ließ den Schweizer warten: nach 17 Tagen platze dem stolzen Le Corbusier der Kragen. Er reiste ab. Nach Italien kam er erst wieder in den 60er Jahren, um sich die neuen Bauten für die in Rom stattgefunden Olympiade anzuschauen.