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Le Musiche di Bellerofonte Castaldi

Diesmal mit weitgehend unbekannter italienischer Musik des frühen 17. Jahrhunderts. Die Aufnahme, die bei der jungen Firma Alpha erschien, widmet sich dem Schaffen von Bellerofonte Castaldi. Der Komponist, der von Monteverdi-Kennern hier und da einmal erwähnt wurde, fristete bis vor wenigen Jahren ein musikgeschichtliches Schattendasein. Die Werke Castaldis waren bislang nur wenigen Spezialisten bekannt und, wenn überhaupt, dann vorwiegend den Theorbenspielern unter den Musikern geläufig. Denn was das Solo-Repertoire für Baß-Theorbe und darüber hinaus für die kleine Oktav-Theorbe betrifft, gehören die Capricci von 1622 zu den allgemein wichtigen beziehungsweise einzigartigen Zeitzeugnissen. Es verwundert daher kaum, dass sich ein Theorbenspieler wie Vincent Dumestre der Musik von Bellerofonte Castaldi widmete. Gemeinsam mit seinem Ensemble Le Poème Harmonique und der bekannten Mezzo-Sopranistin Guillemette Laurens bot er im übrigen auch einen Exkurs durch die Vokalmusik des Komponisten. Le Musiche di Bellerofonte Castaldi heißt die CD. Hören Sie zu Beginn Vincent Dumestre, Theorbe und Fredericke Heumann, Lirone mit einem Ausschnitt aus Arpeggiata a mio modo, erschienen in der Sammlung Capricci 1622 in Modena . * Musikbeispiel: B. Castaldi: aus: Arpeggiata a mio modo Das war ein Ausschnitt aus Arpeggiata a mio modo, gespielt von Vincent Dumestre, Theorbe und Fredericke Heumann, Lirone. ‚Arpeggiert nach meiner Art und Weise', überschreibt Bellerofonte Castaldi dieses Stück. Der Wunsch nach einem ganz persönlichen Stil drückt sich sowohl in den Worten als auch in den weitschweifenden, auffallend konsequenten Akkordbrechungen der Musik aus. In Frankreich nannte man diesen Spielweise später style brisé.

Sabine Benger |
    Eigenwillig mutet nicht nur manches Stück auf dieser CD mit Werken von Bellerofonte Castaldi an. Auch das Leben und die Laufbahn des Künstlers erscheinen ungewöhnlich. Wer darüber mehr erfahren möchte, muß sich jedoch vergegenwärtigen, daß man es in erster Linie mit autobiographischen Anmerkungen Castaldis zu tun hat. Denn der überwiegende Anteil der überlieferten Details entstammen eigenen Notizen, vor allem der Verssammlung "Rimansuglio di Rime Bernesche", die er 1645 in Venedig fertig stellte.

    Auch solches erfährt man quasi aus erster Hand: ‚Castaldi' muß in Modena ein Allerweltsname gewesen zu sein. Bellerofontes Vater Francesco, unglücklich über diverse Verwechslungen und Unannehmlichkeiten, entschied sich aus diesem Grund, seinen Kindern exotische Namen zu geben. Das fünfte Kind benannte er schließlich nach dem sagenhaften Korinther Bellerophón, jenem Königssohn, dem man nachsagte, er habe seinen Bruder erschlagen und deshalb Korinth verlassen musste. Der korinthische Held entging mit Hilfe der Götter und des Flügelrosses Pegasos der geplanten Ermordung. Jener Bellerophón endete als Krüppel im Wahnsinn, denn er hatte sich angemaßt, als Sterblicher den Olymp zu erklimmen.

    Der Komponist Bellerofonte Castaldi war von adliger Abstammung und wurde um 1580 bei Modena geboren. Er pflegte verschiedene Künste und betätigte sich - universell gebildet - gleichermaßen als Dichter, Verfasser scharfzüngiger Schriften, Theorbenspieler, Sänger sowie als Komponist.

    Die sagenhafte Gestalt seines Namensvetters mag hin und wieder als Stoff für die Selbstinszenierung Bellerofonte Castaldis hergehalten haben. Tatsächlich ereilten den Künstler aber ähnliche Schicksalsschläge: Er soll aus seiner Heimatstadt Modena verbannt worden sein, weil er Blutrache für die Ermordung seines Bruders Oromedonte veranlasst hatte. So lebte er manches Mal auf der Flucht. Einige Zeit verbrachte er offenbar sogar in Haft. Und Bellerofonte Castaldi verfasste - das persönliche Übel vermehrend - z.B. auch kritische Schriften über Macht und Klerus. Eine päpstliche Anordnung wurde erlassen, die Castaldi wiederum zwang, Rom fluchtartig zu verlassen. Abenteuerlich mutete des weiteren eine erwähnte Schussverletzung an, die ihn angeblich zeitlebens hinken ließ, wie seinen sagenhaften korinthischen Namensvetter. Castaldi muß ein rastloser Wanderer gewesen sein und bereiste vermutlich auch Deutschland. In Italien hielt er sich unter anderem in Neapel, auf Sizilien, in Rom, Modena und Venedig auf. In einem sogenannten capitolo, das Castaldi im Mai 1638 in Neapel schrieb und Claudio Monteverdi widmete, soll er Venedig als Ort der Musen gepriesen haben. So ‚hoffe er, bald wieder an den vertrauten Ort zurückkehren zu können, und wenn es einzig aus dem Grund geschehe, an jenen prächtigen Concerti teilzuhaben, die von so schöner Art und von solcher Harmonie seien, dass Jedermann außer sich geriete'.

    Castaldi bewunderte die Werke von Monteverdi; die Musiker kannten einander gut und standen in künstlerischem Gedankenaustausch. Das folgende Echo-Madrigal "Hor che la notte ombrosa" von Bellerofonte Castaldi beispielsweise dokumentiert auf beeindruckende Weise Nähe zur Musiksprache Monteverdis. Hören Sie Guillemette Laurens, Mezzo-Sopran. Es spielt das Ensemble Le Poème Harmonique unter der Leitung von Vincent Dumestre. * Musikbeispiel: B. Castaldi: Echo notturno "Hor che la notte ombrosa" Das war die Mezzo-Sopranistin Guillemette Laurens mit dem Echo-Madrigal Hor che la notte ombrosa von Bellerofonte Castaldi. Es begleitete das Ensemble Le Poème Harmonique unter der Leitung von Vincent Dumestre.

    So paradox es klingen mag, Bellerofonte Castaldi, der 1649 in Modena starb, pflegte zwar weitreichende Kontakte zu führenden Musikmäzenen am Hofe und beim Klerus, dennoch blieb er gewissermaßen Außenseiter, Beobachter, Reisender in Kunstdingen, auf dem Weg von einer italienischen Musikmetropole zur anderen. Er dürfte ein guter Kenner moderner Kompositionstechniken und neuer Gattungen gewesen sein: radikalem Neuerertum galt seine Vorliebe jedoch offensichtlich nicht. Wohl experimentierte er als Musiker-Poet auf eigenwillige Weise mit unkonventionellen Formen, sogar Briefe vertonte Castaldi, vor allem aber schrieb er Melodien von ergreifender musikalischer Einfachheit.

    Die Mezzo-Sopranistin Guillemette, bekannt als einfühlsame und kenntnisreiche Sängerin mit großer Ausdruckspalette, erweist sich als perfekte Partnerin des Ensembles Le Poème Harmonique. Sie ist eine Meisterin der Deklamation und verfügt über eine wundervoll nuancenreiche Stimme mit großer Ausdruckskraft. Dank ihrer faszinierenden Musikalität, und das weiß auch derjenige, der Guillemette Laurens im Konzert erlebt hat, versteht sie es, selbst das noch so unbedarfteste Stückchen zu adeln. Gemeinsam mit Vincent Dumestre und Poème Harmonique, dem jungen vielbeachteten Ensemble, entstand auch die hochgelobte Aufnahme mit Werken von Domenico Belli.

    Die faszinierende Mischung aus Traditionalität und Bizzarrerie, zum Zwecke anspruchsvoller Unterhaltung für Musikliebhaber und Kenner haben Vincent Dumestre, Guillemette Laurens und die Musiker von Le Poème Harmonique offensichtlich bewogen, diese überraschend abwechslungsreiche CD aufzunehmen. Die kleine, erst 1999 gegründete Firma Alpha hat diese Aufnahme mit selten zu hörenden Stücken unter der Registernummer 900 in den aktuellen Katalog aufgenommen.

    "Ut pictura musica" heißt übrigens das betreffende Label, das sich als offenes Forum für alternative Musikanschauungen präsentiert. Das Cover ist betont aufwendig und kunstvoll gefertigt. Um so bedauerlicher, dass beim Booklet Abstriche hingenommen werden müssen, die unter den oft vorgeschobenen Kostenaspekten wohl kaum Mehraufwand verursacht hätten. Eine präzise Zuordnung, insbesondere der fraglichen Vokalstücke zur jeweiligen Werkveröffentlichung, dürfte bei einer sorgfältigen Produktion inzwischen ohne Frage dazugehören. Dann akzeptiert man auch leichter, dass die jeweiligen Texte nur in französischer und englischer Version vorliegen oder die tendenzielle Unübersichtlichkeit, was die entsprechenden Übersetzungen der Liedtexte betrifft.

    "Dolci miei martiri": Hören Sie zum Abschluss Guillemette Laurens, Mezzo-Sopran, sowie die Musiker von Le Poème Harmonique unter der Leitung von Vincent Dumestre mit diesem Stück von Bellerofonte Castaldi. * Musikbeispiel: B. Castaldi: Dolci miei martiri Die neue Platte: Abschließend hörten Sie die Mezzo-Sopranistin Guillemette Laurens mit einer Vertonung des Textes Dolci miei martiri. Es begleitete das Ensemble Le Poème Harmonique unter der Leitung von Vincent Dumestre. Die Aufnahme erschien bei der Schallplattenfirma Alpha unter dem Titel Le Musiche di Bellerofonte Castaldi.