Archiv


"Le Roi Roger"

Mitunter werden Werke, die sich eine Zeit lang erheblicher Wertschätzung erfreuten, aus unerfindlichen mehrere Jahre lang nicht mehr gespielt - und dann urplötzlich doch wieder. Und gleich mehrfach. So erging es Karol Szymanowskis "König Roger". Jetzt war die Nationaloper Paris an der Reihe.

Von Frieder Reininghaus |
    Mit der Geschichte vom König Roger, der Königin Roxane und dem mysteriösen Hirten, der sich in ihr Leben drängt, geht es ins 12. Jahrhundert und nach Sizilien. Auf der Insel hatte ein knappes Jahrtausend zuvor das Christentum Fuß gefasst und waren kurz zuvor die in diesem Glauben noch nicht sonderlich gefestigten Normannen eingefallen. Mit dem ominösen Hirten, einer dionysischen Gestalt, tauchte da einer auf, der behauptete, aus der Tiefe des asiatischen Raums zu kommen und zu einem besseren, freien Leben führen zu können. Das Volk fordert, ihn als Unruhestifter aus dem Verkehr zu ziehen. Doch der König lässt ihn erst einmal frei und bestellt ihn für die nächste Nacht ein, um sich ein genaueres Bild von ihm und seiner Lehre zu machen. Die Königin ist längst affiziert, wird ihm und seinem Lustprinzip nachfolgen, ihren Mann verlassen, ihn rat- und trostlos zurücklassen. Der namenlose Schäfer aber scheint sich in Luft und Liebe, Landschaft und Lebensgefühl aufzulösen.

    Die Partitur zu "Król Roger" amalgamiert auf denkwürdige Weise spätromantisch harmonisierte Melodiegeflechte und impressionistische Klangflächen, sie lehnt sich an Richard Strauss und Franz Schreker wie an Claude Debussy und Maurice Ravel an. Eingemischt in den Tonsatz finden sich in Anlehnung an Gregorianik entwickelte Archaismen und fein ziselierte Orientalismen. Der symphonische Orchestersatz wirkt weithin eher zart besaitet und braust kaum je einmal auf. So stellt sich schwebender Ton ein, ferner Klang und wunderschönes Misterioso. Kazushi Ono erweist sich als umsichtiger Klangbademeister, der die weichen Wellen des Tonsatzes geschmeidig zur Geltung bringt und das gelegentliche Aufschäumen elegant abfängt.

    Krzysztof Warlikowski hat die Szene von einem Glaspalast und seitwärtigen Spiegelkabinetten einfassen lassen. In der Mitte befindet sich, warum auch immer, ein Schwimm-Bassin, in dem das Alter Ego der Königin wie eine Wasserleiche ruht, in dem sich paarweise Statisten mit Trockenschwimmübungen abmühen. Das ist wohl alles irgendwie symbolisch zu nehmen. Auch die große Mickymaus nebst einem halben Dutzend kleinen Mickymäuschen, die am Ende mit der Yoga-Übung "Sonnengruß" den Sonnenkult im Wellness-Salon "Sun" vorführen. Auf die frei flottierenden, doch nur bedingt florierenden Theater-Fantasien Warlikowskis reagierte das Pariser Publikum mit einem Buh-Sturm. Vielleicht wurde der Regisseur - eine Entdeckung" des scheidenden Opern-Direktors Gérard Mortier - stellvertretend für diesen abgestraft. Dass er ihnen dieses Stück und auf diese Weise kredenzte, mögen die Leute wohl für eine Grille gehalten haben.

    Olga Pasichnyk nutzt die Partie der Roxane, den weiten Schwung der Kantilenen, ebenso effektiv wie die beiden Männer an ihrer Seite. Marius Kwietcien verleiht dem König mit seinem warmen Bariton sympathisches Format. Eric Cutler setzt seinen Tenor mit aller Macht für die Verführung ein. In höherem oder tieferem Sinn bedeutsam aber wird diese Außenseiter-Oper durch all die vokale Anstrengung so wenig wie durch die pseudomoderne Bespielung und Bespülung im und am Planschbecken.