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Leben 3.0. und die Zukunft der Evolution

Auf einer interdisziplinären Tagung über Biologie und Kultur beschäftigten sich Wissenschaftler mit der der synthetischen Biologie - und gingen der Frage nach, was eigentlich Leben definiert.

Von Bettina Mittelstrass | 23.09.2010
    "2010 stehen wir vor der Erkenntnis, dass der Berg kreiste und eine Maus gebar."

    Der Leibnizsaal der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften ist voll, als Professor Hans-Hilger Ropers vom Max-Planck-Institut für Molekulare Genetik erklärt, was die Kenntnis der Grundstruktur des menschlichen Genoms an verwertbaren Ergebnissen eigentlich bringt und was nicht. Ziel des aufwendigen Humangenomprojekts war es, den Schlüssel zu Aufklärung, Diagnose und Therapie genetisch bedingter Krankheiten zu finden. Als das Unternehmen aber Anfang der 90er-Jahre drei Milliarden Dollar erforderte, packte man, so Hans-Hilger Ropers, noch eine Vision oben drauf:

    "Und dann verfiel man - das geht im Wesentlichen auf einen Herrn Collins und einen Herrn Gallas zurück - kamen sie auf die Idee, dass wir jetzt nicht mehr die Aufklärung der echten Erbkrankheiten zum Ziel erklären, sondern dass wir jetzt sehr viel ambitiöser uns mit häufigen genetischen Risikofaktoren für Volkskrankheiten befassen. Nun Volkskrankheiten kennt jeder. Jeder kann sich ausrechnen, dass er ein großes Risiko hat, irgendwann mal an einer dieser Volkskrankheiten zu erkranken. Und sie zu verhindern oder Therapien dafür zu entwickeln, ist natürlich im allgemeinen Interesse. Und das fand die Politik auch. Dieser Trick hat funktioniert. Der amerikanische Kongress hat also für dieses Projekt die Mittel zur Verfügung gestellt. Wenn sie mich fragen, ob Collins jemals an diese Prognosen geglaubt hat, hülle ich mich in Schweigen. Ich jedenfalls habe da nie dran geglaubt."
    Viel zu komplex seien die Mechanismen, die möglicherweise aus einer genetischen Veranlagung tatsächlich eine Krankheit wie Arthrose oder Diabetes machen. An Ropers Schilderung wird deutlich, dass bei neuen Forschungen zum Erbgut immer zwei Dinge verbunden werden: vernünftige Ziele und fantasievolle Visionen. Werden diese Visionen unkritisch verbreitet, entstehen Ängste. Beispiel: "Synthetische Biologie". Diese Disziplin überschreitet die Grenzen der üblichen Gentechnik und nutzt nun auch Techniken aus der Chemie, den Material- oder Informationswissenschaften, sagt Kristian Köchy, Professor am Institut für Philosophie der Universität Kassel:

    "Synthetische Biologie ist ein Oberbegriff für eine sehr heterogene Disziplinenlandschaft. Die Zielsetzungen werden relativ einheitlich definiert: Man möchte Systeme künstlich herstellen, die in irgendeiner Form auf Biologie aufruhen, Biologie basiert sind. Man möchte Konstruktionen quasi auf allen Organisationsebenen des Lebendigen haben und man möchte das gezielt umsetzen.
    Ein Beispiel, was in der Presse auftaucht für synthetische Biologie, ist die Neukonstruktion eines Bakteriengenoms durch Craig Venter. Es gibt andere anwendungsbezogene Aspekte, wo man Protozellen herstellt, versucht, minimalisierte Genome herzustellen oder aber Schaltkreise mit biologischen Bauteilen."

    Künstliche Organismen, die Benzin liefern oder Treibhausgase in Baustoffe verwandeln, das wäre doch nützlich. Aber das sind im Wesentlichen Visionen. Denkt man sie trotzdem, stellt sich die Frage: Was wäre denn das Ergebnis? Leben oder Maschine?

    "Ja, das ist schwierig mit dem Lebensbegriff. Es gibt eine Fülle von unterschiedlichen Lebensbegriffen. Das hängt ein bisschen davon ab, aus welcher Disziplin, aus welcher Ausbildung die jeweiligen Protagonisten stammen. Und da die synthetische Biologie sich sowohl aus Mathematikern rekrutiert, als auch aus Chemikern oder Informatikern oder Materialtechnikern und Biologen, gibt es auch gerade in dieser Disziplin eine Fülle unterschiedlicher Konzepte - häufíg sehr reduzierte Konzepte."

    Und damit fängt die Verwirrung an. Mancher aus dem Bereich der "Synthetischen Biologie" sagt, er schaffe Leben. Doch bei genauerer Betrachtung sind auch diese Zellen nur Maschinen, denn die Vorgabe ist: Nichts soll sich entwickeln. Eine künstliche Zelle soll exakt das machen, wofür sie programmiert ist, eben wie eine Maschine. Andere sagen daher von vorneherein, sie schaffen Maschinen, kommen aber nicht um die lebendige Biologie herum, die sie verwenden. Der Philosoph Kristian Köchy:

    "Mein Votum wäre allerdings, dass durch die Art, wie gefertig wird, indem man zum Beispiel auf biologische Designprinzipien zurückgreift, auf biologisches Material, mit biologischen Regulationsmechanismen operiert, mit ganzen Organismen irgendwie operieren möchte, man automatisch diese Momente der Evolvierbarkeit, der Plastizität, der Autonomie in seinen Produkten, in den Fertigungsgeschehen drin hat. Und insofern sich der Frage stellen muss: Hab ich es nicht mit einer Veränderung zu tun, die nicht wieder rückholbar ist? Und die damit eine neue ethische, ein neues ethischen Gewicht sozusagen erlangt."

    Ein öffentliches Nachdenken über unser Verständnis von "Leben" ist also zunächst ganz sicher eine Folge der neuen Forschungen und Ergebnisse im Bereich "Synthetische Biologie." Darunter fällt, dass man sich immer wieder neu klar machen muss, was Technik, also von Menschen gemacht ist, was Natur und was Bio-Technologie ist.

    "Biotechnisch bedeutet erst einmal, dass wir Gegenstände, Produkte produzieren. Dass wir also nicht nur analysieren, wie man es sonst von Naturwissenschaft kennt. Also: Es gibt ein Produkt am Ende. Und das Produkt wird hergestellt auf Basis von biologischen Materialien und auch von biologischen Wirkmechanismen, die dieses Produkt dann auch aufwachsen lassen. Das ist also der Unterschied zur klassischen Technik, dass man nicht einfach etwas baut, sondern, dass man etwas wachsen lässt, was man vorher teilweise konstruiert hat."

    Der Unterschied zwischen "Gemachtem" und "Nicht-Gemachten", zwischen Technik und Natur, wird immer bleiben, sagt Nicole Karafyllis, Professorin für Philosophie an der Technischen Universität Braunschweig.

    "Was spannend ist, ist, dass das Gemachte nicht als Gemachtes erscheinen wird. Also es zeigt sich nicht unbedingt so. Beispiel: Ein Automobil, das kann jeder sehen, oder ein Haus, das wurde gemacht von Menschenhand. Und bei transgenen Pflanzen kann man das gar nicht unbedingt sehen. Sie erscheinen wir Natur."

    Wenn etwas wie Natur erscheint, aber zum Teil hergestellt ist - wie weit wird dann das, was biotechnisch gemacht werden kann, am Ende in die Entwicklung des Lebens, in die Evolution eingreifen? Immer wieder stellte sich diese Frage auf der Tagung.

    "Die biotechnische Evolution wird ein Teil der zukünftigen Evolution sein, weil wir die Welt schon immer technisch verändert haben als Teil der Evolution. Sie wird aber eben nur ein Teil sein, und da ist eben die Betonung auf dem "nur", weil sie sich auch mit der natürlichen Evolution auseinandersetzen muss. Weil sie in Umwelten stattfinden wird, die sich auch verändern, ohne dass wir Einfluss auf sie haben. Wir werden niemals die Evolution im Griff haben. Und das ist ja auch gut so. Weil sonst gäbe es ja auch keine Überraschungen mehr."

    Und wie ist es mit der "Optimierung" des Menschen, zunehmend bekannt unter dem Begriff "Enhancement"? Auch dieses Stichwort schürt Ängste. Mit Medikamenten zum Beispiel könne und werde sich der gesunde Mensch zukünftig hin zu skurrilen Idealen "verbessern." Doch auch das sind Machbarkeitsfantasien, sagt der Biologe Arnold Sauter vom Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag.

    "Wir haben uns auch vor zwei Jahren mit dem Thema Gendoping ja ausführlicher befasst und haben dort eigentlich auch den Eindruck gewonnen, dass es de facto keine Ansätze gibt, die auf eine dauerhafte Veränderung von z. B. Sportlern hinzielen, sondern dass es eigentlich immer vorübergehende pharmakologische Beeinflussungen vielleicht sind. Aber diese dauerhafte, diese Super-Athleten und so, das ist nach wie vor Reich der Fantasie und vielleicht auch manchmal des Horrors und der Ängste."

    Und warum diese Horrorvorstellungen? Vom posthumanen Frankensteinmonster? Weil wir zu wenig wissen und verstehen – gerade am Anfang.

    "Ich hab schon den Eindruck, dass es vor allem in recht frühen Phasen technischer Entwicklungen sowohl weitreichende Visionen als auch weitreichenden Ängsten besonders dominieren."