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Leben am "Heroin-Highway"

Der Grenzübergang Astara. Lastwagen kämpfen sich über die schlammige Piste, versinken in den knietiefen Pfützen und schaukeln wie die Fischerboote draußen auf dem Kaspischen Meer. Bis zu 300 LKW passieren jeden Tag hier die Grenze zwischen Aserbaidschan und Iran - beladen mit Tomaten, Windeln, Opium und Heroin.

Von Philip Banse | 01.02.2005
    Fotografieren ist am Grenzübergang streng verboten. Niemand will hier mit Journalisten reden. Ein Bauarbeiter allerdings läuft nicht sofort weg, als er das Mikrofon sieht.

    Drogen? Bitte verwickeln Sie mich nicht in solche Sachen! Ich habe das nie selber gesehen, nur gehört, bitte lassen Sie mich mit so was in Ruhe.

    Drei Viertel aller Opiate wie Heroin werden in Afghanistan hergestellt. Von dort transportieren Busse und LKW die teure Fracht gen Westen. Die so genannte Seidenroute folgt der historischen Seidenstraße durch die Staaten der ehemaligen Sowjetunion. Immer öfter kommen Herointransporte auch durch den Kaukasus. Die LKW fahren von Afghanistan in den Iran, biegen hinter Teheran nach Norden ab und rumpeln am Westufer des Kaspischen Meeres entlang, passieren den Grenzposten Astara und kommen nach Baku, Hauptstadt der ehemaligen Sowjetrepublik Aserbaidschan, südlich des Kaukasus zwischen Schwarzem und Kaspischem Meer gelegen.

    Im kargen Aserbaidschan folgen die LKW dabei immer einer löchrigen Straße, der A 322, dem "Heroin-Highway".

    Hier kommen wohl die meisten afghanischen Drogen aus dem Iran nach Aserbaidschan. Busse, Autos, LKW - Hunderte fahren jeden Tag durch den Schlamm an den Grenzern vorbei, das Risiko erwischt zu werden, ist gering. Die Drogen-Schmuggler profitieren von internationalen Zollabkommen wie dem sogenannten "TIR". Mit anderen Worten: Container müssen nicht mehr an jeder Grenze geöffnet werden. Einmal verplombt dürfen die Frachtkisten erst wieder am Zielort geöffnet werden.
    So wird der grenzüberschreitende Warenverkehr erleichtert.

    Mezahir Efendiew ist Koordinator des EU-finanzierten "Anti-Drogenprogramms Südkaukasus". Acht Millionen Euro steckt die EU in Aserbaidschans Drogenkampf. Damit soll unter anderem moderne Zolltechnik bezahlt werden. Bislang müssen die Zöllner jedoch noch ohne Röntgengeräte auskommen - ein großes Problem, sagt Europas oberster Drogenkämpfer in Aserbaidschan:

    Im Iran schreiben sie auf den Container: der geht nach Russland, Transit. Unsere Zöllner haben dann weder rechtlich noch technisch die Möglichkeit, diesen LKW zu überprüfen. Wir haben keine Technik, um den LKW zu röntgen. Das ist ein großes Problem. Denn nur wenn die Zöllner konkrete Hinweise haben, dürfen sie verdächtige LKW öffnen. Mit den Türken ist die Zusammenarbeit gut. Aber von den Iranern bekommen wir so gut wie keine Informationen.

    Die großen Drogen-Lieferungen kommen wohl über die Straße. Doch auch abseits der offiziellen Grenzübergänge floriert der Drogenschmuggel.

    Der Polizist steigt aus seinem roten Jeep. Seit neun Jahren sucht er an der Grenze nach Schmugglern. Das Bergpanorama kann er immer noch genießen: Die Talish-Berge zwischen Iran und Aserbaidschan, baumlose Einöde weit weg vom Grenzübergang Astara.

    Nach dem Zerfall der UdSSR machten die Bauern Grenzpfähle zu Weidenzäunen. Heute trennt Iran und Aserbaidschan ein etwa ein Meter 60 hoher Stacheldrahtzaun, alle paar Kilometer steht ein hölzerner Wachturm. Dennoch bringen die Bewohner der Grenzdörfer Heroin und Opium mit Rucksäcken aus dem Iran, sagt der Polizist.

    Vor zehn Jahren sind die Grenzanlagen zerstört worden, seitdem ist die Grenze nicht mehr kontrollierbar. Seit zehn Jahren schmuggeln die Leute hier Waren in den Iran und zurück, und niemand kann das verhindern. Aus Aserbaidschan nehmen sie Klamotten rüber in den Iran und kaufen von dem Geld dort Drogen, Opium, Heroin. Das ist da billig, und dann bringen sie das hierher.

    Die Gewinnspannen sind riesig: 35.000 Dollar kostet hier ein Kilo bestes Heroin aus Afghanistan. In Russland bringt es das Doppelte. Wenn so ein Deal gelingt, darf sich ein aserbaidschanischer Dorfschullehrer mit seinem Monatslohn von 20 Euro wie ein Lottogewinner fühlen.

    Wir haben bisher keine großen Mengen gefunden, gerade mal fünf Kilo. Aber wir glauben, dass sie es tonnenweise hierher bringen. Das kann man anhand des plötzlichen Reichtums des einen oder anderen Bewohners ermessen. Ein Mann ohne Ausbildung und Arbeit baut sich plötzlich zwei Häuser, kauft sich vier Autos und hat zwei, drei Villen in Baku - der handelt nicht mit Tomaten.

    Die Grenzregion verdient gut an den Drogen. Aus Holzhütten wurden Steinhäuser, einige haben Satellitenschüsseln auf dem Dach. Doch die Schmuggler leben gefährlich. Zwar seien die Grenzer bestechlich, sagt der Polizist. Dennoch werden in seinem Abschnitt jedes Jahr rund hundert Drogen-Kuriere von Grenzsoldaten erschossen.

    Einige bestechen bestimmte Grenzer, treffen in der Nacht aber auf einen andern. Manche Soldaten schießen auch für die Statistik, um den Plan zu erfüllen, oder weil ein Vorgesetzter dabei ist.

    Die Korruption ist denn auch das größte Problem im Kampf gegen die Drogen. Seit dem Ende der Sowjetunion 1991 wird Aserbaidschan vom Clan der Alijews regiert. Das Öl aus dem Kaspischen Meer bringt Milliarden Dollar ein, doch dieses Geld fließt in die Taschen der zahlenmäßig kleinen Elite. Die Anti-Korruptions-Organisation Transparency International zählt Aserbaidschan zu den sieben korruptesten Ländern der Erde.

    Ein indisches Restaurant in der Hauptstadt Baku. Vor der Tür treibt feuchter Wind das Laub der Platanen durch die Dunkelheit zwischen den Gründerzeitvillen der Ölbarone. Im Lokal sitzt ein ehemaliger Polizist bei "Chicken Tandoori" und Wodka. Der Mann war jahrelang leitender Polizeioffizier in der Grenzregion zum Iran. Er will anonym bleiben. In den ersten zehn Monaten des vergangenen Jahres wurden in Aserbaidschan offiziell ganze 13,5 Kilogramm Heroin beschlagnahmt. Das liege daran, sagt der Polizist, dass der Drogenhandel von denen organisiert werde, die ihn eigentlich bekämpfen sollten - gedeckt von den höchsten Beamten im Innenministerium.

    Solange ich in der Region gearbeitet habe, kamen meine Leute immer und sagten: "Chef, wir haben so und so viel Drogen gefunden. Lassen Sie uns Bestechungsgeld nehmen und sie freilassen." Nehmen, freilassen, nehmen, freilassen - alle sind daran gewöhnt. Einmal machte eine Truppe des Innenministeriums eine Drogen-Razzia. Danach legte mir einer 12.000 Dollar auf den Tisch und sagte: Hier, dein Anteil. Was mit der Regierung verbunden ist, wird nicht aufgedeckt, das gilt nicht als Verbrechen, die können machen, was sie wollen.

    Es gebe Lastwagen, die einfach nicht gestoppt werden dürften - auf Weisung aus Baku. Für den einst leitenden Beamten ist klar, wieso die Polizei bis zum Hals im Drogensumpf steckt.

    Polizisten bekommen zu wenig Geld, das ist ein Grund. Gleichzeitig sieht der Polizist: ein ehemaliger Verbrecher ist heute Verwaltungschef des Landkreises. Er sieht: alles wird durch Geld geregelt, das ist allen klar. Mit Geld lassen sich alle Türen öffnen, wie schwer das Verbrechen auch sein mag, mit Geld lässt sich alles regeln, und so begehen auch Gesetzeshüter schwerste Verbrechen.

    Wie das Leben an den Heroin-Highways aussieht, lässt sich in Aserbaidschan beispielhaft beobachten, links und rechts der A 322.

    Wenn die LKW aus dem Iran kommend entlang des Kaspischen Meeres nach Norden rumpeln, fahren sie durch eine Region, die ihre Bewohner etwas resigniert "Kolumbien" nennen. Im südlichen Aserbaidschan sind Heroin und Opium so allgegenwärtig wie andernorts Bier und Zigaretten.

    Die Hauptstadt von "Kolumbien" heißt Lenkoran, ein 40.000-Einwohner-Städtchen am subtropischen Fuß der Talish-Berge. Die Teeplantagen sind längst vertrocknet, die Fabriken stehen still, die Arbeitslosigkeit ist hoch. Der Drogenhandel floriert.

    Es ist kurz nach 19 Uhr. Aus den Gemüseläden fällt gelbes Licht auf die Straßen von Lenkoran. Vom Kaspischen Meer weht ein warmer, feuchter Wind. Achmed Turide führt flüsternd durch die Innenstadt und deutet alle paar Meter auf unscheinbare Wohnhäuser. Dort - sagt er - werden Heroin und Opium gehandelt wie Melonen.

    Fast in jedem Haus in dieser Straße werden Drogen verkauft. Kinder werden oft als Boten benutzt. Aber die kennen ihre Leute, Fremden verkaufen die nicht gleich etwas.

    Achmed Turide ist Mitglied einer kleinen Nicht-Regierungsorganisation, die in Lenkoran gegen die Drogenepidemie kämpft. Seine Frau Esmira Turide leitet die Organisation. Die 52jährige sagt, in machen Dörfern würde es richtig nach Heroin riechen.

    Rund 60 Prozent der Jugendlichen nehmen hier Drogen. Es gibt zwar eine Fachschule, aber was kommt danach? Es gibt keine Arbeit. Es gibt keine Jugendzentren und sehr wenig Sportplätze, für die man auch noch zahlen muss. Deswegen sind sogar Schüler in diese Drogengeschichten verwickelt.

    Wie viele Drogenabhängige es in Aserbaidschan tatsächlich gibt, wer sie sind und was sie zur Spritze greifen lässt, war lange unklar. Deshalb hat Mezahir Efendiew, der Koordinator des "Anti-Drogenprogramms Südkaukasus", mit Geldern der EU 2000 Drogenkonsumenten befragt. Ergebnis: In Aserbaidschan - so seine Hochrechnung - nehmen rund 200.000 Menschen Drogen, das sind 2,5 Prozent der Bevölkerung, Tendenz steigend.

    Ein weiteres Ergebnis der Umfrage: Heroin wird immer beliebter, und die Süchtigen werden immer jünger. Jungs fangen im Schnitt mit 15 an. Sie flüchten in den Rausch, weil Heroin sehr viel leichter zu bekommen ist als Arbeit und weil die Droge verspricht, was der Koran nicht bieten kann: das Paradies im Hier und Jetzt. UN-Koordinator Mezahir Efendiew beunruhigt inzwischen auch, dass immer mehr Frauen Heroin spritzen oder schnupfen:

    Die Ursache hierfür sind psychologische Probleme der Frauen: In Nagorny Karabach, im Krieg mit Armenien sind Tausende junger Aseris gefallen, viele Familien haben ihre Söhne verloren. Hunderttausende Väter fahren zudem nach Russland, um zu arbeiten. Das bedeutet viel Stress für die Frauen, den sie vor allem mit Drogen zu lindern versuchen.

    Außerdem werden viele Frauen zwangsweise verheiratet, schnell tauchen Eheprobleme auf, über die sie mit niemandem reden können. Denn Scheidungen sind im islamischen Aserbaidschan ein Tabu.

    Besonders schockiert hat Efendiew jedoch ein anderer Befund: Die Süchtigen haben keine Ahnung, was die Drogen bewirken und welche Gefahren sie bergen. Im Westen gehören Drogen seit Jahrzehnten zum gesellschaftlichen Erfahrungsschatz, nicht so im ehemaligen Ostblock. Als der "Eiserne Vorhang" sich hob, schwappte eine Drogenwelle gen Osten und traf auf eine Gesellschaft, die nichts wusste über Heroin. Das ist bis heute so.

    Die Süchten wissen nicht, dass Drogen dem Menschen schaden, dass gebrauchte Spritzen Viren und AIDS übertragen können, das wissen die alles nicht. Sie wissen nicht einmal, dass Drogen töten können. Selbst solch primitive Informationen fehlen den Leuten.

    Außer ein paar Konferenzen mit Regierungsvertretern ist im aserbaidschanischen Süden von Drogen-Aufklärung noch nichts zu spüren, sagt der Journalist Zahir Amanov, der dort eine kleine Zeitung herausgibt:

    Aufklärung muss auf die Zielgruppen zugeschnitten sein und sie auch erreichen. Auf diesen Konferenzen sind keine Leute, die auch nur entfernt Kontakt mit Drogen haben. Die gefährdeten Leute lesen keine Zeitung, gehen nicht auf Konferenzen. Mit denen muss man anders kommunizieren, aber das wird überhaupt nicht gemacht.

    Die Süchtigen sind arm, ohne Perspektive und ahnen nicht, dass sie an Heroin zu Grunde gehen werden. Trotzdem: Dass in der einzigen Entzugsklinik des südlichen Aserbaidschan kein einziger Patient einen Entzug macht, verwundert.

    Die Entzugsklinik liegt am Stadtrand von Lenkoran. Am Ende eines schlammigen Feldwegs leuchtet ein hellblaues Eisentor. Dahinter liegt der weißgetünchte Flachdachbau. Das marode Gebäude bietet Platz für zwanzig Junkies, aber die Metallbetten in den feuchten Zimmern sind verwaist. 50 Euro kostet ein Entzug, fast ein durchschnittlicher Monatslohn. Das können sich nur wenige leisten.

    Ein schwarzer Mercedes fährt auf den Hof, der Himmel spiegelt sich im makellosen Lack. Ein sportlicher Mann steigt aus. Er trägt Anzug und ein frisch gebügeltes Hemd. Seine beiden Schneidezähne sind aus Gold und glänzen wie sein Wagen. Machmet Masachir zupft seine Hose am Oberschenkel hoch und setzt sich auf das Metallbett, dem Arzt gegenüber.

    Er sei Kaufmann, sagt Machmet Masachir. Er handle mit Waren und habe einige Geschäfte. Das ist nicht mal gelogen. Der 37jährige ist nach Erkenntnissen des aserbaidschanischen Innenministeriums einer der größten Drogenhändler des Landes. Taxifahrer in Lenkoran erzählen, Machmet Masachir sei eine Autorität, eine Mafiagröße, die jeder kennt, aber niemand anzurühren wagt. Machmet Masachir sagt, die Menschen in Lenkoran respektierten ihn.

    Ich hab's mir verdient. Ich helfe, wo ich kann. Auf jede erdenkliche Art: Bei Hochzeiten, Beerdigungen, mit Geld, aber auch moralisch.

    "Man verehrt ihn", ruft einer der Männer, die sich im Flur versammelt haben.

    Drogen, sagt Machmet Masachir, bekomme man überall. Und die größten Dealer seien die Polizisten:

    Die beschlagnahmen Heroin und verkaufen es auf eigene Rechnung. Wenn du kein Bulle bist, kannst du nicht mit Drogen handeln. Dann setzten sie dich 15, 20 Jahre fest. So läuft's. Die Gegend hier ist eine Transitzone. Hier herrscht Krieg, ein Krieg ums Geld.

    Eine Jugend im Rausch und ohne Zukunft, die Polizei sorgt für Nachschub, die Regierung sieht zu, die wichtigen Medien sind staatlich kontrolliert und schweigen. Niemand geht auf die Straße. Protest bleibt aus. Warum ist das so?

    Zahir Amanov, der Lokaljournalist aus Lenkoran, nennt Gründe für das Schweigen der Mehrheit: Aserbaidschan ist kein Rechtsstaat, gegen die Polizei ist der Einzelne machtlos. Auch die Drogenbarone greift niemand an. Sie sind zwar die Ursache des Übels, haben die Gesellschaft jedoch gekauft:

    Die Leute, die viel Geld mit Drogen verdient haben, sind sehr wohltätig und helfen allen. Es ist bei uns nicht üblich, schlecht über solche Leute zu reden, Namen zu nennen. Vor allem wenn sie auch noch wohltätig sind, dann könnte man auch darüber hinwegsehen, dass sie ihr Geld mit Drogen verdient haben.

    Angst vor Repression, falsche Ehrerbietung für Wohltäter - einer der wichtigsten Gründe für das stumme Leiden liegt in der islamischen Tradition des Landes. Zwar trägt keine Frau Kopftuch, und: Alkohol ist Alltag. Aber die Familie steht bis heute über dem Staat, sagt der Journalist Amanov.

    In der aserbaidschanischen Gesellschaft existiert der Begriff "öffentliches Interesse" nicht! Die Bürger stehen nicht ein für das Allgemeinwohl. Wer ein Problem hat, wendet sich an die Familie, nicht an den Staat.

    In der islamischen Republik Aserbaidschan lässt sich exemplarisch beobachten, was vielen Nachfolgestaaten der Sowjetunion immer noch riesige Probleme bereitet: Die jungen Staaten entlang der Drogenrouten werden vom Heroin eingenebelt wie vom Staub der vorbeirumpelnden Lastwagen. Drogenhandel fördert Korruption, Korruption fördert den Drogenhandel. Dieser fatale Kreislauf zerfrisst das Fundament der jungen Demokratien und raubt der postsowjetischen Jugend ihre Zukunft. Und die Prognose der UNO klingt bedrohlich: "Das Potential für weiteres Wachstum des Drogenkonsums ist riesig." Für Nachschub und Nachfrage ist gesorgt am Drogen-Highway im südlichen Aserbaidschan.