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Leben auf Pump

Die Verschuldung von Privathaushalten in Tschechien nimmt rapide zu. Immer mehr Konsumgüter werden in Hochglanzprospekten angeboten, das Durchschnittseinkommen aber reicht für alle diese Wünsche einfach nicht aus. Jetzt soll eine Schuldnerberatung eingerichtet werden.

    Warmes Buffet im Tschechischen Parlament auf der berühmten Kleinseite in Prag. Bei Entenbrust mit Knödeln kommen Vertreter von Banken, vom Finanzministerium und von Verbraucherschutzverbänden zusammen. Ihr Ziel ist es, ein gemeinsames Netzwerk zu knüpfen – ein Netzwerk gegen die Überschuldung der tschechischen Privathaushalte. Denn ein System von Schuldnerberatungsstellen wie in Deutschland gibt es bislang noch nicht in Tschechien. Und das, obwohl der Bedarf riesig ist, wie Andrea Behalkova vom Schuldnerverband Spes erklärt.

    "Derzeit sind wir noch nicht so verschuldet wie zum Beispiel Deutschland, aber die Schwierigkeiten bei uns wachsen rasant. Wenn das so weitergeht, sind hier in zwei Jahren mehr Haushalte überschuldet als in den westlichen Ländern, etwa in Deutschland oder England."

    Bereits jetzt ist die Situation in Tschechien alarmierend, weil es bis vor wenigen Jahren noch fast keine Probleme mit drückenden Schuldenlasten gab. Erst vor zehn Jahren boten die Banken ihre Kredite zu Konditionen an, mit denen sie Kunden in größerer Zahl locken konnten. Zuvor waren Finanzspritzen auf Pump wegen der Zinssätze von 20 Prozent und mehr weitgehend unattraktiv. Inzwischen haben sich viele Tschechen an den Gang zur Bank gewöhnt. Mit 14,5 Milliarden Euro stehen die Privathaushalte derzeit in der Kreide, allein im vergangenen Jahr stieg die Höhe der Schulden um 33 Prozent. Jeder zehnte Schuldner kann mittlerweile seine Kredite nicht mehr bedienen und gerät in den Teufelskreis der Überschuldung. Diese Tendenz hat auch die Banken alarmiert. Ganz kritisch gibt sich Martin Kupka, Chefvolkwirt bei der CSOB, einer der größten tschechischen Banken:

    "Kampagnen, die attraktive Finanzdienstleistungen und vor allem Konsumgüter anbieten und suggerieren, dass Sie die für Ihr persönliches Glück einfach haben müssen, sind hier allgegenwärtig. Nicht jeder kann dem widerstehen und nicht jeder rechnet sich aus, wie viel ein Kredit eigentlich an monatlicher Belastung bedeutet. Da sehen wir noch ein großes Potenzial für die Sensibilisierung und Ausbildung von denen, die sich Kredite nehmen."
    Eine beunruhigende Tendenz zeichnet sich nach Beobachtung der Schuldnerberater besonders bei den Jüngeren ab. Neue Handymodelle und andere Statussymbole verleiten schon früh zum ungebremsten Konsum. Auch in Deutschland ist dieses Phänomen bekannt. Deshalb arbeitet die tschechische Initiative Spes eng mit der Schuldnerberatung aus dem westfälischen Herford zusammen, die schon seit vielen Jahren in weiterführenden Schulen eine Art Präventionsunterricht gibt. Das möchte der Verband Spes jetzt auch in Tschechien einführen. Es ist eine der beiden Säulen, auf denen das Konzept zur Hilfe der Schuldner basiert. Die zweite Säule ist eine flächendeckende Beratungsinfrastruktur. In jeder Kreisstadt soll es künftig eine Filiale geben, in der sich überschuldete Haushalte kostenlos Hilfe holen können. Nach dem deutschen Vorbild soll es dabei um die Erstellung eines Finanzplanes gehen und in besonders schweren Fällen auch um Verhandlungen mit den Gläubigern. Noch ist das allerdings Zukunftsmusik. Um trotzdem schon jetzt helfen zu können, setzt der Verband Spes erstmal auf eine dezentrale Beratung – und stößt auf gewaltiges Interesse, wie die Vorsitzende Andrea Behalkova berichtet:

    "Wir bieten eine Internetberatung an, die wir gerade erst eröffnet haben. Schon in den ersten Tagen kamen mehrere dutzend Anfragen zusammen. Um bei diesem Ansturm weiterhelfen zu können, möchten wir jetzt zunächst Multiplikatoren ausbilden, die dann selbst Beratungen durchführen können."