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Leben auf Pump

Seit zehn Jahren steigt die Verschuldung der Privathaushalte in den USA kontinuierlich an. Die Politik tut wenig, um gegenzusteuern. Nun gibt es in Washington auch noch Überlegungen, das Sozialversicherungs-System zu privatisieren. Das träfe vor allem die Armen, aber auch Amerikas Mitte steckt in Finanznöten. Eine Entwicklung, an der die Banken nicht unschuldig sind. Maya Dähne hat mehrere Menschen mit Geldsorgen getroffen.

    In den Regalen stapeln sich Glasvasen und Porzellanschüsseln. Anne Dixon mustert prüfend die Preisschilder bevor sie weitergeht. Schlussverkauf im "Target Markt" in Arlington, Virginia. Noch vor zwei Jahren hätte ich hier einen vollen Einkaufswagen zur Kasse geschoben. Und das einmal pro Woche, gibt Anne zu.

    "Es ist ziemlich übel, wenn die Verkäuferinnen Deinen Vornamen kennen, dann warst du eindeutig zu oft hier."

    Anne Dixon, die ihren richtigen Namen lieber nicht nennen will, weiß wovon sie redet. Kurz nachdem sie und ihr Mann Terry vor 5 Jahren ein kleines Haus gekauft hatten, wurde sie Stammkundin in Möbel- und Einrichtungsläden. Während ihrer Mittagspause besorgte sie hier ein paar Handtücher, dort einen Teppich. Alles fürs neue Haus. Am Monatsende war ihre Kreditkarte regelmäßig überzogen und die Rechnungen stapelten sich auf dem Küchentisch.

    "Ich hab meiner Bank gesagt: Das kann doch nicht sein, dass ich schon wieder 1000 Dollar im Minus bin, aber die haben nur gelacht: Das sagen viele unserer Kunden."

    Anne und Terry Dixon verdienen beide nicht schlecht. Sie arbeitet als Reisekauffrau, er ist bei der Navy. Trotzdem sind den beiden die Schulden allmählich über den Kopf. gewachsen. Um ihre täglichen Ausgaben zu finanzieren, mussten sie sich mehr und mehr Geld leihen.

    "Ich hab mir immer gesagt, okay diese Kreditkarte ist nur für Notfälle. Aber plötzlich mussten wir unsere Notfallkarte dazu benutzen, Lebensmittel zu bezahlen. Und in Null komma nix waren die Rechnungen Schwindel erregend."

    Am Ende hatten die Dixons 18 verschiedene Kreditkarten und schuldeten der Bank alleine dafür 57.000 Dollar. Und sie sind nicht allein: Insgesamt beläuft sich die Verschuldung amerikanischer Privathaushalte auf 2.1 Billionen Dollar. Das ist mehr als das Bruttosozialprodukt von Russland und England zusammen.

    "”Ich bin gerade aus dem Urlaub zurück und hab in der Zwischenzeit stapelweise Rechnungen bekommen. Eine Handwerkerrechnung für mein Haus in Vermont, Steuernachzahlungen für ein Haus in Cape Cod und die Hypothek für das Haus hier in Washington. Ich weiß, das klingt so als lebte ich in Saus und Braus, aber das stimmt nicht.""

    Winnie Dalton blättert durch die Rechnungen auf ihrem Wohnzimmertisch und seufzt. Sie ist das, was man eine wohlhabende ältere Dame nennt. Sie lebt in einem schönen Haus in einer der teuersten Wohngegenden von Washington. Die beiden anderen Immobilien, die sie besitzt sind ebenfalls ein Vermögen wert. Trotzdem weiß sie oft nicht, wie sie ihre nächste Strom, Wasser oder Gasrechnung zahlen soll.

    "Ich vermute, dass ich momentan für Hypotheken und Kreditkarten mit insgesamt 400.000 Dollar in der Kreide stehe. "

    Auch Winnie Dalton will ihren richtigen Namen aus Scham lieber nicht nennen. Um trotz chronischer Geldnot wenigstens kurzfristig Bares zur Verfügung zu haben, steckt eine umfangreiche Kreditkartensammlung in ihrer Handtasche. Neben Visa, Master Card und Discovery Card hat sie Kreditkarten von diversen Kaufhäusern, Mode- und Einrichtungsgeschäften.

    "Wenn ich die kleine Schachtel mit meinen Kreditkarten öffne und die Hälfte erstmal rausfällt, sind die Leute meistens schockiert. Aber die Karten helfen mir, mehrere Monate über die Runden zu kommen. Wenn ich kein Bargeld habe, zahle ich halt erstmal mit Kreditkarte. Bloß da kommen auch irgendwann die Rechnungen.”"

    Winnie Dalton hat den Überblick längst verloren. Seit ihr Mann tot ist, hat sie kein festes Einkommen mehr. Die 64 Jährige versucht deshalb als Selbständige etwas Geld zu verdienen. Um größere Ausgaben zu finanzieren reichen ihre Einnahmen allerdings nicht.

    ""Im Moment ist mein Hauptproblem, dass mein 14 Jahre altes Auto auseinander fällt und ich mir kein neues leisten kann. Mein Ziel ist es also, so lange damit zu fahren, bis entweder die Kiste oder ich den Geist aufgeben."

    (Tür geht auf) "”Hi, how may I help you? I am here for credit counseling. I am Marylin Thomsen, I am your credit counselor and you are? Carrie Olsen….”"

    Ein kleines unscheinbares Büro-Gebäude in Silver Spring, Maryland, ist Anlaufstelle und letzte Hoffnung für hoffnungslose Fälle, wie Carrie Olsen sich selbst bezeichnet.

    "”Ich bin bis über beide Ohren verschuldet, ich kann mir weder ein Handy noch eine Wohnung leisten. Ich kann vor lauter Geldsorgen kaum noch schlafen.”"

    Carrie Olsen ist gerade mal 30 und hat bereits einen Schuldenberg von 50.000 Dollar angehäuft. Vieles davon sind Kredite, die sie aufgenommen hat, um ihr Studium zu bezahlen. Außerdem hat sie einige hoffnungslos überzogene Kreditkaten. Seit einem Jahr ist die gelernte Graphikdesignerin arbeitslos, staatliche Unterstützung bekommt sie keine. Zurzeit jobbt sie als Babysitter und schlägt sich mit 615 Dollar, knapp 500 Euro monatlich durch.

    In Marylin Thomsens kleinem Büro, läuft die Klimaanlage auf Hochtouren. Thomsen arbeitet seit mehr als 30 Jahren als Kreditberaterin. Vor ihrem Schreibtisch haben schon hunderte von Schuldnern wie Carrie gesessen.

    "Zu uns kommen Leute ohne Ausbildung, die von staatlicher Unterstützung leben und hoch verschuldet sind aber auch Leute, die einen Doktortitel, 15 bis 20 Kreditkarten und bis zu 100.000 Dollar Schulden haben."

    Marylin Thomsens Kunden haben eines gemeinsam: Sie haben an einem bestimmten Punkt den Überblick verloren über ihre Finanzen. Anstatt zu sparen und vernünftig hauszuhalten, haben sie Geld, das eigentlich gar nicht vorhanden war mit vollen Händen ausgegeben. In gewisser Weise sei das ein sehr amerikanisches Problem, meint Thomsen.

    "Wir leben in einer Gesellschaft, in der wir alles sofort haben wollen. Wir wollen Fast Food, schnelle Autos, ein Haus, Kinder, alles jetzt sofort. Also nehmen Leute Kredite auf anstatt zu warten und für gewisse Dinge zu sparen."
    Derweil machen es die Banken ihren Kunden immer einfacher, Geld zu leihen. Und ihr Zielpublikum wird immer jünger. Carrie erinnert sich, dass diverse Banken auf dem College-Campus Stände aufgebaut hatten. Studenten, die einen Kreditkartenvertrag unterschrieben bekamen ein T-Shirt oder Schokolade geschenkt.
    Obwohl Carrie im Moment ganz offensichtlich keinen Kredit zurückzahlen könnte wird sie per Post mit Kreditkarten-Offerten bombardiert. Man braucht nur das Fernsehen einzuschalten, sagt Marylin Thomsen, um zu sehen, wie massiv die Banken um Neukunden buhlen.

    "Es gibt da eine Fernsehwerbung, in der ein Mittvierziger angibt mit seinem tollen Haus, seinem nagelneuen Auto, seiner Golfclubmitgliedschaft und seinen beiden Kindern. Das typische Klischee und dann fragt er: Sie wollen wissen, wie ich das finanziere. Gar nicht. Ich bin bis über beide Ohren verschuldet."

    Kein Problem, so die Botschaft. Nimm einfach eine neue Hypothek auf dein Haus auf und schon bist Du wieder flüssig. Zumindest bis diese neue Hypothek fällig wird. Es ist ein Teufelskreis, den man nur mit knallharter Budgetplanung durchbrechen kann, sagt Marylin Thomsen.
    Anne und Terry Dixon haben genau das geschafft. Vor drei Jahren haben sie mit Hilfe der Kreditberatung angefangen systematisch zu sparen und ihre Schulden abzubezahlen. Es war hart, sagt sie. Wir haben alles rationiert und uns extrem eingeschränkt, beim Essen, beim Kleider kaufen, überall. Aber es hat sich gelohnt. Seit einem Jahr sind sie schuldenfrei. Statt eines Stapels Kreditkarten hat Anne nur noch eine einzige Plastikkarte, die Kundenkarte ihrer Bank im Portemonnaie. Und sie hat zum ersten mal einen Überblick über ihre Finanzen.

    "Ich notiere alles in mein Ausgabenbuch. Ich zahle alle Rechnungen sofort und was dann noch übrig bleibt können wir ausgeben. Früher hab ich nie gewusst, wo unser Geld bleibt. Jetzt weiß ich das ganz genau."

    Das einzige, was Anne Sorgen noch macht ist ihr Neffe. Der ist nämlich gerade 14 geworden - und hat seine erste Kreditkarte bekommen.